1. Woche - Das Galaxienpaar NGC 470/474

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Das neue Jahr beginnt mit einem Galaxienpaar aus dem Sternbild Fische: NGC 470 und 474, auch als Arp 227 bekannt. Bildautor Thomas Winterer hatte am 2. Oktober 2021 die Gelegenheit, auf der Edelweißspitze im Großglocknermassiv (Österreich) dieses Motiv als LRGB-Bild aufzunehmen. Das Bildfeld misst 52,2' x 38,6' mit Norden oben und Osten links. Als Teleskop kam ein Eigenbau-Newton 256 mm/1000 mm zum Einsatz, dazu eine CCD-Kamera QSI 683 WSG. Belichtet wurde 100 min für die L-Filterung, und je 50 min für die R-, G- und B-Filterreihe. Bei dem Spiegel handelt es sich um eine selbst geschliffene Optik. Die Montierung ist eine Gemini 53F. Das Autoguiding lief über ein MGEN I. Zum Bildbearbeitungsprozess schreibt der Autor: "Alle Kanäle wurden jeweils im Programm Astroart zu einem bias-, dark- und flatkorrigierten Summenbild zusammengesetzt. Die so entstandenen RGB-Sequenzen wurden ebenfalls in Astroart zu einem Farbbild kombiniert. Das so enstandenen RGB- und auch das Luminanzbild wurden in Fitswork geladen und deren Histogramme so angepasst, dass möglichst viele Bildinformationen und möglichst wenig Rauschen entstand. Sowohl die L- als auch die RGB-Bilder wurden als Tiff gespeichert und in PS CS2 zu einem LRGB zusammengesetzt. Anschließend fand noch eine maskierte Glättung des Hintergrundes und eine leichte Farbanpassung statt."

Was ist über das Galaxienpaar astronomisch bekannt? NGC 470 weist eine Radialgeschwindigkeit von 2585 km/s auf, NGC 474 mit 2412 km/s etwas weniger. Mit der Hubblekonstanten 73,5 km/s/Mpc bedeutet das eine mittlere Entfernung von 34 Mpc (111 Mio. Lj). Nun streuen die Radialgeschwindigkeiten fliehender Galaxien sehr stark, insbesondere für nahe Objekte. Individuelle Messungen von Cappellari et al. (2011) ergaben für NGC 474 eine Entfernung von 29,51 ± 2,09 Mpc, das sind 89 - 103 Mio. Lj. Riess et al. (2018) fanden einen Entfernungsmodul von (32,51 ± 0,11) mag, was auf eine Entfernung von 98,5 - 109 Mio. Lj hinausläuft. Daher nehmen wir hier 100 Mio. Lj an.

Jetzt das Originalbild zum AdW herunterladen, denn es geht in die Feinheiten. NGC 470 liegt bei den Pixelkoordinaten (1220/1131) und NGC 474 bei (884/1123). Auf Anhieb erkennt man einen gewaltigen Unterschied zwischen beiden Galaxien. NGC 470 als Spiralgalaxie des Typs Sbc zeigt eine sehr helle, fast homogene Ringform mit hoher Flächenhelligkeit und mitten drin einen kleinen Kern. NGC 474 als Typus E/S0 hingegen fällt sofort durch ihren diffusen, aber auch hellen Kern auf, der in eine Zone mit abnehmender Flächenhelligkeit übergeht. Um den zentralen Teil wickeln sich diffuse Bögen und Schalen. So etwas ist bei elliptischen Riesengalaxien aber keine Seltenheit. Diese Bögen und Schalen müssen durch einen äußeren Einfluss geformt worden sein - daran besteht kein Zweifel. Die Fachastronomie hat drei Erscheinungsformen für solche umhüllenden Schalenstrukturen festgelegt: Typ I ist durch gut ausgerichtete Schalen gekennzeichnet, Typ II durch eine eher zufällige Schalenanordnung, Typ III schließlich zeigt nur eine zweifelhafte, unbestimmte Anordnung der Schalen (Wilkinson et al. 1987). NGC 474 wird dem Typ II zugerechnet. Bis in die äußersten Partien hat diese Schalenstruktur hier im AdW einen Durchmesser von 7'. Aus dem AdW ergibt sich ein Bildmaßstab von 0,97 Bogensekunden pro Pixel, so dass NGC 474 bis in die äußeren Schalen einen wahren Durchmesser um 200.000 Lj misst. Das ist gewaltig! Für die Nachbargalaxie ergibt sich eine projizierte Distanz von 327", das entspricht 158.000 Lj und ist vergleichbar mit der heliozentrischen Entfernung der Magellanschen Wolken.

Noch etwas zur Schalenstruktur. Dazu bitte das Zusatzbild 1 anschauen. Keinen Schrecken bekommen - es zeigt ein sehr tief belichtetes Bild, das am 3,6-m-Spiegel auf Hawaii entstand (Canada France Hawaii Telescope). Man sieht bei NGC 474 sowohl radial nach außen gerichtete Streamer, aber auch klar rund umgebende Schalen, deren Form nach innen zum Zentrum hin immer sphärischer wird. Für das östliche Schalenstück bei (688/1110) konnten Fench et al. (2020) eine Flächenhelligkeit von 24,8 mag pro Quadratbogensekunde messen (mittels für die g-Filterung blau bis grün). Andere Messungen variieren von 22 bis 25,4 mag pro Quadratbogensekunde im V-Band (Alabi et al. 2020). Für die Astronomen gilt es zu klären, was die Schalen darstellen und wie sie sich entwickelt haben. Und da besteht noch keine Einigkeit. Die einen sehen Hinweise für einen "Merger". Das ist ein Vorgang, bei dem sich ein oder mehrere eingefangene Galaxien mit der Muttergalaxie vermengen. Andere denken an wiederholte gravitative Störungen durch NGC 470. Eines scheint aber aufgrund von spektroskopischen Messungen klar zu sein: Alle Schalen und Streamer sind stellarer Natur. Die radialen Streamer dürften eher Sternströme sein, keine Gezeitenschweife (tidal tails). Bemerkenswert, dass im östlichen Schalenstück Kugelsternhaufen und Planetarische Nebel gefunden wurden (Fench et al. 2020). Auch NGC 470 weist diffuse Arme nach außen auf – ein typischer Hinweis auf eine Wechselwirkung mit NGC 474.

Wieder zum AdW. Rund 11' südwestlich von NGC 470 liegt in der Verlängerung zweier heller Sterne die ebenfalls elliptische Galaxie NGC 467 bei (1772/1513). Sie hat aber nichts mit NGC 470/474 zu tun, da sie etwa doppelt so weit entfernt ist wie unser AdW-Galaxienpaar. Bei genauem Hinsehen stellt man fest, dass auch NGC 467 von einem diffusen, aber unregelmäßigen Halo umgeben ist. Hatte hier die kleine direkt benachbarte Spiralgalaxie LEDA 1249151 bei (1771/1511) einen Einfluss? Ihre Radialgeschwindigkeit wurde noch nie gemessen, also kann sie auch weit im Hintergrund stehen.

Anmerkungen zum AdW: Die Aufnahmeserie entstand unter einem hochalpinen Himmel. Von daher darf man Bilder erwarten, die die Schalenstrukturen kräftiger zeigen. Zum einen könnte das AdW durchaus noch stärker gestreckt und etwas aufgehellter dargestellt werden, denn der Himmel darf für ein solches Objekt ruhig ein wenig heller durchkommen. Zum anderen darf auch klar gesagt werden: Bei einem Öffnungsverhältnis von 1:4 sind 250 min Gesamtbelichtung noch nicht allzu viel. Aber man kennt natürlich nicht die Umstände, die eine längere Belichtungszeit verhindert haben. Eine zweite Sache, die mir sofort auffällt, ist im Zusatzbild 2 verdeutlicht. Darin ist rechts ein Ausschnitt aus dem AdW zu sehen, links der etwa gleiche Ausschnitt aus einer Aufnahme des Sloan Digital Sky Survey. Wohlgemerkt: Es geht mir hier nicht (!!!) darum, dass ein 2,5-m-Teleskop eine bessere Performance hat als ein 10-mal kleineres Amateurteleskop. Das weiß jeder. Es geht mir vielmehr darum, was bei gutem Seeing an feineren Details herauskommt. Was meine ich mit "gutem Seeing"? Eingezeichnet ist der Bildmaßstab von 6 Bogensekunden. Der direkte Vergleich zeigt, dass die erreichte Auflösung im AdW bei ca. 4" liegt. Das ist recht mäßig. Klar, wenn man sich auf der Edelweißspitze befindet, macht man seine geplanten Bilder und packt nicht alles wieder ein zur Heimfahrt. Objektiv gesehen sind 4" aber nicht das Gelbe vom Ei - völlig unabhängig davon, ob hier ein Vergleichsbild mit einem 2,5-m-Teleskop gezeigt wird oder nicht. Bei besserem Seeing wäre auch die stellare Grenzgröße höher. Der mit zwei gelben Balken eingezeichnete Stern kommt nach Auswertung des SDSS auf g = 21,66 mag und r = 21,25 mag. Das ergibt nach Transformation ins V-System 21,42 mag. Und das ist schon mehr als zufriedenstellend. Ich bin sicher, dass Thomas Winterer jetzt nicht über diese Hinweise enttäuscht ist, sondern sie zustimmend verkraften kann.

Das AdW-Team dankt auf jeden Fall für das schöne und nicht allzu häufig gezeigte Motiv und gratuliert herzlich zum Astrofoto der ersten Woche im neuen Jahr 2022. Hiermit möchte ich sowohl dem Bildautor als auch allen AdW-Lesern alles Gute für 2022 wünschen!

Peter Riepe
Bildautor: Thomas Winterer



Koordinaten von NGC 474 (J2000.0):
RA = 01 h 20 min 07 s, DE = +03° 24' 55"

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