Galileo und die Kirche

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P_E_T_E_R

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Ein seit langem vermisstes Briefdokument von Galieo aus dem Jahr 1613, bei dem es um seine Einschätzung von Bibeltexten mit naturwissenschaftlichem Bezug geht, ist in der Royal Society Library aufgetaucht. Verschiedene Kopien dieses Briefes mit unterschiedlich kritischer Wortwahl zur kirchlichen Doktrin existierten schon damals in Galileos Bekanntenkreis, die dann, teilweise sogar auf Betreiben von Galileo, der Kirche zugespielt wurden und beim Inquisitionsprozess eine nicht unwesentliche Rolle spielten.

Aus der nun entdeckten Originalversion des handgeschriebenen Briefes, in der Galileo besonders brisante Formulierungen durchgestrichen und durch harmlosere ersetzt hat, geht jedenfalls hervor, dass ihm durchaus klar war, wie gefährlich seine wissenschaftlichen Einsichten für ihn werden könnten. Giordano Bruno war im Jahr 1600 öffentlich auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden. Bei Galileo beließ man es mit Hausarrest.

Nature Discovery of Galileo’s long-lost letter shows he edited his heretical ideas to fool the Inquisition

Long lost Galileo letter found at Royal Society library
 
P_E_T_E_R, interssante Details, Es ist eine gefaehrliche Sache die Ansichten der "G.O.D.s" ( Guardian Of Doctrines, Hueter des Galaubens) zu untergraben. Oft lebensgefaehrlich. Galileo war Meister die Verhuellung und den Hohn zu gebrauchen, um diese Konsequenzen zu vermeiden, In diesem Brief versteckte, irrefuehrende Redaktionen?
Meine Gallilea best Umschreibung in Brief geschrieben : "Die Dame verwandelt sich" fuer die mondartige Venus Ansicht, nur mit Vergroesserung zu sehen, und Beweis, dass der Planet sich um die Sonne bewegt.
danke: vom gutmensche
 
Ist bekannt und ich denke nicht nur Galileo hatte damit Probleme damals gegen die Kirche zu wettern. Das eine ist Wissenschaft und das andere ist Glauben. Und Glauben heißt nix wissen. War schon immer so.
 
Nicht zu vergessen, dass auch Johannes Keppler in Prag, aus seiner Kirchengemeinde rausgeschmissen (exkuminikiert) wurde, weil er dem Prediger dessen Bibel-Widersprueche nachwies. " Derjenige mit Denkvermoegen wird gehasst"
Interessant dass Galileio einem Mit-ungleubigen, eine verschleierte Botschaft sendete, anzeigend, dass auch Venus, wie der Mond, durch Phasen geht ( die Frau [ Venus] wechselt Ihre Form). Um die Helio-zentrale Wahrheit zu beweisen.
Fantastische Leute die mit dem Kosmos so weit wie moeglich in Harmonie waren, egal was komme.
Gruesse: guenter.
 
Interessant dass Galileio einem Mit-ungleubigen, eine verschleierte Botschaft sendete, anzeigend, dass auch Venus, wie der Mond, durch Phasen geht ( die Frau [ Venus] wechselt Ihre Form). Um die Helio-zentrale Wahrheit zu beweisen.

Die Phasen von Venus und Merkur widerlegen aber nur die konventionellen geozentrischen Systeme, nicht aber das System von Tycho Brahe, welches sich in Bezug auf kinematische Phänomene, also insbesondere die gegenseitigen Abstände, Phasen und Ephemeriden nicht vom heliozentrischen System unterscheidet, jedoch anstelle der Sonne die Erde im Raum fixiert. Was natürlich in Hinblick auf die Befindlichkeiten der Kirche sehr clever war. Der endgültige Beweis der Erdbewegung folgte erst wesentlich später.

Siehe dazu auch Erklärung der Geozentriker des 16. Jhdt.
 
Hallo zusammen,

Der Fall Giordano Bruno und der Fall Galilei sind meines Erachtens gar nicht miteinander zu vergleichen. Bruno ist nicht hingerichtet worden, weil er Kopernikaner war, sondern weil er Grundauffassungen der christlichen Religion bestritten hat. Seines Erachtens war Christus im Bund mit bösen Dämonen und das ganze Christentum hielt er für eine trügerische Erfindung der „leprösen Rasse“ der Juden.

Galilei glaubte dagegen, daß das, was in der Bibel steht, wahr ist. Die Bibel ist aber ein sperriges Dokument, das über einen Zeitraum von 1000 Jahren hinweg entstanden ist und israelitische, aber auch ägyptische, babylonische und griechische Vorstellungen enthält. Daß man bei der Interpretation solcher Texte methodisch flexibel sein muß, haben die Theologen immer schon gesagt. Manche Aussagen der Bibel darf man ihnen zufolge gar nicht wörtlich nehmen, sondern man muß sie bildlich oder symbolisch deuten, z.B. die Aussage, Gott habe die Welt in 6 Tagen geschaffen. Der Kirchenvater Augustinus (+ 430), auf den auch Galilei sich beruft, meinte, daß man dort, wo der Wortlaut der Bibel im Widerspruch steht zu wissenschaftlich bewiesenen Aussagen, die Bibel nicht wörtlich genommen werden darf, sondern symbolisch ausgelegt werden muß. Denn schließlich könne es nicht zwei einander widersprechende Wahrheiten geben.

Genau darum ging es im Fall Galilei überhaupt und in seinem Brief an Castelli im Besonderen. Galilei meinte, daß das Kopernikanische Weltbild wissenschaftlich bewiesen sei und daß deshalb die geozentrisch klingenden Stellen der Bibel nicht wörtlich, sondern bildlich zu verstehen seien. Galileis Kritiker dagegen, allen voran Kardinal Bellarmin, wendeten ein, daß das Kopernikanische Weltbild keineswegs bewiesen sei. Zwar sprach die Venusphase klar für Kopernikus, aber die fehlende Fixsternparallaxe sprach ebenso klar dagegen, wie auch die falsche Vorhersage der Marsposition (Kopernikus und Galilei arbeiteten fälschlich mit kreisförmigen Planetenbahnen) sowie einige andere Phänomene. Außerdem hatte Galilei in seiner Begeisterung für die Bewegung der Erde behauptet, die Gezeiten würden nicht durch den Mond bewirkt, sondern durch die Axialdrehung der Erde. (Das Wasser in den Ozeanen schwappt demnach hin und her, weil die Erde um ihre Achse rotiert.) Das hat ihm damals keiner abgenommen, und es ist ja auch falsch. Das Kopernikanische System hat er damit aber zusätzlich unglaubwürdig gemacht. Die Kirche hatte mit Kopernikus im 16. Jh. eigentlich keine Probleme, weil man dessen Theorie als bloß mathematisches Modell betrachtete, wie Kopernikus selbst es ja auch erklärte, und nicht als Aussage über die physikalische Realität an sich. Als ein mathematisches Modell wurde es kirchlich sogar sehr geschätzt und Papst Gregor XIII. machte es bekanntlich zur Grundlage seiner Kalenderreform (1582).

Die Inquisitoren verlangten von Galilei, das Kopernikanische System weiterhin bloß als mathematisches Modell zu behandeln und nicht zu behaupten, es handele sich hier um eine bewiesene wissenschaftliche Theorie über den Kosmos. Da die Wahrheit des Kopernikanischen Systems damals tatsächlich nicht bewiesen war, befand sich die kritische Rationalität eher auf der Seite der Inquisition als auf der Seite Galileis.

Die neu aufgefundene Originalhandschrift des Briefes Galileis an Castelli wirft kein gutes Licht auf Galilei. Diesen Brief, der damals weit zirkulierte, gab ein gewisser Pater Lorini an die kirchlichen Behörden weiter, weil er meinte, daß dort vorschnelle Behauptungen aufgestellt würden. Galilei erfuhr davon, überarbeitete seinen Brief und sorgte dafür, daß Kardinal Bellarmin ihn erhielt. Zugleich äußerte er den Verdacht, daß Pater Lorini den Brief verfälscht und verschärft habe, um ihm die Inquisition auf den Hals zu schicken. Der neue Handschriftenfund in den Royal Society Archives beweist aber, daß Lorini den Text keineswegs verändert hat, und daß die ursprüngliche, schärfere Formulierung tatsächlich von Galilei selbst stammt. Galilei hat also gelogen. Statt zuzugeben, daß er seinen Brief selbst korrigiert hat, beschuldigte er wider besseres Wissen Lorini des Fälschens.

Wenn man sich die Überarbeitung seines Briefes an Castelli durch Galilei selbst im Detail ansieht, schrumpft die Sensation des Funds allerdings beträchtlich, und man fragt sich, wieso Galilei diese Fälschungsgeschichte erfunden hat. Eigentlich gibt es sich nur zwei halbwegs signifikante Veränderungen.
1) Der Satz:
„In der heiligen Schrift findet man viele Aussagen, die falsch sind, wenn man sie wörtlich versteht“,
wird ersetzt durch:
„In der heiligen Schrift findet man viele Aussagen, die als von der Wahrheit abweichend erscheinen, wenn man sie wörtlich versteht.“
2) Der Satz:
„Die heilige Schrift hat sich nicht davon enthalten, ihre wichtigsten Lehren zu verändern“, wird ersetzt durch:
„Die heilige Schrift hat sich nicht davon enthalten, ihre wichtigsten Lehren zu verschleiern.“

Galilei ersetzt also „falsch“ durch „von der Wahrheit abweichend“, und „verändern“ durch „verschleiern“. Das sind aber bloß Nuancen des Ausdrucks.

Insgesamt setzt Galilei immer die theologische Lehre voraus, daß die Bibel manchmal eben nicht direkt die Wahrheit sagt, sondern diese Wahrheit verschleiert in Bildern und Symbolen ausdrückt. Solche Stellen dürfen dann nicht wörtlich verstanden werden, sondern nur bildlich, denn sonst entstehen Irrtümer. Das geschehe zum Beispiel dann, wenn man die geozentrisch klingenden Stellen wörtlich nimmt, denn es sei ja bewiesen, daß das Kopernikanische Weltbild richtig sei. Nur war es damals eben nicht bewiesen. Deshalb sahen die Theologen keinen Grund, von der wörtlichen Deutung dieser Stellen abzurücken. Die Diskussionslage änderte sich erst viel später, als man die Fixsternparallaxe tatsächlich messen und die Erddrehung nachweisen konnte und als man die Newtonschen Gesetze hatte. Damit konnte dann (nicht das Kopernikanische, aber) das Keplersche Weltbild als bewiesen gelten und die Theologen mußten zu einer bildlichen Deutung der entsprechenden Bibelstellen übergehen.

Viele Grüße
Johannes

P.S. Sorry für die Länge, aber der Mythos von Galilei als einem Wissenschaftshelden ist ebenso unausrottbar wie falsch, und dagegen wollte ich mal was sagen.
 
Hallo Johannes,

ich bin dir sehr dankbar für deinen Beitrag. Ich war nämlich schon drauf und dran, mich auch dazu ausführlicher zu äußern. Du hast mir aber viel Mühe abgenommen.(y)

... der Mythos von Galilei als einem Wissenschaftshelden ist ebenso unausrottbar wie falsch, ...

Vielleicht noch einige Ergänzungen dazu, insbesondere zur Rolle Tycho Brahes. Zur Zeit der Beobachtungen ohne Teleskop war man der Ansicht, dass Sterne eine Größe von 2 Bogenminuten haben. Hiervon ist auch Tycho Brahe ausgegangen. Aufgrund der Tatsache, dass die Fixsterne innerhalb der damaligen Messgenauigkeit (etwa 1 Bogenminute) keine Parallaxe zeigten, hat Brahe die Mindestgröße der Sterne abgeschätzt. Dabei kam natürlich eine unvorstellbare Größe heraus, so dass damals für Brahe das kopernikanische Modell völlig absurde Konsequenzen implizierte. Interessanterweise argumentierte die Mehrheit der Kopernikaner gegen Brahes Berechnungen mit theologischen Argumenten. Danach würde diese enorme Größe der Sterne eben ein Zeichen der göttlichen Allmacht sein.

Der Mythos "Kirche gegen Wissenschaft" hält sich leider nach wie vor extrem hartnäckig. Ich habe mir schon oft Gedanken gemacht woran das liegt. Meine Theorie ist folgende:

1.) Insbesondere viele naturwissenschaftlich interessierte Menschen sind nicht bereit sich mit der tatsächlichen Komplexität der Geschichte außeinanderzusetzen. Stattdessen gehen sie den bequemen Weg eines glattgebügelten Weltbildes. Die Ironie des ganzen: Sie werfen der "Kirche" des 16. und 17. Jahrhunderts Ignoranz vor und merken nicht, dass ihre eigene Ignoranz der Geschichte gegenüber noch viel größer sind.

2.) Es erscheint vielen Naturwissenschaftlern elegant ihren Büchern eine historische Einführung zu geben. (Ist es ja eigentlich auch.) Wissenschaftsgeschichte gehört aber leider nicht zur Kernkompetenz der meisten Wissenschaftler. Also wird einfach munter, ohne (geschichts-)wissenschaftliche Standards zu beachten, voneinander abgeschrieben.

Gruß
Wolfgang

P.S.: Wenn ihr den Mythos "Kirche gegen Wissenschaft" überwindet, macht nicht den umgekehrten Fehler. Denn: Ja es gab und gibt Konflikte zwischen Theologie und Wissenschaft.

P.P.S.: Ich habe mit der Kirche nichts zu tun.
 
Es erscheint vielen Naturwissenschaftlern elegant ihren Büchern eine historische Einführung zu geben. (Ist es ja eigentlich auch.) Wissenschaftsgeschichte gehört aber leider nicht zur Kernkompetenz der meisten Wissenschaftler. Also wird einfach munter, ohne (geschichts-)wissenschaftliche Standards zu beachten, voneinander abgeschrieben.
Anscheinend verwechselst Du hier echte Wissenschaftler mit den Populärwissenschaftlern, die regelmäßig viel Blödsinn in die Welt setzen. Z.B. auch die weit verbreitete Behauptung, die Beobachtung von Phasen bei Merkur und Venus durch Galileo habe der geozentrischen Weltvorstellung schlagartig das Genick gebrochen. So ist das aber nicht gelaufen. Dazu musste erst mal ein wirkliches Verständnis für die Abstände und Größenverhältnisse im Sonnensystem und darüber hinaus entwickelt werden, und das kam erst sehr viel später. Es sind doch nicht die Wissenschaftler, die solche Schmarren produzieren.
 
Hallo!

Nicht zu vergessen, dass auch Johannes Keppler in Prag, aus seiner Kirchengemeinde rausgeschmissen (exkuminikiert) wurde,...

Weil wir es gerade von den echten Wissenschaftlern gegen Populärwissenschaftler haben möchte ich der historischen Wahrheit halber (auch die Geschichtswissenschaft ist eine Wissenschaft!) anmerken, dass das nicht in Prag war, sondern in Linz. Ausserdem gibt es sowas wie eine Exkommunikation streng genommen nur bei uns Katholiken. Als Lutheraner wurde Kepler in Linz vom Abendmahl ausgeschlossen, nicht aber aus der Kirche.

Grüße
Maximilian
 
Max,
Danke, Ich dachte Brahe und Kepler arbeiteten in Prag.
Johann K. haette sich auf seine grossartigen erstmaligen Kreislauf (Elipsenlauf) Gesetze konzentrieren sollen, und die Faselei von der Kanzel, deren Spezialisten ueberlassen sollen.
Newton auch hat ueber die Weltendezeitberechnung, die Dreieinigket unnoetige Zeit verschwendet.
Gefaehrliche Sachen, ueberraschender weise, auch noch heute, im 21. Jahrhundert!
danke: guenter.
 
Hallo!

Ich dachte Brahe und Kepler arbeiteten in Prag.

Auch. Kepler hat an fast einem Dutzend Stationen gelernt und gearbeitet. Oftmals auf der Flucht. Und zwar wegen der Kirche. Aber nicht aufgrund seiner „ketzerischen“ astronomischen Erkenntnisse, sondern weil vor und während des Dreißigjährigen Krieges Protestanten und Katholiken die jeweils anderen von den kurzzeitig eroberten Gebieten vertrieben haben.

... und die Faselei von der Kanzel, deren Spezialisten ueberlassen sollen.

Kepler war als studierter Theologe aber „Spezialist für die Faselei von der Kanzel“. Das lag daran, dass zu seiner Zeit die Basis für jede universitäre Ausbildung ein Theologiestudium war. Erst nach diesem Grundstudium durfte man sich auf sein eigentliches Gebiet (im Fall von Kepler war das Mathematik) kaprizieren. Deswegen sind fast alle Gelehrten seiner Zeit, auch Ärtze und Naturwissenschaftler, gleichzeitig Geistliche oder zumindest Theologen gewesen. Vor diesem Hintergrund wird auch verständlich, warum die Kirchen solchen Einfluß auf alle Gebiete erlangen konnten.

Viele Grüße
Maximilian
 
Hallo Peter,
Anscheinend verwechselst Du hier echte Wissenschaftler mit den Populärwissenschaftlern, die regelmäßig viel Blödsinn in die Welt setzen. Z.B. auch die weit verbreitete Behauptung, die Beobachtung von Phasen bei Merkur und Venus durch Galileo habe der geozentrischen Weltvorstellung schlagartig das Genick gebrochen.
Nein, ich denke nicht, dass ich das verwechsele. Ich meine auch nicht das Missverständnis bezüglich der Merkur- und Venusphasen oder ähnliche wissenschaftsgeschichtlichen Fakten. Ich meine die allgemeine politische bzw. kulturelle Gemengelage. Ich meine die falsche Vorstellung des Konfliktes zwischen Kirche und Wissenschaft. Ich meine den Mythos, des 2-Parteiensystems: Kirche auf der einen Seite, Wissenschaft auf der anderen Seite. Rückständige Kirche gegen fortschrittliche Wissenschaft. Ein Kampf, den schließlich die Wissenschaft gewonnen hat.

Genau dieser Mythos wurde von Physikern wie z.B. Ernst Mach am Ende des 19. Jahrhunderts geschürt. Und ich kenne einige Menschen, die ein abgeschlossenes Hochschulstudium in einer Naturwissenschaft oder einer Ingenieurwissenschaft haben und nach wie vor an diesen Mythos glauben. Ich hatte keine Spitzenwissenschaftler vor Augen, falls du das so verstanden haben solltest. Davon kenne ich leider keinen persönlich :oops:.

Gruß
Wolfgang
 
Hallo Fred,

Ist bekannt und ich denke nicht nur Galileo hatte damit Probleme damals gegen die Kirche zu wettern. Das eine ist Wissenschaft und das andere ist Glauben. Und Glauben heißt nix wissen. War schon immer so.

das kann man so nicht sagen. Das hat auch nichts direkt mit Religion zu tun, sondern stimmt so selbst innerhalb der Wissenschaft nicht. Bevor eine Theorie experimentell überprüft oder ein Satz (in der Mathematik) bewiesen ist, haben diese Aussagen im Wesentlichen den Status von "Glaube" (der natürlich in der Regel nicht beliebig ist, sondern für den es gewisse Evidenzen gibt).
  • Das Higgs-Boson wurde 1964 von Higgs, Brout, Englert (und anderen) vorhergesagt und 2012 am LHC zum ersten Mal experimentell nachgewiesen. In der Zwischenzeit haben die meisten Physiker (nicht alle) an die Existenz des Higgs-Bosons "geglaubt". Es gab viele theoretische und experimentelle Gründe, die für die Existenz des Higgs-Bosons gesprochen haben, es gab aber auch einige alternative Theorien.
  • Die Poincare-Vermutung in der Mathematik (die Charakterisierung der 3-dimensionalen Sphäre durch die Fundamentalgruppe) wurde 1904 von Poincare aufgestellt und 2002 von Perelman bewiesen. In der Zwischenzeit haben viele Mathematiker an die Korrektheit dieser Vermutung geglaubt und versucht sie zu beweisen, es gab aber auch viele, die versucht haben, sie durch ein Gegenbeispiel zu widerlegen.
  • Fermat's Last Theorem wurde ca. 1640 von Fermat aufgestellt, ohne Beweis, und erst 1994 von Wiles bewiesen. In der Zwischenzeit (über 350 Jahre) war diese Aussage eine Vermutung.
In der Mathematik sind das Entscheidende oft die Vermutungen, die man dann entweder versucht zu beweisen oder durch ein Gegenbeispiel zu widerlegen. In der Physik ist das mit Theorien und Experimenten ähnlich. Es ist (meiner Meinung nach) eine falsche Vorstellung, dass Wissenschaften am laufenden Band Wissen produzieren. Tatsächlich produzieren sie zunächst Theorien und Vermutungen, für die es gewisse Evidenzen gibt, und die man dann versucht nachzuprüfen und zu beweisen oder zu widerlegen.

Diese Vermutungen sind eine Art "Gedankensprung", d.h. eine Vorstellung davon, was wahr sein könnte, ohne es sicher zu wissen. Gute Vermutungen zu finden ist sehr schwer. Es gibt Vermutungen, die sehr gewagt und genial waren und dann tatsächlich bewiesen wurden. Es gibt aber auch viele Vermutungen, die gescheitert sind. Es gibt dort ein Risiko, insbesondere bei sehr gewagten Theorien/Vermutungen ("high-risk, high-reward").

Es ist ähnlich wie (früher) bei der Goldsuche: Man muss ein Gefühl (und einen Glauben) dafür haben, wo man in der Erde nach Gold sucht und ob es in einer erreichbaren Tiefe liegt. Eine ganze Reihe von Doktorarbeiten scheitern z.B. mehr oder weniger daran, dass man an der falschen Stelle sucht, oder dass das Gold zu tief liegt, oder dass man zwar hinkommt, aber dann dort kaum etwas findet (was man vorher natürlich nicht wusste).

Viele Grüße
Mark
 
Hallo Wolfgang und alle,

Der Mythos "Kirche gegen Wissenschaft" hält sich leider nach wie vor extrem hartnäckig. Ich habe mir schon oft Gedanken gemacht woran das liegt

Warum der Galilei-Mythos so erfolgreich war und ist, habe ich mich auch schon oft gefragt. Erfunden wurde er ja wohl nicht im 17. Jh., sondern vom liberalen Bürgertum des 19. Jhs. Vielleicht hat sich das Bürgertum mit „Galilei“ genau jenen Typ Wissenschaftler/Ingenieur entworfen, den es für sein Streben nach Gewinnmaximierung und Kapitalbildung brauchte: Genial / individualistisch / weltanschaulich ungebunden / jederzeit bereit seine Entdeckungen und Erfindungen an die meistbietenden Herrscher und Militärs zu verkaufen, um mit dem Geld im Elfenbeinturm neue Forschungsergebnisse zu produzieren / an den gesellschaftlichen Folgen seines Tuns desinteressiert.

Die Stilisierung des Kampfes gegen die kirchlichen Autoritäten ist eine Rück-Projektion der Emanzipationskämpfe, die das Bürgertum im 19. Jh. selbst führen mußte. Dieses Bürgertum war selbst bestrebt, alle weltanschaulichen Schranken abzuschütteln, die seinem Profitstreben im Weg stehen konnten. In dem Moment, als „Galilei“ die kirchliche Autorität besiegt hatte (wie es der Mythos mit dem unhistorischen "Und sie bewegt sich doch" darstellt), war der Weg frei für den Zugriff der Ökonomie auf die Wissenschaft. Deswegen spielt der vermeintliche Kampf Galileis gegen die Kirche im Mythos des Bürgertums eine so große Rolle.

Jedenfalls stellt Berthold Brecht es in „Das Leben des Galilei“ ungefähr so dar, und zwar in der zweiten Fassung, die er unter dem unmittelbaren Eindruck des Atombombenabwurfs über Hiroshima fertigstellte. Nach Brecht beginnt die Geschichte der Atombombe mit Galilei. Er schreibt: „Die Atombombe ist sowohl als technisches als auch soziales Phänomen das klassische Endprodukt seiner [Galileis] wissenschaftlichen Leistung und seines sozialen Versagens.“

Hoppla - jetzt habe ich mich etwas in Rage geschrieben, denn so links wie Brecht bin ich eigentlich gar nicht. Trotzdem frage ich mich, ob diese Deutung hilft, den Erfolg des „Mythos Galilei“ zu verstehen?

Viele Grüße
Johannes
 
Hallo!

Hoppla - jetzt habe ich mich etwas in Rage geschrieben, denn so links wie Brecht bin ich eigentlich gar nicht. Trotzdem frage ich mich, ob diese Deutung hilft, den Erfolg des „Mythos Galilei“ zu verstehen?

Das ist für mich so durchaus nachvollziehbar. Aber dieser Satz gefällt mir nicht so recht: „Dieses Bürgertum war selbst bestrebt, alle weltanschaulichen Schranken abzuschütteln, die seinem Profitstreben im Weg stehen konnten.“ Das mit dem Profitstreben mag für den einen oder anderen vielleicht gestimmt haben. Dabei stand die Kirche bei uns dem Profitstreben aber eigentlich nicht im Weg, von ein paar Orden und Sekten abgesehen, die Armut predigen.
Deswegen denke ich eher, dass es einfach um die Befreiung von Zwängen aller Art ging. Die Bürger hatten sich von der Knechtschaft durch den Adel befreit aber da war immer noch die Kirche, die sich in ihr Leben einmischen wollte. Und zwar in jeden Bereich des Lebens.

Grüße
Maximilian
 
Hi!

Vielleicht hat sich das Bürgertum mit „Galilei“ genau jenen Typ Wissenschaftler/Ingenieur entworfen, den es für sein Streben nach Gewinnmaximierung und Kapitalbildung brauchte
Mag sein, dass diese Interpretation stimmt. Das kann ich nicht beurteilen.

Ich sehe vor allem die allgemeine menschliche Tendenz zur Vereinfachung, Schematisierung und Geschichtenerzählung. Geschichtsschreibung beschäftigt sich mit Geschichten. Geschichten sollen einprägsam sein und sie sollen unterhalten. Es gibt viele Bücher zum Thema "Storytelling". Dort lernt man, wie man z.B. für die Werbung gute Geschichten schreibt. Oder nach welchem Muster Filmplots erstellt werden. In solchen Geschichten gibt es immer einen Helden. Ein möglicher, gängiger Plot ist z.B.: Der Held kämpft gegen das Böse und geht allen Widrigkeiten zum Trotz am Ende als Sieger hevor. Jede gute Story braucht ihren Helden. Es gibt nur eine Handvoll verschiedener Plots, nach denen alle erfolgreichen Geschichten verlaufen.

Leider finde ich nicht mehr, wo ich das gelesen habe. Daher kann ich das nur noch aus der Erinnerung heraus beschreiben. Ernst Mach ist einmal gefragt worden, ob ihm klar ist, dass er bestimmte wissenschaftsgeschichtliche Begebenheiten verfälscht dargestellt hat. (Ich meine es ging dabei sogar um Galilei, bin aber nicht sicher.) Er hat darauf geantwortet, dass er mit der falschen Geschichte aber seinen richtigen Gedanken besser verdeutlichen konnte.

Wissenschaftsgeschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts war nach heutigem Standard einfach extrem unprofessionell. Man ist nicht von den Quellen ausgegangen, sondern hatte ein vorgefertigtes philosophisches Konzept, welches mit beispielhaften Geschichten belegt wurde. Auf diese Weise sind die Autoren ins Storytelling abgerutscht. Und welcher Fall der Wissenschaftsgeschichte ist besser zum Storytelling geeignet als der Fall Galilei?

So! Auch das waren nur unwissenschaftliche Gedankengänge meinerseits. Wenn man wirklich wissen will, wann, wie und warum der Mythos Galilei produziert wurde, muss man das Ganze historisch untersuchen. Ich kann mir vorstellen, dass sich bereits jemand damit professionell beschäftigt hat.

Gruß
Wolfgang
 
diese Deutung hilft, den Erfolg des „Mythos Galilei“ zu verstehen?
Wolfgang,
Die Kirche hatte Ihre starren Ansichten auf Dokumente aufgebaut, die auf sehr alten Versuchen zur Naturverstaehung aufgebaut waren. z.B. Moses 1:1 die Erde am Anfang gemacht, Wasser ueber Everest, Sonne stillstehend zu Joshuah's Zeiten usw; alles nur alte Science fiction, aber als Dogma unantastbar.
Ich bin dankbar fuer die Atombomben Entwicklung. Weil zum ersten mal im Weltkrieg auch die Kriegsmacher und Familien aussterben wuerden. Feiglinge machten keinen Krieg. Danke! und
Das Patentamt ist eine wunderbare Sache. Alle erfolgreichen Erfinder haben Ihr Vermoegen wirklich verdient.
Leider wird Erfinden meistems im Krieg gefoerdert. und
Erfinder machen das nicht aus Geldgruenden. Sie sind leidenschaftliche, sogar krankhafte Streber. Mache mal eine Patentsuche , um Dir das zu zeigen.
Statt Fortschritt haetten die Kirchen weltweit den Krieg bekaempfen sollen.
Lange lebe der Fortschritt, sogar die unvermeidlichen Sackgassen.
Gruesse vom guenter.
 
Zuletzt bearbeitet:
Der Galileo-Mythos basiert auf der Auseinandersetzung zwischen jahrtausendealtem Glauben und darauf aufgebautem Weltbild auf der einen Seite und dem Forscherdrang und wissenschaftlichen Erkentniss auf der anderen Seite. Der vorläufige Sieg der mächtigen Institution Kirche kehrte sich im Laufe der Zeit zur Niederlage, die um so tragischer war, weil die Kirche wider besseren Wissens noch lange an ihrem Fehlurteil fest hielt.

Neue Erkenntnis zu erlangen und neues Wissen zu schaffen hat auch immer einen Einfluß auf das vorherrschende Weltbild. Damals viel mehr als heute. Ein Weltbild festigt die Macht der Herrschenden die darauf aufbaut. Wackelt das Weltbild, wackelt auch die Macht. Genau so war es bei Galileo.

Auch die Wissenschaft braucht ihre Helden. Nur war Galileo eher ein tragischer Held. Er widerrief seine Erkenntnisse, die er durch Beobachtung und Experiment gewonnen hatte. Ein "klassischer" Held stirbt für seine Ideale und wird dadurch erst zum Helden. Wie Giordano Bruno. Er ist für seine Ideen verbrannt worden, war also ganz der Märtyrer im Sinne der Kirche, weil er für seine Überzeugung gestorben ist, auch wenn er auf der anderen Seite stand. Galileo zog es vor, weiter zu leben und schwor seinen Erkenntnissen ab.

Damit hat er vielleicht schon ein moderner Ansatz bestritten: weg vom Dogma hin zum Pragmatismus. Es gibt keine absolute Wahrheit, deshalb lohnt es sich auch nicht dafür zu sterben. Vielleicht hat sich Galileo gesagt, was nützt es mir zu sterben um einer Erkenntnisse willen, wenn sich die Wahrheit sowieso über kurz oder lang durchsetzt. Der Gedanke, der einmal Gedacht worden ist, verschwindet nicht mehr von der Welt.

Wenn Brecht nun die Geschichte um Galileo benutzt, verfolgt er eigene Interessen, die seinem politischen Weltbild entsprechen. Damit "mißbraucht" er den Wissenschaftler Galileo, weil er ihn wieder zum Dogma führt. Das kann er, Brecht, aber aus künstlerischer Freiheit durchaus machen. Er setzt damit Galileo in einen eigenen Kontext.
 
Der Galileo-Mythos basiert auf der Auseinandersetzung zwischen jahrtausendealtem Glauben und darauf aufgebautem Weltbild auf der einen Seite und dem Forscherdrang und wissenschaftlichen Erkentniss auf der anderen Seite. Der vorläufige Sieg der mächtigen Institution Kirche kehrte sich im Laufe der Zeit zur Niederlage, die um so tragischer war, weil die Kirche wider besseren Wissens noch lange an ihrem Fehlurteil fest hielt.
Ja, genau das ist der Mythos, sehr schön in wenigen Sätzen zusammengefasst. Aber die Realität ist eben eine ganz andere, viel komplexer, mit überraschenden Wendungen, ohne klare Fronten.

Aber die Heldenstory lässt sich einfach schöner erzählen als die Realität.

Gruß
Wolfgang
 
Hallo zusammen,

Ich habe zu dem Thema „Galilei gegen die Kirche“ mal etwas recherchiert – was man halt über google scholar findet. Hier die Ergebnisse.

1) Wie ist der Galilei-Mythos historisch zu beurteilen?
Man findet viel aktuelle historische Forschung zu der Frage, was damals tatsächlich geschehen ist. Der Tenor lautet, daß es sich nicht primär um einen Konflikt Galileis mit der römisch-katholischen Kirche handelte, sondern in der Hauptsache um einen innerakademischen Streit zwischen aristotelisch-ptolemäisch orientierten Physikprofessoren und Kopernikanern, wobei viele Professoren auf beiden Seiten auch Kleriker waren. Die Rolle der Kirche als Institution war eher sekundär. Die Kirche hat Galilei teilweise geradezu gehätschelt, und zwar nicht nur vor dem Prozess, sondern auch noch danach. Galilei hatte durchaus Gegner in der Kirche, aber immer auch viele Freunde im hohen Klerus, nicht zuletzt Papst Urban VIII. selbst, der auch die Verurteilung nicht unterschrieben hat.

2) Wann ist der Galilei-Mythos erfunden worden?
Die Geschichte „Galilei gegen die Kirche“ ist zusammen mit der übergreifenden Geschichte „Wissenschaft gegen Kirche“ nicht im 17. Jh., sondern erst im späteren 19. Jh. erfunden worden, und zwar in den USA. Von großer Bedeutung waren dabei zwei amerikanische Bücher.
1) John William Draper: History of the Conflict between Religion and Science (1874),
und noch mehr
2) Andrew Dickson White: A History of the Warfare of Science with Theology in Christendom (1896).

Beide Bücher hatten damals eine enorme Wirkung. Das Buch von White befindet sich heute immer noch im Druck!
Ein Blick auf die Person Andrew Dickson White zeigt interessante wissenschaftsgeschichtliche Hintergründe. Als White dieses Buch schrieb, war er der erste Präsident der neuen Cornell University, die er zusammen mit dem Industriemagnaten Ezra Cornell (Western Union) begründet hatte. Der Campus lag auf Cornells Privatgrundstück. (Sehr schön, übrigens! Ich war mal dort.) Während die amerikanischen Eliteuniversitäten (Harvard, Yale etc.) fast alle kirchlich protestantische Einrichtungen waren, handelte es sich bei der Cornell University um die Privatuniversität eines Industriellen. Das Buch von White verfolgt das Interesse, die Abwendung der (amerikanischen) Universität von den Kirchen (und die Hinwendung zur Industrie) zu rechtfertigen, indem die Geschichte eines schon lange tobenden Befreiungskriegs der Wissenschaft gegen die Kirche konstruiert wurde – ein Krieg, den die Wissenschaft nun endgültig gewinnen sollte. White suchte also das Geld und die ideologische Unterstützung von Personen wie Ezra Cornell. Vor diesem Hintergrund schuf er den Mythos „Wissenschaft gegen Kirche“.

3. Warum ist der Galilei-Mythos unausrottbar?
Thomas Lessl hat für seine Studie: „The Galileo Legend as Scientific Folklore“, 40 Physiklehrbücher (college level) und popularisierende Wissenschaftsdarstellungen (von Einstein/Infeld über Carl Sagan bis Stephen Hawking) daraufhin untersucht, welchen Gebrauch sie vom Galilei-Mythos machen. Solche Bücher fungieren als „gatekeepers“ der scientific community. Wer in die Gemeinschaft der Wissenschaftler eintreten will, erfährt hier, welche Haltungen und Denkweisen gelten und angeeignet werden müssen. Durch diese „gatekeepers“ pflanzt sich der Galilei-Mythos von Wissenschaftler-Generation zu -Generation fort.
Als Standards der scientific community gelten:
„Rationalität, Unvoreingenommenheit, Sachorientierung, allein der Wahrheit verpflichtet, dem Fortschritt dienend etc.“
Diese Standards kann man deutlicher hervorheben, wenn man einen äußeren Gegenspieler mit den genau gegenteiligen Ansichten hat, von dem man sich abgrenzen kann. Dem Mythos zufolge ist dieser Gegenspieler die Kirche, denn sie denkt
„irrational, dogmatisch, sachfremd, machtorientiert, traditionsverhaftet etc.“

Noch dramatischer läßt man diese Standards hervortreten, indem man eine Geschichte konstruiert, derzufolge die „rationale“ Wissenschaft sich unter großen Opfern (siehe das Märchen von Giordano Bruno als „Wissenschaftsmärtyrer“) von der Herrschaft der „irrationalen“ Kirche freikämpfen mußte. Das ist das Storytelling. Der Galilei-Mythos liefert die eingängige Heldengeschichte.

Nach Lessls wissenschaftssoziologischer Betrachtungsweise geht es im Mythos „Wissenschaft gegen Kirche“ primär darum, das System Wissenschaft nach innen zu stabilisieren, indem man den Neulingen deutlich vor Augen führt, welche Haltungen notwendig sind um dazu zu gehören. Dagegen ist zunächst nichts einzuwenden. Problematisch ist allerdings, daß man dazu einen äußeren Popanz erschafft, auf den man alle Eigenschaften projiziert, die man für sich selbst ablehnt. Solche Projektionen sind immer gefährlich. Noch schlimmer ist jedoch, daß die „scientific folklore“ der Lehr- und Einführungsbücher bei der Konstruktion des Mythos selbst mit den historischen Fakten genau so verfährt, wie sie es eigentlich dem Gegner vorwirft, nämlich irrational, dogmatisch, voreingenommen, sachfern, eher den eigenen Interessen als der Wahrheit verpflichtet.
Nach Lessl ist die sozialisierende Funktion, die der Galilei-Mythos für die scientific community besitzt, immer noch sehr wichtig. Deshalb sei nicht zu erwarten, daß dieser Mythos demnächst aus den Physikbüchern verschwinden würde.

Viele Grüße
Johannes
 
Hi Johannes!

Super Beitrag!

Noch schlimmer ist jedoch, daß die „scientific folklore“ der Lehr- und Einführungsbücher bei der Konstruktion des Mythos selbst mit den historischen Fakten genau so verfährt, wie sie es eigentlich dem Gegner vorwirft, nämlich irrational, dogmatisch, voreingenommen, sachfern, eher den eigenen Interessen als der Wahrheit verpflichtet.

Genau das ist das schlimmste am Kirche-gegen-Wissenschaft-Mythos: Er wird von Leuten vertreten, die sich sicher sind, im Besitz der höheren Wahrheit zu sein. Und wer im Besitz der höheren Wahrheit ist, braucht seine Zeit nicht mit unwichtigen historischen Details zu verschwenden.

Gruß
Wolfgang
 
Hallo Pem.bm

... Galileo zog es vor, weiter zu leben und schwor seinen Erkenntnissen ab...

Eigentlich hat Galileo nicht abgeschworen. Ich hatte 1985 die Gelegenheit, einen Blick in die Originalakten des Galileo-Prozesses zu werfen. Nach jedem Verhandlungstag wurde das Protokoll von allen Beteiligten unterschrieben, auch von Galileo.

Aber das letzte Protokoll, in dem er Bestätigen soll, dass er widerruft, hat er nicht unterschrieben!

Gruß
Hans
 
Deshalb sei nicht zu erwarten, daß dieser Mythos demnächst aus den Physikbüchern verschwinden würde.
Was für ein Quatsch - in welchen Physikbüchern steht denn sowas? Jedenfalls in keinem einzigen, das ich jemals angeschaut habe, und ich bin Physiker mit langer Berufserfahrung.

Sorry Johannes, aber da projizierst Du wohl Deine persönliche voreingenommene Wahrnehmung auf populärwissenschaftliche Darstellungen, die diesen Konflikt zwischen Galileo und der Kirche natürlich genüßlich ausschlachten und überhöhen. Stellt euch mal vor, damals hätte es schon eine unabhängige Boulevardpresse gegeben. Da kann die Kirche aber froh sein, dass solche Freiheiten damals undenkbar waren, und Zeitungsmacher wie Murdock und Kollegen wären seinerzeit mit Sicherheit auf dem Scheiterhaufen gelandet.

Was mich zum Kernpunkt meiner Kritik bringt: was ich der Kirche vor allem ankreide ist gar nicht ihre konservative Einstellung gegenüber neuen wissenschaftlichen Ideen, seien sie von Kopernikus, Kepler oder Galileo, sondern die barbarischen und unvorstellbar grausamen Auswüchse, mit denen sie ihre Macht gegenüber Andersdenkenden damals brutal umgesetzt hat.

Denjenigen, die sich über den Mythos Galileo mokieren, möchte ich ins Gästebuch schreiben, wofür die Kirche in meiner Wahrnehmung vor allem auch steht, eine tausendjährige Geschichte unbeschreiblicher Verbrechen. Dazu gehört die über mehrere Jahrhunderte praktizierte systematische Ausrottung der Katharer vor allem in Südfrankreich, tausende wenn nicht gar zehntausende grausame Hinrichtungen in der spanischen Inquisition, im übrigen Europa immer wieder Hexenverbrennungen, alles auf Betreiben und unter der Aufsicht der höchsten kirchlichen Autoritäten. Und dafür hat es bis heute kein überzeugendes Eingeständnis von Schuld oder gar einen Zweifel an der rechtmäßigen Autorität und Macht der Kirche gegeben.

Die im 19. Jahrhundert stärker werdende Kritik an der Autorität der Kirche und ihrer orthodoxen Einstellung zu philosophischen und wissenschaftlichen Fragen scheint deshalb nicht nur plausibel, sondern geradezu unausweichlich. Vorher waren abweichende Ansichten ja lebensgefährlich, zumal dann, wenn sie nicht nur privat geäußert wurden, sondern in Schriften öffentlich verbreitet wurden.

Im Kontext der unbegreiflichen Verbrechen, die im Namen und auf Betreiben der Kirche über viele Jahrhunderte begangen wurden, ist die Fehlleistung der Kirche im Fall Galileo in der Tat kaum der Rede wert.

Und was Giordano Bruno betrifft, selbst wenn seine kosmologischen Einsichten im Prozess gar keine Rolle gespielt haben, sondern vorgebliche Schmähungen gegenüber den Heiligen der Kirche, so war es gleichwohl ein Verbrechen, ihn dafür auf dem Scheiterhaufen zu verbrennen.

Peter
 
Zuletzt bearbeitet:
Hi Peter!

Mit deinem letzten Beitrag bestätigst du genau das, wovon hier die Rede ist: Die meisten Physiker haben den Mythos verinnerlicht und können oder wollen davon nicht abrücken. Keine Frage: Im Namen der Kirche wurden Verbrechen begannen. Aber es ist eben viel zu simpel dargestellt, wenn alles Rückständige und Brutale auf die Kirche projiziert wird. Z.B. waren die Hexenprozesse in Mitteleuropa Zivilprozesse. Ähnliche Exzesse wie in Deutschland gab es in dem vom Vatikan beherrschten Gebiet nicht.

Aber im Kern geht es ja hier um Galilei und die Kirche.
was ich der Kirche vor allem ankreide ist gar nicht ihre konservative Einstellung gegenüber neuen wissenschaftlichen Ideen, seien sie von Kopernikus, Kepler oder Galileo, sondern die barbarischen und unvorstellbar grausamen Auswüchse, mit denen sie ihre Macht gegenüber Andersdenkenden damals brutal umgesetzt hat.
Genau das ist wieder der Mythos: "konservative Kirche" gegenüber "neuen wissenschaftlichen Ideen". Die Frontlinie verlief aber nicht zwischen diesen beiden Parteien. Und: Grausame Auswüchse gegenüber Häretikern ja, gegenüber Wissenschaftlern nein. In China war man zur gleichen Zeit übrigens deutlich brutaler. Der Jesuit Adam Schall von Bell sollte wegen "Hochverrat, Zugehörigkeit zu einer mit der rechten Ordnung unvereinbaren Religionsgemeinschaft und Verbreitung falscher astronomischer Lehren" zur Höchststrafe (Zerstückelung bei vollem Bewusstsein) verurteilt werden.

Anlässlich dieses Threads habe ich übrigens damit begonnen folgendes Buch zu lesen:

Dort räumt der Autor schon auf den ersten Seiten mit dem Galilei-Mythos auf.

Gruß
Wolfgang
 
Freunde der Sonne (und Objekten aller Art...),

was *genau* soll denn der "Galilei-Mythos" sein?

Kurzfassung:
Galilei = Wissenschafter
=> machte Entdeckungen, die der Kirche nicht genehm waren...?
=> Kirche ist "gegen" seine Erkenntnisse...?
=> Wissenschafter widerruft These/n um nicht gekillt zu werden...?
=> Dieses Verhalten wird fortwährend in Wissenschaftskreisen als "heroisch" interpretiert?

cs,
harald

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Hi Harald!

was *genau* soll denn der "Galilei-Mythos" sein?

Der Mythos handelt vom Kampf des freien wissenschaftlichen Geistes gegen die intellektuellen Fesseln der rückständigen Kirche. Die Kirche versucht mit aller Gewalt den wissenschaftlichen Fortschritt aufzuhalten. Galilei steht dabei stellvertretend für den nur der Wahrheit verpflichteten fortschrittlichen Geist. Er ist der Held der Geschichte. Er scheitert zunächst am übermächtigen Feind. Galilei hat jedoch die Entwicklung der Wissenschaften angestoßen und so langfristig den Sieg der Wissenschaft über die Kirche bewirkt. -> Happy End!:)

In einer Erweiterung des Mythos wird die Kirche sogar für die 1000 Jahre anhaltende Rückständigkeit des Mittelalters verantwortlich gemacht. Erst als freie Denker die Fesseln der Kirche abschütteln konnten, war der Weg frei, um das finstere Mittelalter hinter sich zu lassen.

Gruß
Wolfgang
 
Hallo Wolfgang,
Der Mythos handelt vom Kampf des freien wissenschaftlichen Geistes gegen die intellektuellen Fesseln der rückständigen Kirche. Die Kirche versucht mit aller Gewalt den wissenschaftlichen Fortschritt aufzuhalten. Galilei steht dabei stellvertretend für den nur der Wahrheit verpflichteten fortschrittlichen Geist. Er ist der Held der Geschichte. Er scheitert zunächst am übermächtigen Feind. Galilei hat jedoch die Entwicklung der Wissenschaften angestoßen und so langfristig den Sieg der Wissenschaft über die Kirche bewirkt. -> Happy End!:)

Vielen Dank für deine Erklärung.
Sollte das zwischen zwei Ironie-Tags <ironie>...</ironie> gelesen werden?

Harald Lesch in "Alpha Centauri", Folge 104 "Gibt es Leben auf Europa?":
"[...] und er hatte ja damals die Probleme mit der Inquisition, und hatte dann einige Kardinäle der katholischen Kirche zu Besuch, und die hat er aufgefordert, sie sollten doch mal durch sein Fernrohr kucken, um zu kucken ... und um zu sehen. Die Herren haben das, wie sie ja wissen, abgelehnt, unter anderem mit dem Argument 'Kommen Sie mir nicht mit Fakten, wir haben uns unsere Meinung längst gebildet'".

cs,
harald

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Physiker unter dem Bann des Mythos …. Warum sollte ein gatekeeper wie Harald Lesch da eine Ausnahme bilden?

Die beiden Herren, die nicht durch Galileis Fernrohr schauen wollten, hießen übrigens Cesare Cremonini und Giulio Libri. Das waren aber keine Kirchenleute, sondern säkulare Professoren für Physik, allerdings von der aristotelisch-ptolemäischen Fraktion. Die Legende, die Harald Lesch erzählt, geht auf Andrew Dickson White zurück. In seinem Buch von 1898 erklärt White die beiden Herren kurzerhand zu Klerikern, um seinen Mythos „Galilei gegen die Kirche“ anzureichern. Lesch setzt wohl noch eins drauf, indem er sie sogar zu Kardinälen macht!

Einige Kirchenleute haben übrigens sehr gern durch Galileios Fernrohr geschaut und auch selber welche gebaut, besonders die Jesuiten vom römischen Institut für Mathematik und Physik (collegium romanum). Der Jesuit Christoph Clavius berichtet bereits 1610, daß er die Beobachtungen Galileis am Teleskop nachvollziehen und bestätigen konnte. Gleiches gilt für den Jesuiten Christoph Grienberger, der 1611 für Christoph Scheiner die parallaktische Montierung (deutsche Montierung) entwickelte, um diesem die Beobachtung der Sonnenflecken zu erleichtern. Christoph Scheiner, ebenfalls Jesuit, hat 1611 noch vor Galilei die Sonnenflecken teleskopisch beobachtet. 1613 hat er sich ein Kepler-Teleskop gebaut, das dem Galilei-Teleskop überlegen ist. 1618 haben die Jesuiten das Teleskop nach China gebracht und damit den Kaiser so sehr beeindruckt, daß er in Peking eine kaiserliche Astronomiebehörde einrichten ließ.

Einige Kirchenleute waren also ganz fleißige Teleskopbenutzer und haben viel zur technischen Weiterentwicklung und Verbreitung des Teleskops beigetragen. Das bedeutet aber nicht, daß sie sich bei der Interpretation der Beobachtungen einig gewesen wären. Clavius und Grienberger haben sich tendenziell auf die kopernikanische Seite gestellt, Scheiner dagegen auf die geozentrische.

Viele Grüße
Johannes
 
Die beiden Herren, die nicht durch Galileis Fernrohr schauen wollten, hießen übrigens Cesare Cremonini und Giulio Libri. Das waren aber keine Kirchenleute, sondern säkulare Professoren für Physik, allerdings von der aristotelisch-ptolemäischen Fraktion
Wobei Cremonini sehrwohl durch das Rohr gesehen haben soll, aber gemeint hatte, "es bereitet ihm Kopfweh".

cs,
harald

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