Vorhersage der Sonnenfinsternisse im Alten Ägypten

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Alexander_Funk

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Guten Tag liebe Forumgemeinde,

wenn es um die Geschichte der Sonnenfinsternisse geht, dann hört man oft, dass die Alten Ägypter die Sonnenfinsternisse vorhersagen konnten.
Ich nehme an, dafür hatten sie nur eine Liste mit den Sonnenfinsternissen, die vorher stattgefunden haben.

Ich habe nun die Liste mit den letzten 5 Sonnenfinsternissen, die aus Deutschland teilweise zu sehen waren:

31. Mai 2003
3. Oktober 2005
29. März 2006
1. August 2008
20. März 2015

Ich denke nicht, dass die Menschen im Alten Ägypten eine Liste hatten, in der 1000 Sonnenfinsternisse mit genauer Uhrzeit und Winkelangaben drinnen waren.
Ich vermute, die hatten nur grobe Angaben, wie z. B. vor 1345 Tagen gabe es eine parzielle, dann vor 957 Tagen usw.

Kann mir bitte jemand vorrechnen oder erklären, wie die Ägypter damals die Sonnenfinsternisse vorhergesagt haben?

D. h. wie man von dieser Liste:

31. Mai 2003
3. Oktober 2005
29. März 2006
1. August 2008
20. März 2015

auf das Datum der nächsten Sonnenfinsternis von Deutschland aus gesehen (12. August 2026) kommt?

Viele Grüße
Alex
 
Der Saroszyklus für Sonnenfinsternisse war zumindest schon den Babyloniern bekannt. Wie die darauf gekommen sind hab ich auch nicht rausgefunden. Auch nicht ob das die alten Ägypter auch so gemacht haben (falls es dir speziell um die Ägypter geht und nicht die Antike allgemein)
 
Der Saroszyklus für Sonnenfinsternisse war zumindest schon den Babyloniern bekannt. Wie die darauf gekommen sind hab ich auch nicht rausgefunden. Auch nicht ob das die alten Ägypter auch so gemacht haben (falls es dir speziell um die Ägypter geht und nicht die Antike allgemein)

Hi hhh,

mich interessiert einfach, wie man damals die Sonnenfinsternisse voraussagen konnte. Und zwar wie wurde es berechnet? Mit welchen Formeln, Zahlen, Informationen? Ob das Ägyptor, Babylonier oder Griechen waren.

Laut Wikipedia ist:
Saroszyklus: 71 Sonnenfinsternisse in 1270 Jahren

Kann mir jemand erklären, mit welchen Formeln und mathematisch mit diesen Informationen:
Saroszyklus: 71 Sonnenfinsternisse in 1270 Jahren
31. Mai 2003
3. Oktober 2005
29. März 2006
1. August 2008
20. März 2015

auf die nächste Sonnenfinsternis am 12. August 2026 komme?

Viele Grüße
Alex
 
Kann mir jemand erklären, mit welchen Formeln und mathematisch mit diesen Informationen:
Saroszyklus: 71 Sonnenfinsternisse in 1270 Jahren
31. Mai 2003
3. Oktober 2005
29. März 2006
1. August 2008
20. März 2015

auf die nächste Sonnenfinsternis am 12. August 2026 komme?

Es gibt verschiedene Finsternis-Zyklen, von denen der prominenteste der Saros zu 18 Jahren + 11 Tagen + 8 Stunden ist. Eine Korrespondenz in diesem Abstand von einem Saros besteht nur zwischen den Finsternissen von 2008 und 2026, die beide dem selben Saros-Zyklus 126 angehören.

Interessant ist dabei auch der Umstand, dass sich auf einander folgende Finsternisse im selben Saros-Zyklus um 8 Stunden in der Uhrzeit unterscheiden, was einen Versatz von 120° in der geografischen Länge bewirkt. Deshalb verschiebt sich die Finsterniszone in einem Zyklus rund um den Globus und wiederholt sich für eine bestimmte Lokalität erst nach drei Saros-Perioden, also 54 Jahren + 34 Tagen, aber das gilt auch nur ganz grob.

Solar eclipse of May 31, 2003 ......................................... Saros 147 (22 of 80)
Solar eclipse of October 3, 2005 .................................... Saros 134 (43 of 71)
Solar eclipse of March 29, 2006 ..................................... Saros 139 (29 of 71)
Solar eclipse of August 1, 2008 ...................................... Saros 126 (47 of 72)
Solar eclipse of March 20, 2015 ..................................... Saros 120 (61 of 71)

Solar eclipse of August 12, 2026 .................................... Saros 126 (48 of 72)

Solar Saros 126
 
Hallo Alex,

grundsätzlich eine recht interessante Frage. Vor allem, da es ja tatsächlich so ist wie du schreibst:
wenn es um die Geschichte der Sonnenfinsternisse geht, dann hört man oft, dass die Alten Ägypter die Sonnenfinsternisse vorhersagen konnten.

Nun fühle ich mich irgendwie berufen als astronomisch interessierter Althistoriker mal meinen Senf dazuzugeben.

Dass die Babylonier, die Ägypter, die Griechen und viele andere Ethnien, Kulturkreise, Gemeinschaften usw. beobachtende Astronomie betrieben, die bisweilen recht präzise war, ist unumstritten. Es gibt zudem einige Hinweise darauf, dass Menschen bereits in protohistorischer Zeit (nennen wir es mal flappsig "Steinzeit" bis Bronzezeit) recht genaue Beobachtungen durchführten (Ausrichtung von Heiligtümern und Kultorten sind eingängige Beispiele). In hellenistischer und römischer Zeit entwickelte sich dies schließlich zu einer auch schriftlich immer mehr fixierten Wissenschaft. Eines darf man nicht vergessen: der kultisch-sakrale Charakter ging dabei niemals verloren. Selbst Personen, die man getrost als wissenschaftlich arbeitende Astronomen in einem antiken Sinne bezeichnen kann, wie Hipparchos oder Ptolemaios, waren nicht gänzlich von diesen Bezügen befreit.

Die zum Teil sehr weit fortgeschrittenen mathematischen Methoden der Antike sind ebenfalls hinlänglich bekannt. Das rein theoretische Rüstzeug zum Berechnen astronomischer Ereignisse war also - mit gewissen Einschränkungen - durchaus gegeben.

Was allerdings deutlich dagegen spricht, ist ausgerechnet die Praxis. So präzise die babylonischen, ägyptischen und griechischen Beobachtungen auch erscheinen mögen - und für die damaligen Verhältnisse stimmt das sicherlich auch -, nach heutigen Maßstäben waren sie es nicht. Es fehlte einfach das passende Gerät. Alles was sich damals messen ließ, geschah mit einfachen geometrischen Apparaturen vom Boden aus. Damit lassen sich ungefähre Positionen von Sternen, Planeten und anderen Himmelskörpern in der Genauigkeit von wenigen Grad bestimmen, aber es hatte deutliche Grenzen.

Den antiken Wissenschaftlern war zwar bewusst, dass eine Sonnenfinsternis entsteht, wenn der Mond bei Neumond zwischen Erde und Sonne tritt; dieses Konstrukt funktionierte schließlich auch mit einem geozentrischen Weltbild. Sie wussten auch um die Neigung der Mondbahn, was ja bedeutet, dass der Mond den auf- oder absteigenden Knoten durchlaufen muss, um eine Finsternis auszulösen. Allerdings waren ihnen andere wichtige Eigenschaften des Erde-Sonne-Mond-Systems völlig unbekannt. So war etwa die Mondparallaxe fast unmöglich genau zu berechnen, was es wiederum erschwerte vorauszusehen, wo auf dem Erdkörper eine totale, wo eine partielle Sonnenfinsternis eintreten würde. Aber partielle Sonnenfinsternisse selbst von mehr als 90% sind fast nicht wahrnehmbar, wenn man nicht mit geeignetem Instrument in die Sonne schaut und auch noch genau weiß, wann man dies zu unternehmen hat. Der Mond läuft auch nicht völlig gleichmäßig auf seiner Bahn, sondern wird durch weitere gravitative sowie relative Effekte beeinflusst (etwa, ob der Mond bei Neumond im Apo- oder Perigaeum steht usw.). All diese Einflüsse zeigen sich für einen Beobachter mit dem bloßen Auge nicht am Himmel, haben aber schon allein wegen der sehr unterschiedlichen Größenverhältnisse und Entfernungen bisweilen einen nicht zu unterschätzenden Effekt, will man eine Finsternis für ein sehr kleines Gebiet, wie beispielsweise das nördliche Ägypten vorhersagen.

Des Weiteren kann man auch einen Blick auf die wissenschaftliche Methodik in Verbindung mit den oben genannten Punkten werfen. Wir wissen ja von den Babyloniern, dass diese schon sehr früh recht detaillierte astronomischen Beobachtungen durchführten und diese auch festhielten. Es sind jedoch, soweit ich dies überblicken kann, keine frühen, systematischen und vollständigen Aufzeichnungen von Sonnenfinsternissen bekannt (weder aus babylonischern, ägytischen, griechischen oder römischen Quellen), die über einen Zeitraum von Jahrzehnten oder länger gegangen wären. Diese hätten dann auch noch neben den auffälligen totalen Sonnenfinsternissen die partiellen Beinhalten müssen, was aus den schon ausgeführten Argumenten sehr unwahrscheinlich ist.

Ich bin zwar nicht gerade ein Experte für die ägyptische Wissenschaftsgeschichte. Aber alles in allem ist nicht davon auszugehen, dass dort irgendwelche Methoden bekannt waren, die weder in der griechischen noch in der römischen oder später der arabischen Literatur zu diesen Themen erwähnt wurden. Ptolemäus selbst lebte und wirkte ja - wie sein Name schon verrät - in Ägypten und hatte sicherlich bestmöglichen Zugang zur dortigen "Fachliteratur".

Wenn denn tatsächlich ein antiker Gelehrter - und an den meisten solcher überlieferten Anekdoten bestehen sehr begründete Zweifel - mal eine Sonnenfinsternis korrekt vorhergesagt haben sollte, so mag er dank intensivstem Studium und jahrelanger Beobachtung vielleicht eine wage Ahnung gehabt haben, wann die Umstände günstig waren (Neumond, aufsteigender Knoten, Stellung des Mondes in der Ekliptik). Doch selbst dann wäre eine solche erfolgreiche Vorhersage in erste Linie eins gewesen: Glück! Was es gab - für Babylon ist dies belegt - war quasi die Vorhersage der Möglichkeit einer Finsternis. Allerdings war man dann im Allgemeinen sehr froh, wenn dies nicht eintrat, galt es doch als ausgemachtes Unglückszeichen...

Ich kann allen, die diese Thematik interessiert nur folgenden Aufsatz ans Herz legen:
Otta Wenskus, Die angebliche Vorhersage einer Sonnenfinsternis durch Thales von Milet, Hermes 144.1, 2016, S. 2-17.

Speziell zu den Ägyptern findet sich ein lesenswerter Artikel bei:
Andre Pichot, Die Geburt der Wissenschaft. Von den Babyloniern zu den frühen Griechen, Frankfurt/New York 1995, S. 200-217.
 
wenn es um die Geschichte der Sonnenfinsternisse geht, dann hört man oft, dass die Alten Ägypter die Sonnenfinsternisse vorhersagen konnten.
Dazu ist mir nichts bekannt. Gibt es dazu irgend welche Belege?

Laut Wikipedia wurde der Saros Zyklus der Mondbewegung von den Babyloniern gefunden, und das ist nun mal der Schlüssel für etwaige historische Vorhersagen. Hipparchos (190-120 BC) und Ptolemäus (100-170 AD) berufen sich darauf, aber das waren beides keine "Alten Ägypter", auch wenn letzterer zur Zeit der Römer in Alexandria lebte.

Zur babylonischen Spurensuche des Saros gibt es ja einiges:

Babylonian Astronomy

Teije de Jong: On the Origin of the Lunar and Solar Periods in Babylonian Lunar Theory

Michael G. Nickiforov: On the discovery of the saros

Bernard R. Goldstein: On the Babylonian Discovery of the Periods of Lunar Motion

P.J. Huber & S. De Meis: Babylonian Eclipse Observations from 750 BC to 1 BC (Rezension)

O. Neugebauer: Astronomical Cuneiform Texts ... (Review)

"T. G. Pinches - J. N. Strassmaier," Late Babylonian Astronomical and Related Texts (Book Review)

H. Hunger & A. Sachs (eds.): Astronomical Diaries and Related Texts From Babylonia

MulApin-BritishMuseum.jpg

Mul.apin cuneiform tablet
Credit: Wikipedia/British Museum
 
Zuletzt bearbeitet:
Hallo Zusammen,

Ich denke, was Alex hier eingangs beschrieben hat
wenn es um die Geschichte der Sonnenfinsternisse geht, dann hört man oft, dass die Alten Ägypter die Sonnenfinsternisse vorhersagen konnten.
dreht sich mehr um allgemeine Annahmen, denn um historisch aufgezeichnete.

"Altes Ägypten" ist sicherlich ein dehnbarer Begriff, doch umgangssprachlich ist damit vermutlich eher die Periode zwischen Altem und Neuem Reich gemeint, also in etwa die zeit von 2700-1000 v.u.Z., die man auch mit den berühmten Pharaonen in Verbindung bringt. Auf jeden Fall meint es eine Phase, in der Ägypten noch unabhängig war und nicht persisch, griechisch oder römisch besetzt.

Die babylonische Berechnung der Saros-Zyklen ist natürlich eine wirklich beeindruckende wissenschaftliche Leistung. Dadurch besaßen Vorhersagen einer Finsternis einen nicht zu unterschätzenden Wahrscheinlichkeitsgrad, was aus kultischer Sicht auch nicht unwichtig war. Exakt vorhersagen oder berechnen ließen sich aber auch damals Sonnenfinsternisse nicht. Bei Mondfinsternissen ist dies etwas einfacher, da - simpel gesagt - Erde > Mond, und vermutlich waren diese auch der Ausgangspunkt für die späteren Berechnungen bezüglich der lunaren Zyklen. So oder so stammen diese babylonischen Methoden erst aus der Mitte des 1. Jahrtausends v.u.Z. und sind somit deutlich später als alles, was sich unter "Altes Ägypten" zusammenfassen lässt.

Selbst bin ich auch bei Weitem kein Experte für diese althistorische Forschungsnische, aber eines ist vielleicht noch anzumerken. Auch heute noch neigen viele Althistoriker, Philologen, Archäologen sowie Wissenschaftler anderer (in diesem Falle v.a. naturwissenschaftlicher) Fachdisziplinen dazu, die Quellen zu positiv auszulegen und zu ergänzen. So detailliert die Texte auch sind, sind sie eben auch häufig lückenhaft und unvollständig. Es liegt dann oftmals nahe, sie eben so zu interpretieren, dass sie zu der eigenen Forschungstheorie passen. Das passiert auf vielen Forschungsfeldern auch fernab der Wissenschaftsgeschichte. Ob dem im Falle der babylonischen Lunar- und Solartheorien so ist, müsste man im Einzelnen genauer untersuchen. Zumindest scheint es in den von Peter und mir genannten Texten auch Hinweise auf derartige Quellenergänzungen zu geben.

Es bleibt also festzuhalten: Ein faszinierendes Thema voller komplexer Sachverhalte. Eine abschließende, völlig sichere Antwort zu erhalten; von dieser Hoffnung sollte man sich jedoch besser verabschieden. Dafür bleibt halt umso mehr Diskussions- und Interpretationsgrundlage.

Zum Schluss noch ein besonders aktueller und frei zugänglicher Text bezüglich dieses Themas von der Wissenschaftshistorikerin Lis Brack-Bernsen von der Uni Regensburg.

Gruß
Florian
 
Der Einschätzung von Florian (lukeflo) kann ich nur zustimmen, vielleicht mit dem caveat, dass die Babylonier den Saros-Zyklus ja gar nicht "berechnen" konnten, sondern vielmehr aus sorgfältigen über mehrere Jahrhunderte aufgezeichnete Beobachtungen von Finsternissen rein empirisch erschlossen haben.

Berechnen konnten sie dann auf der Basis dieses empirisch bestimmten Saros-Zyklus nachfolgende Ereignisse, wobei dies insbesondere bei Sonnenfinsternissen wegen des 8-stündigen Versatzes im Saros bereits zu erheblichen Komplikationen führt. Schließlich konnten Sonnenfinsternisse damals nicht weltumspannend, sondern nur lokal eingeschränkt beobachtet werden. Etwas anders ist es bei Monfinsternissen, die aber wegen der praktischen Unbeobachtbarkeit der Halbschattenphase wieder ganz andere Probleme hat.

Man kann an der von Alex genannten Liste von Sonnenfinsternissen ja auch schön die Herausforderung erkennen, daraus eine Vorhersage abzuleiten. Wir haben ja Sonnenfinsternisse nicht nur im Abstand von 18 Jahren + 11 Tagen + 8 Stunden, sondern etwa jedes Jahr, allerdings global verteilt. Da überlagern sich also mehrere Saros-Zyklen, und es ist schon bemerkenswert, dass es den antiken Astronomen trotzdem gelungen ist, aus diesem komplexen Beobachtungsmaterial ein stimmiges Muster zu extrahieren.

Gruß, Peter
 
Zuletzt bearbeitet:
Da hat Peter natürlich völlig recht. Alle Formeln, Funktionen und Berechnungen benötigen zur Herleitung eine empirische Grundlage, d.h. in den meisten Fällen detaillierte Beonachtungen. Das war bei den alten Babyloniern so, das war bei Brahe und Newton so und ist es heute noch immer. Und es ist eine der fundamentalen Grundessenzen der Wissenschaft.

Gruß
Florian
 
Guten Tag liebe Forumgemeinde,

wenn es um die Geschichte der Sonnenfinsternisse geht, dann hört man oft, dass die Alten Ägypter die Sonnenfinsternisse vorhersagen konnten.
Ich nehme an, dafür hatten sie nur eine Liste mit den Sonnenfinsternissen, die vorher stattgefunden haben.

Ich habe nun die Liste mit den letzten 5 Sonnenfinsternissen, die aus Deutschland teilweise zu sehen waren:

31. Mai 2003
3. Oktober 2005
29. März 2006
1. August 2008
20. März 2015

Ich denke nicht, dass die Menschen im Alten Ägypten eine Liste hatten, in der 1000 Sonnenfinsternisse mit genauer Uhrzeit und Winkelangaben drinnen waren.
Ich vermute, die hatten nur grobe Angaben, wie z. B. vor 1345 Tagen gabe es eine parzielle, dann vor 957 Tagen usw.

Kann mir bitte jemand vorrechnen oder erklären, wie die Ägypter damals die Sonnenfinsternisse vorhergesagt haben?

D. h. wie man von dieser Liste:

31. Mai 2003
3. Oktober 2005
29. März 2006
1. August 2008
20. März 2015

auf das Datum der nächsten Sonnenfinsternis von Deutschland aus gesehen (12. August 2026) kommt?

Viele Grüße
Alex
Die Grundidee der Kategorisierung von Finsternissen in Saros-Zyklen ist, dass 223 synodische Monate (Lunationen, Phase/Phase) 6585 Tage, 07 Stunden und 43 m, 242 drakonitische Monate (Knoten/Knoten) ebensoviel Tage, 08 Stunden und 34 m dauern. 6585,3 Tage sind außerdem nur 10,3 bis 13,3 Tage mehr als 18 Kalenderjahre. Neu- und Vollmond nenne ich Syzygien, die Mondlänge auf der Ekliptik, gerechnet ab dem aufsteigenden Knoten, nenne ich Argument der Breite (Groß-Delta oder F).

Ein Syzygium 15° bis 20° NACH einem der beiden Mondbahnknoten liefert zum ersten Mal eine kleine Verfinsterung und ich starte die Zählung mit ihm. 18 Jahre und 10,3 bis 13,3 Tage später wird es wieder ein gleichartiges Syzygium geben, dessen Argument der Breite nur 1/2° geringer sein wird als beim vorigen. Und so geht das alle 18 Jahre und 10,3 bis 13,3 Tage weiter "zurück" bis zum Knoten und über diesen hinaus, bis irgendwann einmal, 15° bis 20° VOR dem Knoten, die letzte kleine Finsternis auftritt und den Zyklus beendet.

Die Minderung von F um 1/2° bewirkt im Zyklusablauf am AUF-steigenden Knoten eine geometrische Logik von oben nach unten (von N nach S), beim AB-steigenden eine umgekehrte von unten nach oben. Syzygium i+1 ereignet sich ein Vielfaches ganzer Tage plus etwa 1/3 später als i mit der Folge, dass von i auf i+1 der geographische Ort des Finsternisgeschehens um etwa 1/3 Erdumfang westwärts wandert. Das gilt für alle Syzygien und alle Knoten und führt von Zyklusfinsternis zu Zyklusfinsternis zu jeweils für SoFis und MoFis typischen, tendenziellen geometrischen Veränderungen.

Parallel zum F- oder Breiten-Geschehen laufen systematische Änderungen der mittleren Anomalien von Mond und Erde. Diese sind Maßzahlen für Erdnähe oder -ferne bzw. Sonnennähe oder -ferne und bestimmen die scheinbare Größe der beiden Scheiben bzw. des Erdschattens. Die beiden Anomalien zweier im Zyklus sich folgender Finsternisse ändern sich nur um 2 bis 3° (rückwärts, Mond) bzw. 10° (vorwärts, Erde) und das Größenverhältnis der sich bedeckenden Scheiben also nur gering: im Zyklus benachbarte Sonnenfinsternisse sind beispielsweise in der Regel beide total oder beide ringförmig. Ein Saroszyklus umfasst viele dutzend Finsternisse und dauert viele hundert Jahre; auf lange Sicht können sich die beiden Anomalien so ändern, dass in der SoFi-Reihe ein Übergang von ringförmig auf total oder umgekehrt stattfindet, häufig mit eingeschalteten hybriden Finsternissen. Bei den MoFis haben die kurzfristig geringen, aber langfristig beharrlichen Änderungen der Anomalien analoge finsternisgeometrische Folgen.

Die seinerzeit gut beobachtbare und ausführlich kommentierte SoFi 2015MRZ20 gehörte zum Saros 120. Nach Konvention zeigt allein schon die gerade Zählnummer an, dass es sich um eine SoFi am absteigenden Knoten handelt (SoFi ungerad >> auf, gerad >> ab, bei den MoFis umgekehrt). F betrug etwa 167°, d.h. die SoFi fand VOR diesem Knoten statt, woraus wiederum sofort erhellt, dass der Zyklus schon ziemlich alt ist. Er begann 933 mit einer partiellen Finsternis über dem Südpol, ab 1420 gab es einige ringförmige und hybride Finsternisse, ab 1564 waren sie alle total. 2015 war die 61ste von insgesamt 71 des Zyklus. 1690 betrug die mittlere Anomalie des Neumondes 66°, 2015 nur mehr 15°. 0° bedeuten Erdnähe, d.h. ideale Voraussetzungen für Totalität. 2033 wird es noch einmal eine totale SoFi über der Arktis geben, zuletzt einige partielle. 2195JUL07 ist F = 162°, es kommt zu einer letzten, partiellen Mini-Finsternis über der Arktis und danach ist Schluss.

Die in Deutschland beobachtbare MoFi 2023OKT28 gehört zum Saros 146 und wird partiell im Kernschatten sein. Die gerade Zählnummer zeigt hier aufsteigenden Knoten an, F = 13° bedeutet NACH diesem Knoten und "oben", also nördliches Finsternisgeschehen. Der Mond betritt den nördlichen Kernschatten der Erde nur geringfügig und es kommt zu einer schmalen Verfinsterung des südlichen Rands seiner Scheibe. Der Zyklus ist noch sehr jung und das Geschehen wird sich in seinem weiteren Verlauf während der nächsten Jahrhunderte nach Süden verlagern: Mit zunehmender, rückwärtiger Annäherung an den Knoten werden die Finsternisse größer und irgendwann total im Kernschatten werden, danach wieder kleiner usw.. - keiner von uns wird es beobachten.

Zusammenfassend zeichnen sich Finsternisse eines Saroszyklus aus a. durch das systematische Durchwandern des Arguments der Breite mit folglicher systematischer Verschiebung des Finsternisgeschehens nach Süden oder Norden, b. durch ähnliche ekliptikale Längen des Syzygiums und c. durch ähnliche Anomalien mit der Folge ähnlicher Größenverhältnisse der sich bedeckenden Scheiben. Die meisten dieser Bestimmungsstücke, allen voran die Rolle des Bahnknotens, waren den Alten bekannt und sie hatten auch schon die Idee, Finsternisse in Saros-Zyklen einzuteilen. Der Bahnknoten taucht in mittelalterlichen Notizen als "Drache von rechts" u.ä. auf. Derlei phantastische, für uns unverständliche Ausdrucksweisen sind nur philologisch aufzuhellen, vergleiche dazu aber bis heute gebräuchliche Fachausdrücke wie den eingangs erwähnten drakonitischen Monat.

Zufällig auf dem Zeitpfeil nebeneinander liegende Finsternisse wie die in der Frage von Alexander Funk gelisteten unterscheiden sich demgegenüber in diesen Bestimmungsstücken radikal: Außer dass das Syzygium in einer gewissen Nähe zum Knoten stattfindet und dadurch eine Finsternis erst ermöglicht, gibt es keine weiteren Ähnlichkeiten oder Beziehungen. Auch das erkannten die Alten scheinbar früh, suchten andere Einteilungskriterien und kamen zum Saros.

Die gängigen Listen von Finsternissen eines bestimmten Saros-Zyklus, z.B. die der NASA eclipse web site, bringen leider die eingangs erwähnte und für das Verständnis der geometrischen Gesetzmäßigkeiten entscheidende Kenngröße Argument der Breite (Groß-Delta oder F) nicht. Ich berechne dieselbe nach der Vorschrift in den papiergebundenen Astronomical Algorithms von Jean Meeus (englischsprachige Originalausgabe, Richmond, Virginia, 1991, Kap. Phases of the Moon). Dort gibt es auch Vorschriften für die Anomalien.

R.M., 2021DEZ30
 
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