34. Woche - Zwei Planetarische Nebel auf einen Streich

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Planetarische Nebel gehören zu den beliebtesten Astro-Motiven. Sie sind vielgestaltig, zeigen interessante interne Strukturen und Farben. Selten gelingt es, zwei PNe gleichzeitig gut aufgelöst abzubilden. Heute zeigt uns Fachgruppenmitglied Michael Deger, wie das geht. Sein Aufnahmeort - Erdweg in Bayern - liegt auf 500 m Höhe. In der Zeit vom 18. zum 20.09.2019 richtete er seinen 10-zölligen Newton (Marke Lacerta) auf HFG 1. Etwas südwestlich dieses PNs liegt der benachbarte Abell 6, der auch noch mit aufs Bild kommen sollte. Entsprechend wurde das Teleskop ausgerichtet. Kamera war eine SBIG ST-8300M mit Filtern von Baader. Der Hα-Filter hat 7 nm Halbwertbreite, [OIII] ebenfalls 8,5 nm, dazu LRGB-Filter. Der Newton hat ein Öffnungsverhältnis von 1:4. Die damit umgesetzte Belichtungszeit war sehr lang: 17 h 20 min. Mit [OIII] wurde 54 x 10 min belichtet, mit Hα 42 x 10 min. Man sollte meinen, dass das reicht. Aber es kamen noch LRGB-Belichtungen hinzu, mit L-Filter 4 x 5 min und je Farbe auch noch 4 x 5 min R, G und B. Mehr dazu in den Anmerkungen. Das Bildfeld ist 58' x 45' groß, Norden oben, Osten links.

Zum Aufnahmemotiv gibt es jetzt für Astronomie-Interessierte einige Informationen. Der PN-Name geht auf die Entdecker zurück: J.N. Heckathorn, R.A. Fesen und T.R. Gull publizierten 1982 einen Fachbericht (Titel: Discovery of a large, high-excitation planetary nebula at l = 136°, b = +5°) in Astron. & Astrophys. 114, 414-418 (hier der Link). Der Nebel wird durch einen etwa 14 mag hellen Stern angeregt. Dabei handelt es sich um den Veränderlichen V664 Cas. R. Montez et al. (2010) berichten, dass der Zentralstern ein enger Doppelstern ist. Seine zentrale Komponente ist ein Unterzwerg des Spektraltyps O mit einer Temperatur von mehr als 60.000 K. Der Begleiter ist ein sonnenähnlicher Hauptreihenstern. Die Rotationsperiode liegt bei 14 Stunden, wobei höchstwahrscheinlich ein „hotspot“ auf der Begleiteroberfläche für den rotationsbedingten Veränderlichen-Effekt sorgt. Die Amplitude von 1,1 mag ist für einen solchen Effekt sehr groß. Hier fließt Materie zum O-Stern, der auf dem Entwicklungsweg zu einem Weißen Zwerg ist. V664 Cas wird auch als kataklysmischer Veränderlicher bezeichnet (V.V. Shimanskii et al. 2004). Darüber hinaus tabellierten H.H. Lanning und M. Meakes den Zentralstern von HFG 1 in einer Arbeit von 1995 schon als UV-strahlenden Stern Lanning 139 tabelliert. Kein Wunder - ein 60.000 K heißer O-Stern erzeugt sehr große Mengen an UV-Strahlung.

Jetzt etwas zur Farbe Planetarischer Nebel. Sie ergibt sich aus der Intensitätssumme aller Farbanteile, sprich: aller Emissionslinien. Typisch für hoch angeregte Nebel ist die Stärke der [OIII]-Emission. Zum Vergleich einmal folgend die festgestellten Linienstärken. Der Astronom legt Hβ generell als Normlinie mit 100 Einheiten fest. Im Vergleich zu Hβ ist [OIII] mit 1590 Einheiten außergewöhnlich stark, Hα ist mit 290 Einheiten ziemlich schwach. Stickstoff [NII] bei 654,8 und 658,3 nm ist nur halb so hell wie Hβ, [SII] wurde nicht gemessen. Der Nebel hat also eine überwältigend blaugrüne Farbe, was das AdW gut vermittelt.

Östlich des Zentralsterns fanden Heckathorn und Kollegen eine Kondensation, die durch eine völlig andere Emission auffiel: Hβ 100, [OIII] 664, [NII] 830, Hα 290 und [SII] 181. Die roten Emissionslinien [NII], Hα und [SII] überwiegen also um 70%, d.h. die Kondensation muss rot herauskommen. Schauen wir ins AdW: Bei der Pixelposition (635/784) gibt es eine kräftig rot leuchtende Stelle. Hierbei dürfte es sich um ein Objekt handeln, das in der Profi-Astronomie als FLIER bekannt ist (fast low-ionization emission region, Balick 1998). Solche schnell fliegenden Emissionsknoten mit starken [NII]-Emissionen sind typisch für viele Planetarische Nebel. In den 1980er Jahren waren die Profis noch immer auf die schwarzweißen POSS-Platten fixiert. Auf die Idee, Farbaufnahmen zu machen, kam damals niemand, weil es spektroskopische Platten gab. Erst die Amateure mussten den nötigen „Schub“ liefern. Und daher veröffentlichte der bekannte R. Weinberger 1999 mit seinen Kollegen eine Untersuchung des galaktischen Äquators zwischen 115° und 157° galaktischer Länge mit Hilfe von POSS-R-Platten. Ziel war die Auffindung von versteckten unbekannten Galaxien. Weinberger stieß dabei auch auf die Kondensation in HFG 1, interpretierte sie jedoch als mögliche ZOAG-Galaxie G136.44+5.57 (LEDA 2797165). Man darf lächeln: Bei seiner Liste von 3500 Galaxien ist Herrn Weinberger die rote Kondensation in HFG 1 schlichtweg als gerötete Galaxie „durchgegangen“. Wer liest auch schon eine damals bereits 17 Jahre alte Fachpublikation von Heckathorn und Kollegen?

Heckathorn und Kollegen bemerkten auf ihrer Entdeckungsaufnahme die unsymmetrische Form des Nebels. Sie nannten die Form „kometarisch“. Im Jahre 2009 fertigten P. Boumis et al. tiefe Aufnahmen von HFG 1 in Hα und [NII] an (siehe Zusatzbild). Es zeigte sich eine mindestens 20' lange Schleppe aus rot emittierendem Gas. Die Autoren denken, dass HFG 1 diesen etwa 100.000 Jahre alten Emissionsschweif hinter sich herzieht, seitdem der Zentralstern in eine Wolke aus interstellarer Materie eingetaucht ist und diese jetzt mit einer Geschwindigkeit von 29 bis 59 km/s durchläuft und dabei ionisiert. Die Astronomen A. Chiotellis et al. konnten bei einer Simulation des Schweifes unter Berücksichtigung der physikalischen Parameter des Sterns V664 Cas eine Entfernung von (490 ± 50) pc abschätzen. Das wären rund 1600 Lichtjahre. Misst man den Durchmesser von HFG 1 direkt im AdW, so ergeben sich 15,1 Bogenminuten. Daraus errechnet sich ein wahrer Durchmesser von 7 Lichtjahren.

Unten rechts sitzt der zweite PN namens Abell 6. Dazu nur kurz: Er hat einen Durchmesser von 190 Bogensekunden, wie sich hier ausmessen lässt. Sein Zentralstern wird von G.O. Abell selbst in seinem Katalog von 1966 mit einer fotografischen Helligkeit von 19 mag angegeben. Acker et al. geben im Strasbourg ESO Catalogue eine Entfernung um 1 kpc (3260 Lichtjahre) an. Die [OIII]-Emission ist um etwa so stark wie für Hα, [NII] und [SII] zusammen. Natürlich sind diese Emissionen unterschiedlich sttark über die PN-Fläche verteilt.

Anmerkungen: Die Sterne zeigen wohlkalibrierte Farben, auch wenn es eine relativ kurze Belichtungszeit war (gemessen an den Belichtungszeiten für die Schmalbandaufnahmen). Was die echte Farbe von HFG 1 betrifft, so sollte man folgende Überlegung anstellen: Die Hα-Belichtungen waren etwa 22% kürzer als die für [OIII]. Nicht bekannt ist, welches Intensitätsverhältnis Hα/[OIII] der Bildautor in seiner Schmalbandsumme effektiv gewählt hat, 1:1 oder evtl. 1,2:1 zur Korrektur? Daher muss man sagen: Es handelt sich bei diesem AdW um eine Falschfarbendarstellung. Und die fällt bei anderen Astrofotografen dann auch zwangsläufig anders aus. Vielleicht auch noch eine Anregung an die Leser zum Schluss: Wer ist bereit, HFG 1 einmal gaaaaaanz lange in Hα zu belichten, um den kometarischen Schweif deutlich in aller Länge abzubilden?

Wieder ein gut gelungenes AdW mit einem interessanten astronomischen Hintergrund. Dafür einen herzlichen Dank an Michael Deger, der auch viel Zeit und Mühe für die Bearbeitung dieses Bildes aufgewendet hat. Und natürlich unsere Gratulation zum Astrofoto der Woche!



Peter Riepe
Bildautor: Michael Deger



Koordinaten (J2000) der Bildmitte:
RA = 03 h 01 min 58 s, DE = +64° 47' 16''


Vollbild unter: https://www.astronomie.de/neuigkeiten/34-woche-zwei-planetarische-nebel-auf-einen-streich/


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Herzlichen Glückwunsch an Michael zum AdW und vielen Dank an Peter für den hochinteressanten Kommentar zu diesem außergewöhnlichen planetarischen Nebel.
Clear Skies
Dieter
 
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