Skellig Michael: Insel der untergehenden Sonne
Europas westlichster Vorposten
10 Meilen vor der Küste von Südwestirland liegen die Skellig Rocks im Atlantischen Ocean. Unwirklich im Dunst flimmernd wie eine Fata Morgana mögen sie vor 1500 Jahren christlich-Mystische Mönche angelockt haben, die dort in der Abgeschiedenheit siedelten.
Wer auf Irlands „Ring of Kerry“ reist, einer der schönsten Küstenstraßen der Welt, kann sie sehen.
An ruhigen Tagen wird man jemanden finden, der einen für ein paar Stunden auf die Insel Skellig Michael bringt – zu kurz, um einen Eindruck von diesem seltsamen Eiland zu gewinnen.
Skellig Michael war bis vor einigen Jahrzehnten einer der isoliertesten Flecken Europas und sein westlichster bewohnter Vorposten. Drei Leuchturmwärter lebten hier; nur mit einer Sondergenehmigung der irischen Behörden, war es möglich, ihnen für etwas längere Zeit Gesellschaft zu leisten.
Als ich Valentia Island verließ, war der Himmel mit grauen Wolken verhängt. Vor ein paar Tagen hatte ich Des Lavelle von meinem Plan erzählt. Verrückt, es ist in dieser Jahreszeit eine reichlich herbe Reise, hatte er nur gemeint, aber klar, er war dabei. Endlich war das Wetter einigermaßen geeignet. Gemächlich, wie vorausahnend was bevorstand, tuckerte das Boot aus dem Hafen von Knightstown. Als die rauen Klippen der Küstenlinie aus den Wolken auftauchen, greift sich der Atlantik unser Boot. Wir müssen Radar-Peilung und Echo-Lot zu Hilfe nehmen, um das Ziel zu finden: 51G 46' 20“ Nord, 10G 32' 58“ West. Kurs 225G, Geschwindigkeit 7,5 Knoten. Sicht: wechselnd, zwei Meilen vielleicht. 10 Uhr 55, Ortszeit.
Die Skelligs sind unsichtbar in Grau gehüllt. Wir sind auf dem besten Weg nach Amerika, meint Des, als er vom Radarschirm aufblickt.
Das Boot taumelt auf den Wellen. Die Sitzbank ist längst umgefallen, mein Gepäck rutscht kreuz und quer über die Planken. Des kennt sein Boot , die Béal Bocht. Die rechte Hand am Ruder, lehnt er gelassen am Fenster, ins graue Nichts spähend.
Nach einer guten halben Stunde tauchen die beiden Pyramiden der Skelligs endlich aus dem Dunst auf. Die ersten Trupps der Gannets, der Basstölpel, haben unser Boot entdeckt. Small Skellig kommt näher. Der rohe, schroffe Felsen scheint Schneebedeckt: Die Basstölpel sitzen dichtgedrängt auf jedem sich bietenden Felsvorsprung. Sie haben hier die zweitgrößte Kolonie im Atlantik. In dichten Schwärmen kreisen sie kurz darauf über uns am Himmel. Es ist ihre Insel, für uns gibt es auf Small Skellig keinen Landeplatz.
Wir fahren vorbei. Das Ziel ist Skellig Michael, die größere der beiden Hauptinseln des Skellig-Archipels. Anderthalb Stunden sind vergangen, seitdem wir an der südwestirischen Küste abgelegt haben.
Wir werfen mein Gepäck auf die nasse, schlüpfrige Plattform. Des sagt good-bye, das Boot dreht ab und verschwindet im Dunst.
Leuchtend rote Geländer führen mich zum Leuchtturm auf halber Höhe der Insel. Der Weg ist teilweise wegen der Steinschlag-Gefahr überdacht. Lärmend stellen sich die Kittiwakes (Dreizehenmöwen) vor: Kit-i-wake...Kit-i-wake plärren sie pausenlos. Vorbei geht es an der Helikopter-Landeplattform,die wie ein Teller außenbords an den Felsen geklebt ist. Vorbei an den über 1000jährigen Steinstufen, die bis zum Gipfel des Felsen führen.
Drei Gesichter kleben am Fenster die Leuchtturmwärter. Sie hatten über Radio-Telefon gehört, daß ich kommen würde. Besuch gibt es hier nur selten. Ich werde durch das Gebäude geführt, bekomme ein Zimmer und eine eigene Küche. Wir trinken eine Tasse Kaffee zusammen, dann mache ich mich auf, die Insel zu erkunden.Der Regen ist inzwischen abgezogen,die Sonne immer noch im Dunst – aber es ist einigermaßen warm hier.
700 Stufen zum Kloster
Geht man die Straße vom Leuchtturm zum Landeplatz entlang, steht der Skellig Rock mächtig und steil in den Himmel. Kahler Felsen wechselt mit grün überströmenden Steilmatten. Nach etwa 500 Metern kommt man an den Anfang der 1500-jährigen Stufenleiter zur Klostersiedlung der Mönche von Skellig Michael. 700 Stufen aus Steinplatten führen in Windungen an der Flanke des Felsenriffs hinauf zum Christus-Sattel. Von hier, wo wie vom Wind gepeitscht sich die Felsenpyramide in zwei Gipfel teilt, führt der Weg nochmals aufwärts nach Osten. Direkt am Wege stehtein rohes Steinkreuz.
Weiter oben laufen die Stufen in einem mit Steinplatten gepflasterten Weg aus, der an die Außenmauer des Klosters führt, zu den bienenkorbartigen Hütten oder Zellen der frühen Mönche.
In ihre Kutten gehüllt tauchen die Mönche in meiner Phantasie auf, Gebete murmelnd – oder Flüche über das Wetter, emsig bemüht, die wenigen Gartenflächen, die das Felsenmassiv bietet, zu kultivieren. Wie der Duft der Blumen, die heute hier blühen, zieht der Hauch von Romantik durch die Gemäuer.
War es vielleicht ganz anders? Sie müssen dem Wahnsinn nahe gewesen sein, phantastische Hirngespinste höherer Welten halluzinierend. Vom Hunger gequält, von der Einsamkeit. Wo blieben die Mönche? Es sind erstaunlich wenige Gräber auf der Insel, bei einer Gemeinschaft, die einige hundert Jahre bestand.
Die Steine überlebten. Sie sind lebendig, wie vor tausend Jahren. Sie bieten ihren Schutz noch heute, weniges ist inzwischen zerfallen. Das jüngste Bauwerk, die mittelalterliche Michaelskirche, hat die Zeit nicht überlebt. Sie ist Ruine ist zerfallen. In ihr haben die Kinder eines früheren Leuchtturmwärters ihre letzte Ruhe gefunden. Patrik, dreijährig, William, fünfjährig – rest in peace.
Wieder tauchen die Mönche auf. Sie locken mich in ihre Zellen. Mühsam aus Steinen aufgeschichtet, mit Wänden über einen Meter dick, trotzten sie dem Sturm der Zeit. Die hohen kuppelförmigen Räume bieten Schutz, der mehr ist als Trockenheit und ein bischen Wärme – sie sind mächtig.