40. Woche - Blitze - luftelektrische Erscheinungen in der irdischen Atmosphäre

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Dem regelmäßigen Leser des AdWs mag es eventuell merkwürdig erscheinen, eine Aufnahme eines irdischen Blitzes als Astrofoto der Woche zu finden. Doch so abwegig ist das Thema nicht, hatten wir doch erst vor einigen Wochen ein AdW zum Polarlicht, welches am Ende auch eine „luftelektrische Erscheinung“ in der Atmosphäre darstellt.

Josef Müller, Mitglied der VdS-Fachgruppe Astrofotografie, zeigt uns heute eine Aufnahme eines sogenannten Linienblitzes während eines irdischen Gewitters. Er schreibt dazu: „Das Foto ist Mitte April 2012 anlässlich eines heftigen Gewitters entstanden. Ich bin zur Aufnahme mit meinem PKW auf die Höhe zwischen Irmtraut (dem kleinen Westerwalddorf, in dem ich wohne) und Seck gefahren. Ich war mir bewusst, dass es nicht ganz ungefährlich ist solches zu tun! War doch Heribert, der landwirtschaftliche Gehilfe meiner Cousine Ursula in den 50er Jahren unmittelbar neben ihr stehend vom Blitz erschlagen worden! Bei dieser Aufnahme habe ich meine Canon EOS 300D mit einem SIGMA DC 18-200 (ISO 100, 15 s, 25 mm Brennweite) auf einem stabilen Manfrotto gehabt. Mein Trost: Der Glaube, dass ich im Auto blitzgeschützt bin! Das ist eigentlich schon alles! Man muss eben für ein solches Foto Glück haben!“

Blitze und Gewitter beschäftigen die Menschheit schon sehr lange und man sollte meinen, man weiß vollständig über ihre Entstehung und Physik Bescheid. Blitze sind auf der Erde allgegenwärtig, aber ihre Entstehung und ihre Physik sind sehr komplex. Der folgende Text ist meteorologisch recherchiert und ziemlich komplex mit Atmosphärenphysik durchsetzt. Er bietet dem Leser aber die Gelegenheit, einmal nähere Fakten und Details zum Thema zu erhalten.

Bereits um 1750 vermutete Benjamin Franklin, dass Gewitter elektrischer Natur sind und empfahl deshalb zum Schutz vor Blitzen den heute allgegenwärtigen Blitzableiter. Wenige Jahre später fand man heraus, dass auch bei schönem Wetter ein elektrisches Feld in der Atmosphäre existiert. Unterhalb von etwa 50 km Höhe besteht der elektrische Strom aus Luft-Ionen, oberhalb von 60 km Höhe übernehmen freie Elektronen diese Funktion. Nahe der Erdoberfläche erzeugt radioaktive Strahlung durch Zerfall von Radium und Thorium diese Teilchen, in der Hochatmosphäre erledigt kosmische Strahlung diesen Part. Die elektrische Leitfähigkeit steigt vom Erdboden her mit zunehmender Höhe deutlich an.

Luftelektrische Versuche wurden früher mit Drachen durchgeführt, an denen ein Draht befestigt war, diese waren aber lebensgefährlich. Heute nutzt man u.a. Raketen, an denen ein dünner und geerdeter Kupferdraht in bis zu 700 m Höhe geschossen wird. An der Spitze des Drahtes erhöht sich das elektrische Feld so stark, dass schlussendlich ein zur Gewitterwolke gerichteter Leitblitz entsteht und dort endet. Der elektrische Strom im Leitblitz verdampft den Kupferdraht und in der Hälfte aller Fälle wird so ein künstlicher Blitz erzeugt, der auf dem von der Rakete und dem Draht vorgezeichneten Weg in die Abschussrampe einschlägt. Andere Methoden verwenden leistungsstarke Laser, um einen ionisierten Blitzkanal zu erzeugen. Pro Jahr treten schätzungsweise 16 Mio. Gewitter mit ca. 3,1 Mrd. Blitzen auf. Das sind stündlich 800 Gewitter mit 30 bis 100 Blitzen je Sekunde. In Mitteleuropa registriert man innerhalb eines Jahres 20 bis 30 Gewittertage, wobei ein Gewittertag per Definition ein Kalendertag ist, in dessen Verlauf mindestens ein Donner gehört wird.

Blitze gehören mit zu den eindrucksvollsten Erscheinungen, wie auch die vorliegende Aufnahme demonstriert. Ihre Physik verbunden mit der komplexen Struktur eines Gewitters ist jedoch so kompliziert, dass auch heute noch nicht alle Mechanismen der Gewitterelektrizität vollständig erklärt sind. Es existieren verschiedene, teils kontrovers diskutierte Hypothesen zu den Vorgängen während eines Gewitters. Dabei geht es im Wesentlichen um die Vorgänge der Ladungstrennung in einer Gewitterwolke. Ein Modell beschäftigt sich mit der elektrostatischen Aufladung durch fortwährende Zusammenstöße der verschiedenen Teilchen, die sich je nach ihrer Größe und damit ihrer Schwerkraftwirkung in verschiedenen Bereichen der Wolke ansammeln. Im Prinzip wird bei diesem Modell die Ladungstrennung durch die Bildung von Niederschlag in der Wolke bewirkt. Ein anderes Modell beschäftigt sich mit mehreren vertikal voneinander getrennten Ladungsschichten.

Übersteigt in einer Gewitterwolke das elektrische Feld die kritische Feldstärke für einen so genannten „dielektrischen Durchschlag“, so entsteht ein Blitz. Dabei wird elektrische in elektromagnetische (sichtbares Licht und Radiowellen) und akustische Energie (Donner) umgewandelt sowie in Wärme. Jede Entladung wird durch eine stufenförmige Vorentladung eingeleitet und pflanzt sich in Schritten von 20 bis 50 m mit etwa einem Sechstel der Lichtgeschwindigkeit fort. Dann verharrt die Vorentladung, um den nächsten Schritt einzuleiten, sodass die Vorentladung in 1/50 s etwa 100 bis 200 Schritte von je einigen 10 m Länge umfasst. Im geschaffenen Entladungskanal ist die Luft teilweise ionisiert. Die sich aus der Wolke vorschiebende Ladung bewirkt an der Erdoberfläche eine zunehmende elektrische Feldstärke, sodass eine leuchtstarke Hauptentladung (Fangentladung) eintritt, wenn sich der Blitzkanal bis auf 100 m dem Erdboden genähert hat. Wenn sich die beiden Entladungen treffen, ist der Leitblitz durch die Fangentladung geerdet. Es sieht zwar so aus, als ob der Blitz vom Himmel zu Erde kommt, aber in Wirklichkeit bewegt sich der Stromstoß durch den Blitzkanal nach oben. Obwohl sich die Vorentladungen in verschiedene Richtungen vorarbeiten, da die Blitzkanäle von der räumlichen Ladungsverteilung bestimmt werden, wird aber letztlich nur ein Kanal als endgültiger Entladungskanal genutzt, sodass wir die verästelten Vorentladungskanäle beim Blitzschlag häufig aufleuchten sehen. Der Entladungskanal erwärmt sich rasch (bis zu 30.000 Kelvin), sodass die Luft stark expandiert, was akustisch als Donner wahrgenommen wird. Alle nachfolgenden Entladungen (Vor- und Hauptentladung) verlaufen ohne Verweilstufen. Zu blitzen hört es auf, wenn in der Wolke nicht mehr genügend Ladungen zum Kanal herantransportiert werden. Beobachtungen von Röntgenstrahlung in der Nähe von Blitzen, die kurz vor der Hauptentladung emittiert wird, bestätigen Vermutungen, dass Blitze Elektronen nahezu auf Lichtgeschwindigkeit beschleunigen können. Die Länge eines Blitzes beträgt i. d. R. 5 bis 6 km, maximal 100 km. Grundsätzlich werden Blitze nach der Ausbreitungsrichtung des Ionisationskanals (abwärts, aufwärts) und nach der Polarität der Wolkenladungen (negativ oder positiv), die zum Boden hin transportiert wird, unterschieden. 85 bis 90% aller Blitzeinschläge pro Jahr in Europa sind negative Wolke-Erde-Blitze. Gewöhnlich werden die Blitze in Linienblitze, Flächenblitze, Perlschnurblitze und Kugelblitze eingeteilt. Unsere Aufnahme zeigt einen Linienblitz. Durch die inverse Darstellung kommen die feinen Vorentladungskanäle sehr schön zur Geltung.

Wir danken dem Bildautor für die imposante Aufnahme eines Blitzes während eines wahrscheinlich frühsommerlichen „Wärme-Gewitters“, das ist einer von mehreren Gewittertypen. Unsere Gratulation zum Astrofoto der Woche!



Jens Leich
Bildautor: Josef Müller



Vollbild unter: https://www.astronomie.de/neuigkeit...e-erscheinungen-in-der-irdischen-atmosphaere/



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