Nahgrenzenverschiebung und Minigesichtsfeld
Hallo Rainer,
die Vorsatzkonverter für Video- und Digitalkameras sind eigentlich – wie es der Name schon sagt – dafür gedacht, vor das Objektiv gesetzt zu werden. So war Deine Vorgehensweise durchaus logisch. Da aber zuvor die Booster von Zeiss und Swarovski unser Thema waren und ich natürlich annahm, daß auch Du ein vergleichbares System bauen wolltest, bin ich von einem dem Fernglas nachgeschaltetem optischen System ausgegangen. Aber nun hat sich das Mißverständnis ja aufgeklärt.
Daß ich nicht empfohlen hatte, so einen Vorsatzkonverter vors Fernglasobjektiv zu setzen, liegt daran, daß ich dabei keine ausreichende Schärfe erwarte. Denn die beträchtliche Nachvergrößerung durch das Fernglas (in Deinem Falle immerhin 10fach!) offenbart gnadenlos alle optischen Mängel des Konverters. Außerdem verlierst Du bei dieser Konverteranordnung beträchtlich an Öffnung, denn die Austrittspupille des Konverters ist bestimmt erheblich kleiner als die Objektivöffnung Deines Fernglases (50 mm beim 10x50).
Nun zu den Problemen, die Du festgestellt hast. Fangen wir mit der Verlängerung der Nahgrenze an und betrachten wir anschließend die starke Gesichtsfeldeinschränkung.
1. Die Nahgrenze ändert sich nur in der zunächst von Dir benutzten Konfiguration mit dem Konverter vor dem Fernglas, nicht jedoch bei der Boosteranordnung hinter dem Okular! Der Grund ist einfach zu erklären. Wie sowohl von Herbert („Hausmeister”) wie auch von mir hier im Forum schon mehrfach – u.a. schon in der langen „Schärfentiefe”-Diskussion Ende letzten Jahres – gesagt, bildet ein auf unendlich eingestelltes Fernglas alle nahen (= endlich weiten) Gegenstände virtuell in einer umgekehrt proportional zum Quadrat der Vergrößerung verkürzten Entfernung ab. Da diese Formulierung wahrscheinlich nicht jedem sofort verständlich ist, will ich sie mit einem Beispielen veranschaulichen:
Ein 10fach vergrößerndes Fernglas verkürzt, wenn es auf unendlich fokussiert ist, die scheinbare (= vom Betrachter im Fernglas gesehene) Entfernung um den Faktor 1/10ˆ2 = 1/100. Ein 8fach vergrößerndes Fernglas verkürzt die Entfernung um den Faktor 1/8ˆ2 = 1/64. Das virtuelle Bild rückt also erheblich näher als der Gegenstand in der Natur. Das ist auch der Grund dafür, daß die Schärfentiefe beim Blick durchs Fernglas sehr viel geringer ist als ohne Fernglas, denn das Auge kann dieses gewaltige Heranrücken ab einer bestimmten Grenze nicht mehr durch Akkomodation ausgleichen. Wenn der Betrachter das Fernglas auf den Nahbereich scharfstellt, ändert sich das jedoch so, also würde man durch Drehen des Fokussierrades das Bild wieder weiter weg schieben, um es besser (ohne anstrengende Akkomodation) sehen zu können. Diese Korrekturmöglichkeit durch Fokussieren beseitigt also oder entschärft das Problem.
Nun müssen wir genau dieses Phänomen auf den Vorsatzkonverter anwenden, der ja für sich allein genommen auch ein (Galilei-)Fernglas darstellt, das jedoch fest auf unendlich fokussiert ist und sich nicht auf die Nähe einstellen läßt. Wenn Dein Konverter z.B. den Vergrößerungsfaktor 1,7 hat, dann rückt er beim Blick von hinten durch den Konverter für den Betrachter jeden Gegenstand um den Faktor 1/1,7ˆ2 = 1/2,89 = 0,346 näher. Um einen tatsächlich 10 m entfernten Gegenstand durch den Konverter hindurch scharf sehen zu können, muß das Auge deshalb so akkomodieren, als ob der Gegenstand nur 3,46 m entfernt wäre. Und wenn der Gegenstand 20 m weit weg liegt, muß sich das Auge auf 20 m · 0,346 = 6,92 m einstellen.
Und nun kommt zusätzlich das Fernglas ins Spiel. Nehmen wir an, Dein Fernglas erlaubt eine Naheinstellung bis 7 m. Dann heißt das, daß Du beim Blick durch das Fernglas nur Gegenstände scharf sehen kannst, die mindestens 7 m weit vor dem Fernglas liegen. Wenn Du nun statt mit bloßem Auge zusammen mit dem Fernglas durch den Konverter schaust, dann heißt das, daß Du nur solche Gegenstände scharf sehen kannst, die das Fernglas durch den Konverter mindestens 7 m weit entfernt sieht. Du würdest also den oben genannten 20 m entfernten Gegenstand nicht mehr ganz scharf sehen, denn durch den Konverter erscheint er dem Fernglas ja so, als wäre er nur 6,92 m entfernt und somit zu nah für seine 7-m-Grenze. Wenn also der Konverter einen Gegenstand um den Faktor 1/vˆ2 (mit v = Komvertervergrößerung) heranrückt und dieser vom Fernglas an der Nahgrenze gesehen wird, so folgt daraus umgekehrt, daß sich die Nahgrenze des Fernglases durch Vorschalten des Konverters um den Kehrwert von 1/vˆ2, also um vˆ2 verlängert. Das ist in unserem Falle mit 1,7facher Konvertervergrößerung also ein Faktor von 1,7ˆ2 = 2,89. Statt 7 m beträgt die Nahgrenze jetzt 7 m · 2,89 = 20,23 m. Als allgemeine Formel ergibt sich somit:
Nahgrenze (Konv. vor Fernglas) = Nahgrenze (Fernglas) · Konvertervergrößerungˆ2
Anders liegt der Fall, wenn der Konverter wie ein Booster hinter dem Fernglas, also hinter dem Okular verwendet wird. Hier ist jetzt umgekehrt das erste Fernglas fokussierbar und das zweite (= der Konverter) nicht. Das erste Fernglas kann für ein scharfes Bild eines 7 m entfernten Gegenstandes fokussiert werden. Bei dieser Entfernung treten also die von jedem Gegensatandpunkt her einfallenden Strahlenbünden parallel aus dem Okular (= virtuelle Abbildung nach unendlich). Also „sieht” das nachgeschaltete zweite Fernglas (= Konverter) diesen Gegenstand so, als wäre er unendlich weit weg. Und solche Gegenstände bildet der genau auf unendlich fokussierte Konverter ebenfalls wieder nach unendlich ab. Der Betrachter am Ende der Kette sieht den Gegenstand durch den Booster genauso scharf (nur nochmals vergrößert) wie ohne Booster allein durchs Fernglas. Die Naheinstellung hat sich deshalb in diesem Falle nicht verändert.
2. Jetzt kommen wir zum stark eingeengten Gesichtsfeld, das ich ja schon als den zu befürchtenden kritischen Punkt vorhergesagt hatte. Auf den ersten Blick sollte man meinen, daß so etwas gar nicht passieren kann, denn wenn man mit bloßem Auge (also ohne Fernglas) durch den Vorsatzkonverter schaut, ist der scheinbare Gesichtswinkel doch ziemlich groß, vielleicht 50° oder noch größer. Warum dann plötzlich diese Verengung, wenn der Konverter hinter dem Okular angeordnet wird?
Das Problem ergibt sich aus der fehlenden Übereinstimmung von Austrittspupille des Fernglases und Eintrittspupille des nachgeschalteten Konverters. Du weißt, daß Du beim Fernglas nur dessen volles Gesichtsfeld überblicken kannst, wenn sich Dein Auge nahe genug am Okular befindet. Vor allem Brillenträger, die mit Brille nicht näher als ca. 12-15 mm an die Okularfassung herankommen, wissen davon ein Lied zu singen. Geh doch mal mit Deinem Auge nur 3 cm weit weg vom Okular, und Du siehst statt vorher vielleicht 65° nur noch beispielsweise 15° vom ursprünglichen Gesichtsfeld. Wieviel es tatsächlich ist, kann man nicht pauschal sagen, sondern das hängt von der Okularkonstruktion ab.
Genau dieses Problem hat Dein Vorsatzkonverter: Seine Eintrittspupille liegt offensichtlich zu tief, also zu weit weg vom Okular, und deshalb „sieht” der Konverter nur ein stark eingeschränktes Gesichtsfeld im Fernglas. Aber wenn der Konverter nur wenig sieht, dann kannst Du hinter dem Konverter nicht mehr sehen, denn hinten kann beim Konverter nicht mehr Bild herauskommen, als vorn hinein kommt.
Jetzt wird Dich vielleicht wundern, daß diese Einschränkung so groß sein soll, daß Du tatsächlich, wie Du geschrieben hast, nur etwa 1° bis 2° siehst! Das liegt daran, daß das oben erklärte Problem bei einem Galileischen Fernrohr noch zusätzlich dadurch verschäft wird, daß bei diesem Fernrohrtyp die Austrittspupille innerhalb des Fernrohres und nicht wie beim Keplerschen Fernrohr hinter dem Okular liegt. Das Galileische Fernrohr hat also von Hause aus schon erhebliche Gesichtsfeldprobleme, und wenn die dann zusätzlich zu den obengenannten Problemen auftreten, wird's eng – eventuell bis zu 1° eng!
Das war jetzt wohl wieder ein etwas anstrengender Parcours durch die optischen Gesetze. Ich hoffe, Du bist dabei nicht vom Pferd gefallen und konntest alle Hindernisse nehmen.
MfG Walter E. Schön