Hallo zusammen,
Der Fall Giordano Bruno und der Fall Galilei sind meines Erachtens gar nicht miteinander zu vergleichen. Bruno ist nicht hingerichtet worden, weil er Kopernikaner war, sondern weil er Grundauffassungen der christlichen Religion bestritten hat. Seines Erachtens war Christus im Bund mit bösen Dämonen und das ganze Christentum hielt er für eine trügerische Erfindung der „leprösen Rasse“ der Juden.
Galilei glaubte dagegen, daß das, was in der Bibel steht, wahr ist. Die Bibel ist aber ein sperriges Dokument, das über einen Zeitraum von 1000 Jahren hinweg entstanden ist und israelitische, aber auch ägyptische, babylonische und griechische Vorstellungen enthält. Daß man bei der Interpretation solcher Texte methodisch flexibel sein muß, haben die Theologen immer schon gesagt. Manche Aussagen der Bibel darf man ihnen zufolge gar nicht wörtlich nehmen, sondern man muß sie bildlich oder symbolisch deuten, z.B. die Aussage, Gott habe die Welt in 6 Tagen geschaffen. Der Kirchenvater Augustinus (+ 430), auf den auch Galilei sich beruft, meinte, daß man dort, wo der Wortlaut der Bibel im Widerspruch steht zu wissenschaftlich bewiesenen Aussagen, die Bibel nicht wörtlich genommen werden darf, sondern symbolisch ausgelegt werden muß. Denn schließlich könne es nicht zwei einander widersprechende Wahrheiten geben.
Genau darum ging es im Fall Galilei überhaupt und in seinem Brief an Castelli im Besonderen. Galilei meinte, daß das Kopernikanische Weltbild wissenschaftlich bewiesen sei und daß deshalb die geozentrisch klingenden Stellen der Bibel nicht wörtlich, sondern bildlich zu verstehen seien. Galileis Kritiker dagegen, allen voran Kardinal Bellarmin, wendeten ein, daß das Kopernikanische Weltbild keineswegs bewiesen sei. Zwar sprach die Venusphase klar für Kopernikus, aber die fehlende Fixsternparallaxe sprach ebenso klar dagegen, wie auch die falsche Vorhersage der Marsposition (Kopernikus und Galilei arbeiteten fälschlich mit kreisförmigen Planetenbahnen) sowie einige andere Phänomene. Außerdem hatte Galilei in seiner Begeisterung für die Bewegung der Erde behauptet, die Gezeiten würden nicht durch den Mond bewirkt, sondern durch die Axialdrehung der Erde. (Das Wasser in den Ozeanen schwappt demnach hin und her, weil die Erde um ihre Achse rotiert.) Das hat ihm damals keiner abgenommen, und es ist ja auch falsch. Das Kopernikanische System hat er damit aber zusätzlich unglaubwürdig gemacht. Die Kirche hatte mit Kopernikus im 16. Jh. eigentlich keine Probleme, weil man dessen Theorie als bloß mathematisches Modell betrachtete, wie Kopernikus selbst es ja auch erklärte, und nicht als Aussage über die physikalische Realität an sich. Als ein mathematisches Modell wurde es kirchlich sogar sehr geschätzt und Papst Gregor XIII. machte es bekanntlich zur Grundlage seiner Kalenderreform (1582).
Die Inquisitoren verlangten von Galilei, das Kopernikanische System weiterhin bloß als mathematisches Modell zu behandeln und nicht zu behaupten, es handele sich hier um eine bewiesene wissenschaftliche Theorie über den Kosmos. Da die Wahrheit des Kopernikanischen Systems damals tatsächlich nicht bewiesen war, befand sich die kritische Rationalität eher auf der Seite der Inquisition als auf der Seite Galileis.
Die neu aufgefundene Originalhandschrift des Briefes Galileis an Castelli wirft kein gutes Licht auf Galilei. Diesen Brief, der damals weit zirkulierte, gab ein gewisser Pater Lorini an die kirchlichen Behörden weiter, weil er meinte, daß dort vorschnelle Behauptungen aufgestellt würden. Galilei erfuhr davon, überarbeitete seinen Brief und sorgte dafür, daß Kardinal Bellarmin ihn erhielt. Zugleich äußerte er den Verdacht, daß Pater Lorini den Brief verfälscht und verschärft habe, um ihm die Inquisition auf den Hals zu schicken. Der neue Handschriftenfund in den Royal Society Archives beweist aber, daß Lorini den Text keineswegs verändert hat, und daß die ursprüngliche, schärfere Formulierung tatsächlich von Galilei selbst stammt. Galilei hat also gelogen. Statt zuzugeben, daß er seinen Brief selbst korrigiert hat, beschuldigte er wider besseres Wissen Lorini des Fälschens.
Wenn man sich die Überarbeitung seines Briefes an Castelli durch Galilei selbst im Detail ansieht, schrumpft die Sensation des Funds allerdings beträchtlich, und man fragt sich, wieso Galilei diese Fälschungsgeschichte erfunden hat. Eigentlich gibt es sich nur zwei halbwegs signifikante Veränderungen.
1) Der Satz:
„In der heiligen Schrift findet man viele Aussagen, die falsch sind, wenn man sie wörtlich versteht“,
wird ersetzt durch:
„In der heiligen Schrift findet man viele Aussagen, die als von der Wahrheit abweichend erscheinen, wenn man sie wörtlich versteht.“
2) Der Satz:
„Die heilige Schrift hat sich nicht davon enthalten, ihre wichtigsten Lehren zu verändern“, wird ersetzt durch:
„Die heilige Schrift hat sich nicht davon enthalten, ihre wichtigsten Lehren zu verschleiern.“
Galilei ersetzt also „falsch“ durch „von der Wahrheit abweichend“, und „verändern“ durch „verschleiern“. Das sind aber bloß Nuancen des Ausdrucks.
Insgesamt setzt Galilei immer die theologische Lehre voraus, daß die Bibel manchmal eben nicht direkt die Wahrheit sagt, sondern diese Wahrheit verschleiert in Bildern und Symbolen ausdrückt. Solche Stellen dürfen dann nicht wörtlich verstanden werden, sondern nur bildlich, denn sonst entstehen Irrtümer. Das geschehe zum Beispiel dann, wenn man die geozentrisch klingenden Stellen wörtlich nimmt, denn es sei ja bewiesen, daß das Kopernikanische Weltbild richtig sei. Nur war es damals eben nicht bewiesen. Deshalb sahen die Theologen keinen Grund, von der wörtlichen Deutung dieser Stellen abzurücken. Die Diskussionslage änderte sich erst viel später, als man die Fixsternparallaxe tatsächlich messen und die Erddrehung nachweisen konnte und als man die Newtonschen Gesetze hatte. Damit konnte dann (nicht das Kopernikanische, aber) das Keplersche Weltbild als bewiesen gelten und die Theologen mußten zu einer bildlichen Deutung der entsprechenden Bibelstellen übergehen.
Viele Grüße
Johannes
P.S. Sorry für die Länge, aber der Mythos von Galilei als einem Wissenschaftshelden ist ebenso unausrottbar wie falsch, und dagegen wollte ich mal was sagen.