BOWAP - Bad Observation Weather Alternative Program

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h_c_greier

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In der Wikipedia ist beim Artikel "Himmelsrichtung" folgendes zu lesen:
Himmelsrichtung – Wikipedia

"Ein früher auch bei der Bundeswehr gelehrtes Verfahren zur Bestimmung der Südrichtung mit Hilfe einer Analoguhr mit Zwölfstundenskala ist stark fehlerhaft. Demnach liegt angeblich, wenn man den Stundenzeiger zur Sonne ausrichtet, Süden auf der Winkelhalbierenden zwischen der 12-Uhr-Markierung und dem Stundenzeiger, in der Sommerzeit auf der Winkelhalbierenden zwischen der 1-Uhr-Markierung und dem Stundenzeiger. Tatsächlich kommen in Deutschland je nach Tages- und Jahreszeit dabei Richtungsfehler in der Größenordnung von 45° zustande."

Der Artikel stammt laut Quellenabgabe von
Peter Schröder: Probleme mit der Orientierung? Sterne und Weltraum, 5/2000, Seite 378–379.

Ich bezweilfe nicht, dass es hier klarerweise gröbere Abweichungen gibt, war aber ob dieses Wertes skeptisch und hab mal ein paar Berechnungen angestellt. Ist das wirklich Unfug bzw. wie genau/ungenau ist das wirklich?

Zur Vereinfachung:
SZ... Stundenzeiger
12UM... 12-Uhr-Markierung
Az... Azimut der Sonne
HW... Halbierungswinkel
ÜSW... überstumpfer Winkel (größerer Winkel zur 12UM)


Vorgaben:
o) Man beobachtet die Sonne und dreht eine Analog-Uhr mit dem SZ in Richtung Sonne (d.h. zum Az). Die Südrichtung liegt dann laut Behauptung ungefähr beim HW zur 12UM der Uhr.

o) Der Azimut der Sonne soll von Süd gezählt werden.

o) Sommerzeit sei hier nicht berücksichtigt, man tut so, als wäre immer MEZ und berücksichtigt die entsprechende Stellung des SZ gemäß MEZ.

o) Es sollen nur Uhrzeiten berücksichtigt werden, an denen die Sonne oberhalb des Horizonts steht, also "schlechtestenfalls" Auf-/Untergang (bzw. knapp danach/davor)


Es soll nun z.B. für Deutschland die größte Abweichung der Methode von der wahren Südrichtung gefunden werden.

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Der "Halbierungswinkel" HW zur 12UM der Analog-Uhr:
Zu beachten ist dabei, dass nicht zwangsläufig immer der kleinere Winkel des SZ zur 12UM genommen werden muss. Es kann durchaus vorkommen, dass man den ÜSW (d.h. den größeren Winkel) des SZ zur 12UM benutzen muss, respektive dessen Halbierung. Ich habe noch keine Regel gefunden, unter welchen (extremen) Bedingungen der ÜSW zu nehmen ist, und wann der "normale" kleinere Winkel zur 12UM. Man sieht das lediglich aus der Grafik.


Beispiel:
Zur Sommersonnenwende am 21.6.2019 geht z.B. in Berlin die Sonne um 03:44 MEZ(!) auf. Die Rechnung für 04:00 Uhr MEZ ergibt den Azimut der Sonne von 231.0°. Der Winkel des SZ um 04:00 zur 12UM beträgt 120°. Die Differenz zum Az der Sonne ist dann

231° - 120° = 111°

Um diesen Winkel muss also die Uhr gedreht werden (oder um 360° - 111° = 249°), damit der SZ zum Az zeigt.

Nimmt man nun den kleineren HW zwischen SZ und der 12UM, geht man mit einem Fehler von 9° nach Norden! Hier muss der ÜSW (+180°) auf der anderen Seite genommen werden, damit geht man dann mit einem Fehler von 9° nach Süden.

bsp_berlin_ssw_2019.jpg

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Ich habe mir mal ein kleines Berechnungstool geschrieben, das die Abweichung als Grafik ausgibt. Dabei habe ich noch kein Event gefunden, das eine Abweichung von 45° hat. Die größte Abweichung für Deutschland gab es mit ca. 32°, was zwar viel ist, aber immerhin weniger als die behaupteten 45°.

Auf einer nautischen Windrose werden 90° in 8 Teile zu je 11.25° aufgeteilt. Bei 45° Fehler geht man nach SO bzw. SW, bei einem maximalen Fehler von 32° immerhin noch nach SOzS bzw. SWzS. In vielen Fällen ist der Fehler aber geringer.

Weitere Beispiele:

Aachen 6°05'O, 50°47'N
16.3.2019 um 10:00 MEZ
Az = 312.6°
Winkel SZ zur 12UM = 60°
HW: 30°
Drehung der Uhr: 12.6° oder 347.4°
Fehler: -17.4° (Richtung Ost)


Aachen 6°05'O, 50°47'N
20.10.2019 um 16:30 MEZ
Az = 61.8°
Winkel SZ zur 12UM = 135°
HW: 67.5°
Drehung der Uhr: 73.2° oder 286.8°
Fehler: -5.7° (Richtung Ost)


Graz 15°22'O, 47°05'N
18.6.2019 um 15:00 MEZ
Az = 72.6°
Winkel SZ zur 12UM = 90°
HW: 45°
Drehung der Uhr: 17.4° oder 342.6°
Fehler: +27.6° (Richtung West)


Graz 15°22'O, 47°05'N
25.11.2019 um 15:00 MEZ
Az = 45.3°
Winkel SZ zur 12UM = 90°
HW: 45°
Drehung der Uhr: 44.7° oder 315.3°
Fehler: +0.3° (Richtung West)

Natürlich stellt sich die Frage, wie genau man den HW auf der Uhr überhaupt ablesen kann. Es scheint vor allem im Juni rund um die SSW die größten Abweichungen >25° zu geben. Ich werde noch versuchen herauszufinden, warum?

Viel Spass beim Rumtüfteln.
cs,

harald

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Harald, es gibt ja Länder wie China mit einer extrem weiten Zeitzone, welche fast 60° an Längenunterschied abdeckt. Da könnte ich mir sowas vorstellen.

In Mitteleuropa kommt man zwischen der Ostgrenze von Polen und der Westgrenze von Spanien innerhalb der MEZ-Zone auf einen maximalen Längenunterschied von gut 34°. Da kann also die MEZ-Zeit für Sonnenaufgang schon um gut zwei Stunden variieren. Dazu kommen noch jahreszeitliche Differenzen von bis zu 15 Minuten wegen der Zeitgleichung.

Wenn man also mit einer Uhr, die zwei Stunden von der lokalen Ortszeit abweicht, die Sonne anpeilt, wie groß ist dann der Fehler im Azimut? Am 21. Juni oben am Polarkreis läuft die Sonne direkt am Horizont um, da käme man dann auf einen Azimutfehler von bis zu 30° für die Südrichtung.

Gruß, Peter
 
Zuletzt bearbeitet:
Hallo Peter,

ja das stimmt schon alles! ;)
Ich möchte hier aber nicht auf die Extreme (also nix Ostgrenze von Polen und der Westgrenze von Spanien ) hinaus, sondern auf den deutschsprachigen Raum Mitteleuropas. So wie es im SuW behauptet wird. Und dort steht ja, dass es beim Militär in D so gelehrt wurde, übrigens auch in Ö.
Extremwerte für Deutschland könnten z.B. sein:
West-Ost: Aachen - Frankfurt/Oder
Und was das Kriterium ist, wann der kleinere Winkel *nicht* zu nehmen ist. Und wie die Abweichungen verteilt über das Jahr aussehen, je nach Ort und Uhrzeit.
Im Übrigen hängt der Azimut der Sonne ja auch von der Breite ab, vielleicht gibt es da kompensatorische Effekte.

cs,
harald

--
 
Ok, Harald, also nur für den deutschen Sprachraum!

Da wird man aber, wie Du ja schon gezeigt hast, keine Abweichungen von 45° (wie angeblich in dem Wikipedia-Artikel behauptet) finden.

Ich habe die Sache mal für Frankfurt a.M. für das ganze Jahr und alle relevanten Tageszeiten durchgespielt und komme auch nur im Juni/Juli, wenn die Sonne besonders hoch steht, zu größeren Abweichungen bis maximal 31°. Andere geografische Punkte im deutschen Sprachraum ergeben ähnliche Ergebnisse, die nur entsprechend dem jeweiligen Unterschied in der geografischen Länge geringfügig zeitlich verschoben sind.

Die Tabelle listet die Differenz zwischen dem tatsächlichen Azimut, wie er mir von TheSkyX angegeben wird, und dem nach der Uhrmethode geschätzten Azimut. Wobei ich mich da gar nicht explizit mit Winkelhalbierenden etc. befasse, sondern den aus der Zeit T in Stunden berechneten Winkel [(T - 12)/24] * 360° mit dem tatsächlichen Azimut der Sonne vergleiche. Das sollte nach meinem Verständnis auf dasselbe hinauslaufen.

Um der Ursache der jahreszeitlich wechselnden Abweichungen auf die Spur zu kommen, kann man natürlich die bekannte Formel für den Azimutwinkel, wie sie z.B. bei Wikipedia zu finden ist, betrachten:

tan A = sin h / (cos h sin phi_0 - tan delta cos phi_0)

dabei ist

A = Azimutwinkel der Sonne

h = Stundenwinkel der Sonne

phi_0 = geografische Breite

delta = Deklination der Sonne zum betrachteten Zeitpunkt

Man kann jetzt verschiedene Spezialfälle betrachten und daraus schon einige Einsichten gewinnen:

(a) An den geografischen Polen (phi_0 = +-90°) fällt das Azimutal- und das Äquatorialsystem zusammen und wir haben

A = h

In diesem Spezialfall liefert der aus der Zeit bestimmte Stundenwinkel direkt den Azimutwinkel. Dort sollte deshalb die Uhrmethode ohne Fehler funktionieren.

(b) Am Äquator (phi_0 = 0) und in der Zone zwischen den Wendekreisen kann die Sonne ja bis zum Zenit aufsteigen. Für diesen Punkt ist überhaupt gar kein Azimut definiert und selbst außerhalb vom Zenitpunkt lässt sich in der Mittagszeit kaum ein vernünftiger Azimutwinkel bestimmen. Die Methode mit der Uhr versagt dann aus grundsätzlichen und auch aus praktischen Gründen.

(c) Und was kann man für unsere geografische Breite (phi_0 ~ 50°) sagen?

In diesem Fall haben wir

tan A = sinh / (0,7660 cos h - 0,6428 tan delta)

(c1) delta = 0 (Sonne auf dem Äquator, also am 21. März und am 23. September):

tan A = 1,3055 tan h

Machen wir mal eine Tabelle:

Code:
    h        A         A - h

    0        0           0
  +-10°   +-12,96°   +-2,96°
  +-20°   +-25,41°   +-5,41°
  +-30°   +-37,01°   +-7,01°
  +-40°   +-47,61°   +-7,61°
  +-50°   +-57,27°   +-7,27°
  +-60°   +-66,14°   +-6,14°
  +-70°   +-74,42°   +-4,42°
  +-80°   +-82,31°   +-2,31°
  +-90°   +-90           0

Im Frühjahr und im Herbst, wenn die Sonne dicht am Himmelsäquator steht, erwarten wir also nur geringe Winkelabweichungen mit der Uhrmethode!

(c2) delta = +23,5° (hoher Sonnenstand im Sommer)

tan A = sin h / (0,7660 cos h - 0,2795)

Jetzt sieht die Tabelle so aus:

Code:
   h         A         A - h
   0         0           0
+-10°    +-20,09°     +-10,09°
+-20°    +-37,84°     +-17,84°
+-30°    +-52,48°     +-22,48°
+-40°    +-64,45°     +-24,45°
+-50°    +-74,47°     +-24,47°
+-60°    +-83,18°     +-23,18°
+-70°    -+88,93°    -+158,93°  ???

Bis zu h = +-60° läuft der Azimut dem Stundenwinkel bis zu 25° voraus. Oberhalb von h = +-60° springt er aber gewaltig an und wechselt sogar das Vorzeichen. Vermutlich hört dort der sinnvolle Parameterereich auf.

(c3) delta = -23,5° (tiefer Sonnenstand im Winter)

tan A = sin h / (0,7660 cos h + 0,2795)

Code:
   h        A          A - h

   0        0           0
+-10°    +-9,53°     -+0,47°
+-20°   +-18,89°     -+1,11°
+-30°   +-27,94°     -+2,06°
+-40°   +-36,57°     -+3,42°
+-50°   +-44,78°     -+5,22°
+-60°   +-52,58°     -+7,42°
+-70°   +-60,05°     -+9,95°
+-80°   +-67,27°    -+12,73°
+-90°   +-74,38°    -+15,62°

Im Winter divergieren h und A also erheblich weniger, als im Sommer, was die Tabelle unten auch zeigt.

Um das Ganze auf eine simple Quintessenz zu kondensieren: die Uhrmethode funktioniert gut im Frühjahr, im Herbst und im Winter, aber weniger gut, wenn sie hoch steht. Abweichungen von 45° (wie bei Wikipedia behauptet) kann ich nicht nachvollziehen.

Gruß, Peter

Winkelfehler-in-der-Bestimmung-des-Sonnenazimuts-nach-der-Uhrmethode.jpg
 
Zuletzt bearbeitet:
Hallo Peter,

vielen Dank für deinen ausführlichen Beitrag und die schöne Zusammenstellung der Daten!

Bis zu h = +-60° läuft der Azimut dem Stundenwinkel bis zu 25° voraus. Oberhalb von h = +-60° springt er aber gewaltig an und wechselt sogar das Vorzeichen. Vermutlich hört dort der sinnvolle Parameterereich auf.

Erscheint mir logisch, weil da ist man ja nördlich des Wendekreises und die Sonne eventuell gar nicht untergeht, die Berechnung daher einen falschen Wert zurückgibt...

Um das Ganze auf eine simple Quintessenz zu kondensieren: die Uhrmethode funktioniert gut im Frühjahr, im Herbst und im Winter, aber weniger gut, wenn sie hoch steht. Abweichungen von 45° (wie bei Wikipedia behauptet) kann ich nicht nachvollziehen.

Darauf wollte ich auch hinaus. Mir kam die Aussage "...bis zu 45°" spanisch vor. Ich habe gar nicht über die Auf-/Untergänge hinweg gerechnet, sondern nur für Sonne oberhalb des Horizonts, wenn man also für unsere mittleren Breiten die Wintermonate heranzieht in etwa 08:00 bis 16:00 Uhr MEZ.

Für Frankfurt am Main bekomme ich Folgendes:

FrankfurtMain_2019.jpg


Wie du bestätigst gibt es die größten Abweichungen Ende Juni, wobei die negativen Abweichungen (Richtung West) größer sind als die positiven Abweichungen.

Als größte Abweichung habe ich für Frankfurt am 28.6.2019 um 09:28 MEZ mit -31.5° erhalten. Ein paar Tage davor und danach dasselbe, die Daten ändern sich ja nicht sehr stark zu dieser Jahreszeit.

Für Graz 15°22'E/47°05'N erhalte ich

Graz_2019.jpg


Maximale Abweichung: 25.6.2019 um 09:20 MEZ mit -27.8°


Summa Summarum:
Die Aussage im SuW/Wikipedia stimmt so nicht.


cs,
harald

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