Hallo Christian,
Mit der Belichtungszeit kann man das Seeing NICHT überlisten, eventuelle Vorteile sind marginal! Lucky Imaging ist für den Amateur praktisch nicht machbar, denn perfekte Aufnahmen gelingen nur bei gutem bis sehr gutem Seeing.
Dir fehlt hier noch etwas Erfahrung um so nen Bolzen rauszuhauen.
Deine Aussage ist schlicht falsch. Seeing ist nicht gleich Seeing. Da überlagern sich mehrere Effekte.
Wenn z.B. Deepskyfotografen von 1,5 Bogensekundenseeing schwärmen, dann meinen sie damit, daß sich über einen Zeitraum von 5, 10 oder 20 Minuten das Seeing in diesem Rahmen bewegt.
Ich als Planetenbeobachter betrachte für meine Seeingeinschätzung aber nur einen wesentlich kürzeren Zeitraum. Nämlich wie gut das Seeing während 30-40 Sekunden ist. Da hab ich Momente (typischerweise 0,5 Sekunden) mit Seeing um 0,5 Bogensekunden oder noch drunter. Dann kommen Momente, wo es Außreiser hat. Wo langsame Störungen mit 3,4 oder sogar 5 Bogensekunden Verzerrungen durchs Gesichtsfeld der Kamera laufen. Z.B. wenn sich ne Warmluftblase vom Nachbardach gelöst hat.
Oder es gibt Abende, an denen das Seeing "blubbert", wo ich nicht scharf stellen kann, weil sich kontinuierlich die Wellenfront verzerrt und der Planet neben diesen Verzerrungen auch noch die Größe ändert.
Wenn im Aufnahmezeitraum von 30-40 Sekunden 100 oder mehr gute Bilder im an sonsten schrottigen Videostrom sind, hast das Seeing bereits überlistet. Dann lohnt sich lucky imaging. Dazu mußt Du aber mit den Belichtungszeiten im Bereich zwischen 1/50 und 1/320 Sekunden liegen. Die Belichtungszeiten müssen kürzer als die typischen Schwankungsperioden des Seeings sein.
Seeing, bei dem ich 50% der aufgenommenen Bilder verwenden kann, ist bei meinem Stadtbalkon die absolute Ausnahme. Ich bin schon froh, wenn ich 25% verwenden kann. Oft sind es nur 20% oder 15% und 10% ist grenzwertig.
Drunter lohnt sich eine Bearbeitung nicht mehr.
Es hat rund 8 Jahre gedauert, bis ich mir antrainiert hab, auf die Seeingschwankungen so zu achten, daß ich heute bei der Aufnahme bereits sagen kann, welcher Prozentsatz hinterher den größtmöglichen Erfolg bringt. Wenn Du mal 5 oder 10.000 Videos bearbeitet hast, kannst Du das auch. :Trost:
Die erzielbare Auflösung hängt natürlich von der Qualität des gesamten Systems ab. Das geht mit der Spiegelqualität los. Mit der absolut perfekten Justage HS zu FS zu OAZ zu Barlow-Linse/Projektionsokular, an der Qualität der Filter und natürlich auch am Seeing.
Das Seeing über mir kann ich nicht ändern. Alles andere schon.
Neben der Justage (an der ich mit einem stationären Teleskop glücklicherweise nicht viel machen muß), ist die thermische Beherrschung bei mir ein extrem wichtiger Punkt. Wenn das gegeben ist, dann kommt die Empfindlichkeit der Kamera ins Spiel. Deswegen hab ich ne empfindliche s/w Kamera. Die erlaubt mir Belichtungszeiten zwischen 1/50 und 1/320 Sekunde.
Ne popelige, bunte Webcam is ja nett, aber für Betrachtungen, die wir hier anstellen ist die nicht empfindlich genug.
@ Jan:
Nach meinem Verständnis, und das entspricht der Erfahrung aus der Alltagsfotografie, ist die Beleuchtungsstärke auf dem Chip von der Blendenöffnung, NICHT aber von der Brennweite des Objaktivs abhängig. Objektive mit längerer Brennweite bilden nur größer ab als kleine Objektive. Insofern stellt sich die Frage nach Belichtungszeiten in dem von Dir genannten Bereich um 1/320 s gar nicht.
Das stimmt so nicht. Je mehr Brennweite bei gleicher Blende, desto dunkler das Bild. Weil sich das Licht ja auf immer mehr Pixel verteilt.
Ich hatte mehrmals die Möglichkeit, Aufnahmen mit nem 16" Newton f=5 und meinem 8" Newton f=5 und auch mit 6" Newton f=5 am selben Ort (Sternwarte) annähernd zur selben Zeit zu machen.
Bei allen 3 Teleskopen hab ich meine Kamera, fest verschraubt mit Filterrad und Projektionsokular im OAZ versenkt. Scharfgestellt und bei identischer Blende (aber unterschiedlicher Öffnung -> unterschiedlicher effektiver Brennweite) hatte ich unterschiedlich große Planeten, aber die Belichtungszeit blieb jeweils gleich. Hab extra die Histogramme verglichen.
Planeten sind flächige Objekte. Und da hast einen direkten Zusammenhang zwischen Belichtungszeit und Öffnungsverhältnis.
Ich bin mit Rechnen nicht gut, ich bin Praktiker. Ich hab mit meinem 8"er alle vorhandenen Filter durchexerziert. Hab mir aufgeschrieben, bei welcher Blende ich mit welcher Belichtungszeit/Gaineinstellung ein perfekt ausgeleuchtetes Histogramm hab. Und dann die effektive Brennweite durch zusätzliche T2 Zwischenringe verändert. Wieder alle Werte aufgeschrieben.
Dann am 16"er gemessen. Paßt.
Dann am 32"er gemessen. Paßt.
So kam meine Aussage "doppelter Durchmesser -> 1/4 Belichtungszeit" zu Stande. Ich kann das 1/1 auch auf den 16"er übertragen. 4facher Durchmesser -> 1/16 Belichtungszeit. Für identisches Öffnungsverhältnis.
Aber der 32"er hat von Haus aus f=10 und nicht f=5 wie meine anderen Teleskope. Also muß ich umrechnen. Gegenüber dem 8" f=40 muß ich mit der Belichtungszeit beim 32"er im Fokus um den Faktor 8 kürzer werden.
Ich hab längst am 32"er ausgetestet, ob es bei gleichem Seeing einen Unterschied in der Schärfe ausmacht, wenn ich statt 1/320 1/500 oder 1/750 Sekunde nehm. Nö, macht den Kohl nimmer fett. Wenn das Seeing bei 1/320 Sekunde nicht mindestens 10% scharfe Bilder liefert, dann bringt ein weiteres Verkürzen der Belichtungszeit keinen Unterschied mehr. Dann muß ich mit der Brennweite runtergehen. Also ne Shapley reinschrauben.
@ Daniel:
Bloß wer möchte das machen? die meistens fahren sobald etwas einigermaßen funktioniert doch ihr System weiter, und verschwenden die sowieso schon raren Beobachtungsnächte nicht mit weiteren Instrumententests.
jeder ernsthafte Planetenbeobachter, der sich für das Wetter auf dem Planeten interessiert und seine Bilder z.B. bei der APLO Japan, ber BAA oder sonstigen internationalen Organisationen abliefert zu weiterer Auswertung, der macht das. Denn er will sein Gerödel bis aufs i-Tüpfelchen ausreizen. Und dazu gehört, daß er es kennt. Gut kennt. Und spätestens alle paar Jahre wird optimiert. Sobald eine deutlich effektivere Kamera auf den Markt kommt, wird aufgerüßtet. Die Halbwertszeiten bei den Kameras liegen etwa bei 3-4 Jahren.
Bei Tagungen und auch per email wird viel Zeit in die Diskussion von systematischen Test von Kameras und Filtern investiert.
Und es wird keineswegs nur bei Spitzenseeing beobachtet. Wir fahren die Beobachtungen sehr regelmäßig, an jedem halbwegs klaren Abend. Da werden auch mal weniger gute Bilder abgeliefert... Denn es geht nicht um pretty pictures sondern um
lückenlose Beobachtung. Rund um die Uhr die ganze Sichtbarkeitsperiode...