43. Woche - IC 5146 im Cygnus – ein Ruhrgebietsergebnis

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Neben dem Cepheus ist der Schwan (Cygnus) in unseren Breiten ein zenitnahes und an Deep-Sky-Objekten reiches Sternbild. Heute wird ein Klassiker gezeigt, der an der Ostgrenze von Schwan und Eidechse (Lacerta) liegt. Es handelt sich um ein Doppelobjekt: um den von einem leuchtenden Nebel umgebenen Sternhaufen IC 5146. Im Katalog des schwedischen Astronomen P. Collinder ist er auch als Cr 470 aufgelistet. Bildautor ist Thomas Wahl, Mitglied der VdS-Fachgruppe Astrofotografie. Seine Aufnahme entstand im Zeitraum 10., 11., 14. und 18. August 2022 in Oer-Erkenschwick, einer Stadt am Nordrand des Ruhrgebiets. Aufnahmeteleskop war ein selbst gebauter 14-Zoll-Newton von 1600 mm Brennweite, der mit einem zweizölligen ASA-Korrektor 1,175x auf effektiv 1880 mm kommt. Als Kamera wurde eine ALccd-QHY 9 von AstroLumina eingesetzt. An Filtern wurde folgende "Kollektion" an Baader-Filtern gewählt: ein RGB-Filtersatz, ein Hα-Filter (Ultra-Narrowband 3,5 nm), ein Hβ-Filter 8,5 nm und ein [OIII]-Filter 8,5 nm. Bei einer Chiptemperatur von -50°C wurde wie folgt belichtet: RGB je 8 x 300 s, Hα und Hβ je 16 x 600 s, [OIII] 4 x 1800 s - demnach 9 h 20 min Gesamtbelichtunsgzeit. Die Nachführung lief am Off-Axis-Guider über einen Autoguider des Typs Lodestar X2 von Starlight Xpress. Das Bildfeld beträgt 31,5' x 23,8' und Norden liegt oben, Osten links.

Entdeckt wurde IC 5146 im Jahre 1894 vom Heidelberger Max Wolf. Man findet das Doppelobjekt ~10° ostnordöstlich des Nordamerikanebels. Visuell bemerkt man einen Nebel, in dem wie in einem Kokon der unauffällige offene Sternhaufen IC 5146 bzw. Cr 470 steckt, daher auch der populäre Name "Kokon-Nebel" (engl.: cocoon nebula und nicht cocoon cluster). Das Zusatzbild 1 klärt die Objektnatur und zeigt den Anblick des Sternhaufens aus dem "Two Micron All Sky Survey" (2MASS). Dieser nahinfrarote Survey durchdringt den größten Teil der interstellaren Materie und gibt so den Blick auf den Sternhaufen frei, der auch als IR-Sternhaufen [FSR2007] 0308 katalogisiert ist (nach Froebrich, Scholz und Raftery, 2007). Überwiegend haben die Haufensterne visuelle Helligkeiten um 12 mag. Der hellblaue Umkreis von 10' Durchmesser zeigt in seinem Mittelpukt den 9,63 mag hellen Stern BD+46°3474. Dieser Doppel- oder sogar Mehrfachstern hat den Spektraltyp B1V. Das angehängte V ist kein "Vau", sondern eine römische Fünf. Damit ist dem Spektrum B1 die Leuchtkraftklasse der Hauptreihensterne zugefügt. Der Zentralstern ist demnach kein Riese, sondern ein Stern im Bereich der Sonnenmasse. Die Energie von BD+46°3474 reicht für die Anregung der Nebelemission. Zum Nebel selbst: IC 5146 wurde 1955 in einer der ersten Untersuchungen von V.F. Gaze und G.A. Shajn als Emissionsnebel identifiziert und im "Catalogue of emission nebulae" als Nr. 246 publiziert (Izv. Krym. Astrofiz. Obs. 15, 11-30). Vier Jahre später wurde der Sharpless-Katalog veröffentlicht. Etwas nördlich der Position von IC 5146 wird Sh2-125 gelistet, jedoch ohne auf IC 5146 oder auf [GS55] 246 Bezug zu nehmen. Weitere sechs Jahre später folgte Beverly T. Lynds mit ihrem "Catalogue of bright nebulae" (Astrophys. J. Suppl. Ser. 12, 163-185, 1965). Darin ist IC 5146 als Nr. 424 geführt (= LBN 424). Fairerweise gibt Frau Lynds auch die Bezeichnung IC 5146 für ihren LBN 424 an.

Die Entfernung von IC 5146 = [GS55] 246 = Sh2-125 = LBN 424 ist (wie im den letzten AdWs inzwischen an etlichen anderen Beispielen deutlich wurde) nicht einheitlich geklärt. Zur Entfernungsbestimmung erscheinen die gemessenen Gaia-Parallaxen am verlässlichsten. Danach kommt IC 5146 auf eine Entfernung von rund 2700 Lichtjahren. Da sich in jeder Aufnahme der scheinbare Durchmesser eines Objekts ausmessen lässt, kann mithilfe der Entfernung auch der wahre Durchmesser von IC 5146 berechnet werden. Bei einer Nebelausdehnung von 12,2' x 13,2' (Breite x Höhe) ergibt sich für die kleine HII-Region dann 10,3 Lj wahrer maximaler Durchmesser. Das ist wenig im Vergleich etwa zum bekannten Rosettennebel, der auf gute 130 Lj kommt. Aber nicht vergessen: Je heißer der oder gar die anregenden Sterne, desto weitreichender ist die Ionisierung einer HII-Region, so dass der Durchmesser entsprechend größer wird. Und die Kleinheit von IC 5146 passt absolut zum Typ und zum Energieausstoß seines Zentralsterns.

Schaut man sich IC 5146 im AdW an, so sieht man den Zentralstern in der Bildmitte. Einige dunkle Staubsträhnen überziehen die Nebelfläche in der direkten Blickrichtug zu uns. Ringsherum ist der Nebelrand bläulichgrau. Das ist ein klarer Hinweis darauf, dass der Nebel ein Loch in einer umgebenden Staubschicht darstellt. Denn die bläulichgraue Farbe entsteht dadurch, dass am Rand schon Rückstrahlung des gestreuten Lichts von BD+46°3474 in unsere Richtung stattfindet. Und in der Tat: IC 5146 sitzt in einer ausgedehnten Materiewolke, die als nicht sichtbare Molekülwolke mit einer langen Staubwolke kombiniert ist. Weitwinkeligere Aufnahmen zeigen (siehe Zusatzbild 2 aus Aladin), dass diese längliche Dunkelwolke Barnard 168 mit insgesamt 135' Länge von NGC 5146 nach Westen verläuft, wobei sie sich in den dunkelsten Gebieten verzweigt. Wäre das nicht einmal ein schönes weitwinkeliges Motiv? Der Astronom E.E. Barnard selbst machte bereits 1919 in seinem Katalog von 182 Dunkelwolken darauf aufmerksam, dass die längliche Dunkelwolke Nr. 168 an ihrem östlichen Ende einen Nebel aufweist.

Was ist noch erwähnenswert? Rund 9,5' westlich von IC 5146 liegt bei den Pixelkoordinaten (2615/1473) der 10,15 mag helle blaue Riesenstern BD+46°3471 mit dem Spektraltyp A0.5III (Leuchtkraftklasse III = Riese). An seiner Flanke, hier im Bild allerdings nur zu erahnen, befindet sich ein kleiner bläulicher Reflexionsnebel mit der Bezeichnung [RK68] 114 = GN 21.50.7. Die Katalogisierung [RK68] geht auf die (damals noch) sowjetischen Astronomen D.A. Rojkovskij und A.V. Kurchakov zurück. Sie veröffentlichten 1968 in den Transactions des Astrophysikalischen Instituts von Alma-Ata ihren "The catalog of the reflection nebulae". Das Zusatzbild 3 ist vom gezeigten AdW ein wenig aufgesteilt und zeigt dieses Nebelchen gelb umkringelt.

Anmerkung: Thomas Wahl hat einen Standort, der durch Aufhellung des Nachthimmels recht stark "verseucht" wird. Dennoch ist dieses Ergebnis dank der gewählten Filterungen sehr ansprechend. Hier ist also keine so tiefe Astrofotografie möglich, wie bei einigen anderen Bildern von IC 5146 im Netz. Insbesondere leidet zwangsläufig die Farbe Blau durch Lichtverschmutzung. Das Ergebnis soll aber anspornen, auch an ungünstigen Orten wie diesem Deep-Sky-Fotografie zu betreiben.

Wir danken Thomas Wahl für das schöne AdW und gratulieren zum Astrofoto der Woche!



Peter Riepe
Bildautor: Thomas Wahl



Koordinaten (J2000.0) von IC 5146 (Zentralstern):
RA = 21 h 53 min 28,8 s, DEK = +47° 16' 00''


Vollbild unter: https://www.astronomie.de/neuigkeiten/43-woche-ic-5146-im-cygnus-ein-ruhrgebietsergebnis/


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