40. Woche - NGC 6823 im Emissionsnebel Sh2-86

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Im heutigen AdW geht es um den etwa 2,2 kpc (~ 7170 Lj) entfernten offenen Sternhaufen NGC 6823 im Sternbild Vulpecula. Er sitzt in dem umgebenden Emissionsnebel Sh2-86 (= LBN 135). Thomas Wahl, frisch gebackenes Fachgruppenmitglied, ist der Autor des Falschfarbenbildes, das nach der Hubble-Palette erstellt wurde. An seiner Privatsternwarte im westfälischen Oer-Erkenschwick richtete er am 11. und 22. Juli 2020 sein Meade LX200 16" EMC mitsamt einer Alccd9 ins Sternbild Schwan und belichtete 16 x 10 min in Hα und je 4 x 30 min in [OIII] und [SII], alles im 2x2-Binning. Die Filter sind von Baader, mit 3,5 nm Halbwertbreite für [OIII] und [SII] sowie 8 nm für Hα. Das Teleskop hat 400 mm Öffnung und mittels Reducer von Starizona eine Brennweite von 2520 mm – sprich: Blende 6,3. Das AdW zeigt ein Bildfeld von 24,5' x 18,2'. Norden ist oben, Osten links.

Was gibt es zu dem Objekt an astronomischem Hintergrundwissen? NGC 6823 ist ein recht junger Sternhaufen im Zentralgebiet der Assoziation Vulpecula OB1. Sein Alter wird auf nur etwa 2 bis 11 Millionen Jahre geschätzt (B. Riaz et al., 2012: Young stellar objects in NGC 6823; Mon. Not. Roy. Astr. Soc. 419, 1887-1912). Das wird durch das Farbenhelligkeitsdiagramm belegt, das außer einer deutlichen oberen Hauptreihe (Sterne mit zentraler Wasserstoff-Fusion zu Helium) auch zahlreiche extrem junge Sterne von 0,6 bis 0,4 Sonnenmassen und einem Alter zwischen 200.000 und 500.000 Jahren zeigt, die gegenwärtig noch nicht einmal das stabile Hauptreihenstadium erreicht haben! Die hellsten und heißesten Haufensterne (V ~ 10 mag) befinden sich in einer kleinen, markanten OB-Gruppe bei den Pixelkoordinaten (1086/782), dazu bitte das Originalbild herunterladen.

Innerhalb des Nebels Sh2-86 gibt es einige „Elefantenrüssel“, wie man sie von vielen jungen HII-Regionen kennt. Der markanteste davon (in etwa in der Bildmitte) hat 5,8' Länge, was einer wahren Ausdehnung von 12 Lichtjahren entspricht. Schaut man genauer hin, so zeigen alle Rüssel auf die oben erwähnte Sternengruppe im Zentrum von NGC 6823. In Sh2-86 wird zudem von dichter Vordergrundmaterie überlagert. Sie erzeugt zwei Absorptionszonen, in denen die Sterne deutlich geschwächt sind, was man auf optischen Bildern aber kaum erahnt: in der ersten um etwa 3 mag, in der zweiten um 10 mag und mehr (siehe Autoren wie zuvor: Riaz et al., 2012). Das bedeutet, dass auch die Sterne in ihren Eigenfarben durchaus stark gerötet sind. Hier im Bild kommt das natürlich nicht zur Geltung, aber in einer RGB-Aufnahme sehr wohl. Zum Schluss noch eine interessante Sache: Am Gornergrat in der Schweiz ergaben neue radioastronomische Untersuchungen in den Wellenlängen des Kohlenmonoxids CO, dass der östliche Bereich von Sh2-86 reich an diesem molekularen Material ist, und zwar haben sich drei Klumpen gebildet (Xu et al., 2012: The open cluster NGC 6823 and possible triggered star formation associated with SNR G59.5+0.1; Astron. & Astrophys. 543, id. A24, 7 pp.). Sie ordnen sich, von Staub überlagert, entlang des Randes einer Schale an, in deren Mittelpunkt der Supernovarest G59.5+0.1 steht (nordwestlich weit außerhalb des Bildes). Dieser SNR hat mit großer Wahrscheinlichkeit zur Bildung einer Fülle junger Sterne in Sh2-86 geführt.

Das AdW gibt allerdings nur den innersten Bereich des Nebels wieder. Wie das größere Feld um Sh2-86 ausschaut, entnimmt man dem Zusatzbild. Als blauer Kreis ist der Reflexionsnebel NGC 6820 eingezeichnet. Das Zentrum des Supernovarestes G59.5+0.1 ist als gelber, kleiner Kreis markiert. Rein optisch ist in Aladin nichts von irgendwelchen Filamenten oder Nebelsträngen zu sehen. Mir ist auch nicht klar, ob irgendein Astrofotograf diesen SNR bereits optisch hat ablichten können. Wahrscheinlich handelt es sich – so wie in vielen anderen Fällen – um einen reinen Radio-SNR, der kein Gegenstück im Optischen besitzt. Und dennoch: Vielleicht versucht es ja jemand einmal mit sehr tiefen Belichtungen … Zentrum: RA = 19 h 42 min 38 s, DE = +23° 35' 00'', Durchmesser: ~32', also vollmondgroß.

Anmerkungen: Für die gemäß Hubble-Palette angefertigten Bilder werden die [OIII]-Belichtungen dem Blaukanal zugeführt, Hα dem Grünkanal und [SII] dem Rotkanal. Nun sind aber engbandig gefilterte Aufnahmen in den genannten Emissionslinien nie gleich gedeckt, weil die Verteilung der chemischen Elemente in allen HII-Regionen, Planetarischen Nebeln und Supernovaresten niemals einheitlich ist. Das Problem stellt meistens die [SII]-Emission dar, weil der ionisierte Schwefel in HII-Regionen nicht die Photonenmenge liefert wie Hα oder [OIII]. Dem Astrofotografen ist das in der Regel wurscht. Das Bildergebnis soll nach der modifizierten Hubble-Palette „schön“ wirken. Das bedeutet im Klartext: Unabhängig von der realen Elementverteilung versucht der Astrofotograf, dem Nebel möglichst eine satt goldgelbe Farbe mit blauem Zentralbereich zu verschaffen. In der Praxis bedeutet das: Mit dem [SII]-Summenbild muss noch einiges passieren, um genügend Nebelsignal im Roten zu bekommen. Hier darf man jedem Astrofotografen seinen persönlichen Geschmack zubilligen. Während die einen ein möglichst buntes Bild anstreben, genügt den anderen eine farblich moderate Darstellung – so auch hier bei Thomas Wahl. Klar, man hätte die Farbsättigung noch kräftig in die Höhe ziehen können. Aber es ist vom Autor nun einmal so gewollt, und das ist völlig in Ordnung.

Dem Bildautor sei hiermit herzlich gedankt, dazu natürlich auch die Glückwünsche des gesamten AdW-Teams zum gelungenen Astrofoto der Woche.



Peter Riepe
Bildautor: Thomas Wahl



Koordinaten (J2000.0) von NGC 6823:
RA = 19 h 43 min 09 s, DE = +23° 18' 00''


Vollbild unter: https://www.astronomie.de/neuigkeiten/40-woche-ngc-6823-im-emissionsnebel-sh2-86/


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...man darf und sollte sich die Gegend auch einmal als visueller Beobachter zutrauen - der Sternhaufen ist wegen des sehr kompakten Erscheinungsbildes sehr schick, NGC 6820 ist auch unter Vorstadthimmel mit einem 12"-Dobson leicht zu knacken.

Stefan Korth
 
Hallo Stefan,
selbst den Sh2-86 sieht man im Teleskop mit einem Nachtsichtgerät und H-alpha - Filter. Sogar der lange "Staubrüssel" ist zu sehen.

cs eike
 
Nach ich diverse Male sogar beidäugig mit Restlichtverstärkern an verschiedenen Ferngläsern gearbeitet habe, ist für mich klar - nee, so etwas mache ich nicht, wenn ich visuell beobachte, dann "Oldschool" und nur mit Okular. Nachtsichtgerät ist für mich Astrofotografie ... irgendwie ;-)

Stefan Korth
 
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