Keine Frage, Leica kann exzellente Objektive und Okulare bauen. Es ist aber ebenso keine Frage, dass auch dort mit demselben Wasser gekocht wird, wie anderswo... Wenn also einem Leica-Produkt von jemandem quasireligiöse Verehrung entgegengebracht wird ("das Leica ASPH gilt inzwischen international als das beste Okular") und andere, die dieses Okular schon besitzen und eigentlich damit hoch zufrieden sein könnten, hier und anderswo nur nochmal ausdrücklich Bestätigung für ihre erlesene Wahl heischen wollen, dann liegt auf der Hand, woher der Wind, psychologisch gesehen, in beiden Fällen in Wahrheit weht:
Da wollen Wunschvorstellungen gegenseitig bedient werden. Es soll doch bitte nicht einfach etliche verschiedene, ebenso gute Okularlösungen von einigen anderen Firmen geben. (Inzwischen gibt es längst von Kowa, von Swarovski und auch von Meopta gleichgute und ebenso weitwinklige Zoomokulare, die noch dazu günstiger zu haben sind, und wahrscheinlich gibt es sogar noch ein paar mehr Hersteller, die das alles prinzipiell genauso gut können) Aber nein, der insgeheime Wunsch lautet, es muss ein absolut betrachtet Allerbestes geben, ein Überokular, das Höchste eben, von einem Hersteller mit einem gewissen Nimbus. Die Gründe für so ein verklärendes Verhalten können verschieden sein. Zutaten wie Exklusivität, Seltenheit, und sichtbare äußere Zeichen wie exquisite Verarbeitung und hoher Preis des Objekts der Begierde sind das eine und quasi eine Art notwendige, aber keineswegs hinreichende Bedingungen. Es sollte noch etwas Magisches hinzukommen, etwas Unwirkliches Übernatürliches unergründlich Besonderes was man dem verehrten Ding andichten kann, ohne dass man je in die Verlegenheit kommen müsste, das alles von anderen nachprüfen, oder gar nachmessen zu lassen. Also wird die Allüberlegenheit daherbehauptet, bar jeder physikalischen Vernunft, aber gegründet auf unübertroffener Beobachtererfahrung, die freilich ebenso wenig nachgewiesen ist. Jedem, der zustimmt wird applaudiert, und jedem, der den Braten riecht, das hier wohl eher Wünsche Vater der Gedanken sind, als belastbare Tatsachen, und der bei seinen berechtigten Fragen auf eigene anderslautende Erfahrungen und optische Fachkenntnisse verweisen kann, wird beleidigt unterstellt, ihm gingen eben die nötigen Fähigkeiten zur derart höheren Erkenntnissen ab.
In Wahrheit ist das Ganze doch höchst fadenscheinig: hatte man z.B. zuvor Dutzende Okulare und konnte sich im Beobachtungsfall oft nur schwer für eines entscheiden, so dass die Qual der Wahl jedesmal aufs Neue mühsam war, ist es doch sehr beruhigend, endlich ein immerzu garantiert-Seligmachendes Okular gefunden zu haben, das einfach überall überlegen ist. So wird man auch mit der früher quälenden Angst fertig, irgendetwas zu verpassen, was mit einem anderen Okular womöglich noch einen Tick besser hätte sehen können, Schreck lass nach. Weil der Wunsch nach einem Allerbesten aus solchen Gründen irgendwann übermächtig werden kann, egal wie irreal er ist, oder gerade weil er so irreal ist, und weil eine -womöglich jahrzehntelange- Suche nach diesem heiligen Gral einen insgeheim psychisch und womöglich auch finanziell belastet oder erschöpft hat, ist man froh irgendwann quasi per Beschluß mit den quälenden Zweifeln fertig geworden zu sein. Dieses Okular hier ist überall das Beste, und wird es immer bleiben, weil ich es per meinem Entschluß dazu mache. Einem willentlichen Entschluß, der in Wahrheit nur eine ziemlich fragwürdige Mischung aus Projektionen und heimlichen Wünschen besiegeln soll: Da will einfach jemand glauben, dass all sein Aufwand der Gralssuche nicht umsonst war. Und so werden zum Zeichen der Gewissheit schließlich alle anderen Okulare zur Strafe in die ewige Verdamnis geschickt, weil sie sonst den Status des Einzigen Besten immer wieder neu anfechten könnten, und wieder zu den ewiggleichen ermüdend fruchtlosen alten Vergleichen verlocken könnten, die man doch endlich hinter sich lassen möchte. Sprich alle anderen Okulare werden ein bisschen schlechter geredet als sie sind und verkauft, und das Auserwählte wird in immer höhere Spähren entrückt "...und führe mich nicht in Versuchung."
Von nun an kann das Ergebnis der monotheistischen Vereinzelung immer weiter, und geradezu zwanghaft, zur allein richtigen Gewissheit stilisiert werden. Dieses ist das Beste, es gibt keine anderen ebenso guten Okulare neben ihm, und das sollen, nein müssen andere gefälligst genauso sehen. Und damit man auch wirklich innere Ruhe hat, zumindest für eine Weile, panzert man sich gegen kritische Fragen ab und legt sich einen selektiven Blick zu. Man macht sich auf die Suche möglichst nur nach Leuten, die einem genau das bestätigen, was man gerne hören will über das Leica-Fabelokular.("Das Fazit für viele, die erst skeptisch waren, es dann aber doch gekauft haben, ist ziemlich eindeutig: sie haben fast alle konkurrierenden Okulare verkauft...") Und mit solchen Wundererzählungen soll die Fangemeinde durch Missionieren vergrößert werden. Wer's glaubt wird seelig...
Umgekehrt werden alle, die auch nur den leisesten Zweifel an dieser Verabsolutierung hegen, und sei er noch so gut begründet, mit Bannsprüchen belegt: sie wollen sich unterstehen, ein vermeintliches Überokular mit ihren kritschen Fragen auf den schnöden Boden physikalischer Wirklichkeit zurückzuholen. Weil man so einen selektiven Blick - um nicht zu sagen den ganzen Selbstbetrug - aber nicht zugeben darf, nicht vor anderen, und nicht vor sich selber, schließlich hat man ihn sich jahrelang und nur mühevoll angeeignet und eingeübt, tut man alles um davon abzulenken, dass dieses Gespinst aus Einbildung und überhöhten Ansprüchen in Wahrheit höchst fragil ist. Man verdrängt alle kritischen Überlegungen, blockt jedes Infragestellen ab, redet von fabelhaften Fähigkeiten und vermutet Spezial-Kenntnisse über die man eben nur bei diesem Hersteller Leica verfügen dürfte. Man fabuliert, dass diese Firma jede anderen noch so Renommierte auf der Welt jederzeit leicht übertreffen oder mit den besten mindestens gleichziehen könnte, wenn sie nur wollte. Sie tut es nur nicht, weil sie lieber ihre ganze Zeit und Energie aufwenden einzigartige Produkte herzustellen, und weil sie auf dem Geschäftlichen Auge zufällig etwas unterbelichtet ist, wobei sie freilich im Rest der ganzen Welt, besonders in der Neuen Welt, wo die Leute nicht so dumm sind wie hier, glänzende Geschäfte macht. Was die Firma, die Verlinkungen beweisen es ja, im Grunde wenigen Propheten zu verdanken hat, von denen hier einer gnädigerweise im Forum darüber schreibt und auf seine überlegenen Erkenntnisse hinweist, obwohl Propheten ja bekanntermaßen im eigenen Lande nichts gelten... Aber auf ein paar Glaubensbereite wird er schon trefffen... Derart konditioniert man sich gegenseitig immer weiter, und je stärkere Zweifel andere Außenstehende anmelden, um so fester die Glaubensbeteuerungen in der Anhängerschaft.
Damit deren Zusammenhalt aufrechterhalten wird ist es nötig, sich gegenseitig gegen jegliche Kritik oder berechtigte Relativierungen zu immunisieren. Weil das mit sachlichen technisch-physikalischen Argumenten leider nicht möglich ist, die ja eher für das Gegenteil sprächen (wer davon was versteht weiss leider oft zu gut, wie relativ das Beste je nach geringfügig anderen Umständen sein kann, und dass es absolut Bestes so gut wie nie gibt) wird man halt persönlich. Es heißt dann "die" anderen haben keine Erfahrung, "die" haben nie durch so ein exklusives Okular gesehen, geschweige denn es besessen. Mögen "die" sich in Physik oder Technik noch so gut auskennen, das ist nicht relevant, davon muß man nichts verstehen um sich ein sicheres Urteil über etwas zu bilden, was doch jeder selber sehen kann. Physikalische Gesetze oder technische Prinzipien gelten nicht, wo Blinde sehend werden und wo Okulare sozusagen über das Wasser laufen können ist es auch vollkommen egal, wieviele Glas-Luftübergänge oder prinzipiell fehlerbehaftete optische Flächen so ein Ding hat.
Zur Untermauerung verweist man auf seine überdurchschnittlichen Wahrnehmungsfähigkeiten (120% Augen) und/oder jahrzehntelange Erfahrung, nie so etwas Gutes zuvor gesehen zu haben und auf das Wunder, im Rest der Welt gäbe es längst Millionen ebenso Gläubige. Andererseits muss man von dieser rein persönlichen, im Grunde völlig unsachlichen und höchst subjektiven Argumentationsweise natürlich irgendwie ablenken, wozu man am besten umgekehrt betont, im Grunde nur an sachlichen und "objektiven" "Informationen" und echtem "Erfahrungsaustausch" Interesse zu haben, sobald man nur die lästigen Fragesteller mit ihren verdrehten Augen endlich vertrieben hat. Wo kämen wir denn hin, wenn wir unsere subjektiven Bedürfnisse ehrlich eingestehen würden und zur nüchternen Erkenntnis kommen müssten, es gäbe mehrere Wege, die nach Rom führten?
Mal im Ernst. Jedem der halbwegs nüchtern denken kann, muss eine derart verklärende, um nicht zu sagen religiöse, Sicht eines technischen Dings doch reichlich spanisch vorkommen. Ist es nicht viel eher wahrscheinlich, dass man, wenn die eigenen Projektionen und Wünsche derart die Oberhand über den Verstand gewonnen haben, allzu gern zum Propheten oder zum Jünger der eigenen Wunschvorstellungen wird? Auf diese Idee des einzig Wahren samt den zugehörigen Verhaltensmustern kann man in verschiedensten Spielarten doch überall stoßen, von Religionen bis hin zu politischen Ideologien. Ganz frei von dieser Art "Kuschelbedürfnis" mit einem Höchsten, Größten, Schönsten, Besten, Wahren, das ich endlich erkannt habe und mir nun, da ich es besitze, Sicherheit gibt, ist vermutlich niemand, sonst fielen solche Vorstellungen, die wie Heilsversprechungen wirken, nicht immer wieder auf fruchtbaren Boden. Ihr Erfolg fußt darauf die uns allen tief einprogrammierte, aber unbemerkte Selbstüberschätzung zu bedienen, die uns einerseits wagemutig und andererseits selbstzufrieden machen soll und die uns stets glauben lässt: ich bin ein bisschen besser als andere, irgendwie klüger, erfahrungsreicher - usw. Und was ich einmal ausgewählt habe, wird schon allein dadurch, das ich es mit Überlegenheit erwählt habe, besser.
Es ist tatsächlich so: wenn man Kapuzzineräffchen (oder eben auch Menschen) unter eine Menge von absolut gleichen Äpfeln einen auswähen lässt, dann sind sie nach der Wahl so von der Besonderheit dieses hundsgewöhnlichen durchschnittlichen Apfels überzeugt, dass sie ihn nur gegen etwas vermeintlich Höherwertiges einzutauschen bereit sind und maßlos enttäuscht, wenn andere in diesem Apfel nichts besonderes erkennen können, und dafür keinen höheren Preis zahlen wollen. Und selbst wenn etliche unermüdlich daran erinnern, dass es das einzig ideale Beste kaum geben kann, und es in mancher Hinsicht fast immer irgendwo etwas noch besseres gibt oder geben könnte, ist bei manchen das Bedüfnis sich die Welt einfach so zu machen, wie man sie gern hätte so mächtig, dass sie am Ende sogar lieber belogen werden wollen, oder sich selber belügen, als eine womöglich ernüchternde Wahrheit zu erfahren. (Und wer weiß, vielleicht versinnbildlichen "Logos" auch dieses "Lügenbedürfnis". Übrigens werden auch Suchterkrankungen, hervorgerufen durch fehlgeleitete Selbst-Stimulierung des Lustzentrums, so verständlich, und wer Dutzendweise Okulare besitzt, wird diese Parallele vielleicht nicht gleich von der Hand weisen...)
Doch so menschlich das vereinfachende Bedürfnis mit der scheinbar Orientierung stiftenden Vorstellung eines Allerbesten auch ist: es ist meistens nur eine subjektive Verzerrung, die noch mehr Verwirrung stiftet, sobald die, die echtes Interesse an tatsächlichen Erkenntnissen haben auf den Plan treten und ihre berechtigten Fragen stellen. Zu einfache idealistische Projektionen haben nach deren Erfahrung mit den wirklichen Verhältnissen in der Welt, die meist ungleich vielschichtiger um nicht zu sagen hässlicher sind, oder mehrdeutig, und oft sogar mehr Rätselhaftes als Gewisses an sich haben (jedenfalls soweit wir das wissenschaftlich erkennen können), selten etwas zu tun. Solche Überhöhungen sind eher der Unfähigkeit oder Angst mancher Zeitgenossen geschuldet, eine gewisse Offenheit oder Unbestimmtheit, eine gewisse Vorläufigkeit, Kompliziertheit, Vielfältigkeit, Unordentlichkeit und vielleicht sogar Hässslichkeit der Welt, und unserer unvollkommenen Vorstellungen darüber, einfach gelassen hinzunehmen. Aber wer sich pragmatisch mit den Gegebenheiten arrangiert, statt den Gral zu suchen oder zu propagieren, dem wird dann halt unterstellt, er hätte keine Begeisterungsfähigkeit...
Die einfache Wahrheit ist: das Leica ist ein ausgezeichnetes Okular, aber es ist weder einzigartig, noch das absolut Beste, noch hat es magisch überlegene Eigenschaften und es gibt auch längst eine ganze Reihe anderer Hersteller, die ebenso gute und genauso weitwinklige Zooms dieser Vergrößerung anbieten, und das sogar zu günstigeren Preisen. Durch diese nüchterne Einschätzung wird das Leica keinen Deut schlechter gemacht als es ist, und wer das Gefühl braucht, etwas Besonderes zu besitzen und für den Namen auch besonders zu zahlen gewillt ist, soll es sich ruhig kaufen, warum nicht gleich paarweise. Ich will niemandem seine Begeisterung nehmen, Fertigungsqualität und optische Leistung sind im Rahmen des Technisch bestmöglichen. Aber wie gesagt, andere können Vergleichbares auch und die ganze unsinnige Verklärung die hier verbreitet wird gehört zurechtgerückt. Denn ein wirklich gutes Okular hat solche - für meine Begriffe reichlich dümmlichen - verabsolutierenden Lobhudeleien gar nicht nötig. Die haben nur manche Leute nötig.
(Sorry, war zu lang, musste aber mal raus, weil sich beim Lesen dieses und der verlinkten Threads so einiges anstaute...)