Sternnamen

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Achatius

Mitglied
Hallo zusammen!

Meine Recherchen zu einer bestimmten Frage der Geschichte der Astronomie waren bisher recht ernüchternd. So bin ich hier im Forum gelandet. Vielleicht kennt jemand von euch eine aussagekräftige Quelle zu folgendem Problem:

Die Plejaden (sieben Schwestern) erhielten ihre Namen aus der griechischen Mythologie: Alcyone, Asterope, Celaeno, Electra, Maia, Merope, Taygeta.

Ihre Eltern waren Atlas und Pleione.

Zum üblicherweise sichtbaren „Siebengestirn“ zählen neben Atlas und Pleione nur fünf der Töchter, weil Asterope und Celaeno lichtschwach sind und meist nur von guten Augen erkannt werden können.

Der als „Plejaden“ bezeichnete Sternhaufen umfasst also insgesamt (im klassischen Sinne) neun Objekte, die bereits im Altertum ihre Eigennamen erhielten!

Sternfreunde verwenden heute diese Namen und wissen aus Sternkarten genau, wo z.B. Pleione und Atlas liegen.

In welchem historischen Sternkatalog bzw. in welcher Sternkarte wurde aber diese Zuordnung der Namen zu den Objekten erstmals vorgenommen?

Diese ergibt sich ja nicht aus den mythologischen Erzählungen! Soweit ich das bisher ermitteln konnte, ist der Almagest des Ptolemäus diesbezüglich wenig ergiebig. Die Sternkarten des Al-Sufi sind mir nicht zugänglich, vermutlich aber zu ungenau, und auch die Kupferstiche von Hevelius und Bayer (Uranometria) sind bildhafte Darstellungen der Sternbilder ohne genaue Objektbezeichnungen, insbesondere beim Plejadenhaufen. Zudem entstanden sie erst im 17. Jahrhundert und beruhen auf älteren Quellen.

Also: aus welcher Quelle wissen wir, dass zum Beispiel Taygeta der Stern „hinten rechts“ zwischen den kaum sichtbaren Sternen Asterope und Celaeno ist usw.?

Ganz erschreckend ist die Vorstellung, die Namen seien über Jahrhunderte durch „Stille Post“ weitergegeben worden. Dann wäre gar die Identität der Namenszuordnung zu den Sternobjekten über die langen Zeiträume infrage gestellt … ;-)

Hat von euch jemand eine Idee, wann und wo das festgelegt wurde?

Achatius
 
Die Genealogie der namentlichen Zuordnung der Sterne des Plejadenhaufens scheint in der Tat etwas mysteriös. Galieo zeigt in seinem Sidereus Nuncius von 1610 zwar schon eine Zeichnung der Plejaden mit insgesamt 36 Sternen, aber ohne namentliche Bezeichnung.

In der Bibel zum Thema "Star Names - Their Lore and Meaning" von R.H. Allen gibt es zwar ganze zwanzig Seiten allein über die Plejaden, zur Frage der namentlichen Zuordnung schreibt er aber etwas hilflos:

I have not been able to learn when, and by whom, the titles of the sisters were applied to the individual stars as we have them; but now they are catalogued nine in all, the parents being included. These last, however, seem to be a comparatively modern addition, the first mention of them that I find - in Riccioli's Almagestum Novum of 1651 - reading:

Michael Florentius Lagrenius illarum exactum figuram observavit, & ad me misit, in qua additae sunt duae Stellae aliis innominatae, quas ipse vocat Atlantem, & Pleionem; nescio an sint illae, quas Vendelinus ait observari tanquam novas, quia modo apparent, modo latent.


Giovanni Battista Riccioli

Giovanni Battista Riccioli (17 April 1598 – 25 June 1671) was an Italien astronomer and a Catholic priest in the Jesuit order. He is known, among other things, for his experiments with pendulums and with falling bodies, for his discussion of 126 arguments concerning the motion of the Earth, and for introducing the current scheme of lunar nomenclature.

Almagestum Novum: One of Riccioli's most significant works was his 1651 Almagestum Novum, an encyclopedic work consisting of over 1500 folio pages (38 cm x 25 cm) densely packed with text, tables, and illustrations. It became a standard technical reference book for astronomers all over Europe


Also, solange wir nichts Gegenteiliges erfahren, würde ich Riccioli als Urheber der namentlichen Zuordnung annehmen. Möglicherweise gab es schon vor 1610, also auf Basis von freiäugigen Beobachtungen, namentliche Zuordnungen für die helleren Sterne des Plejadenhaufens. Die schwächeren Mitglieder konnten wohl erst teleskopisch zuverlässig zugeordnet werden.

Sidereus Nuncius.jpg

Credit: Wikipedia
 
Zuletzt bearbeitet:
Vielen Dank, für deine ausführliche Antwort, P_E_T_E_R.

Nur nebenbei: die Ausgabe von Hans Blumenberg (sammlung insel) zu Galileis Sidereus Nuncius habe ich gerade vor mir liegen. Die Darstellung der Konstellation der Plejaden ist natürlich identisch zum Original aber - wie du auch erwähntest - im Zusammenhang mit meiner Frage nicht weiterführend. Den Hinweis auf Ricciolis Almagestum Novum finde ich sehr interessant. Dieser Sache werde ich weiter nachgehen. Vielleicht verlieren sich die Spuren tatsächlich im Dunkel der Geschichte...

Gruß
Achatius
 
Hallo Achatius,

Wegen der Namen der Pleiadensterne habe ich mal einen Abend im Internet Detektivarbeit geleistet. Die Ergebnisse sind aber ein wenig verwirrend. Das Sternbild der Pleiaden wird in der alten griechischen Literatur oft erwähnt, z.B. schon bei Homer und Hesiod, und auch bei den griechischen Astronomen. Dabei wird der Mythos von den 7 Schwestern immer angewendet. Aber eine eindeutige Zuordnung einzelner Sterne zu einer bestimmten Schwester scheint es in der Antike nirgends zu geben.
Schauen wir auf die frühen neuzeitlichen Sternkataloge und Atlanten, ergibt sich zunächst das gleiche Bild. Beyer in seiner Uranometria (1603) zeigt 6 Pleiadensterne, unter denen einer, nämlich eta Tauri wegen seiner Helligkeit hervorgehoben wird. Aber Namen gibt er den einzelnen Sternen nicht. Denis Petau berichtet in seiner Uranologia (1630) seitenweise über die Pleiaden. Er trägt alles zusammen, was die antike Literatur und Astronomie darüber hergibt, aber auch er benennt die Sterne nicht einzeln.
Wichtig ist dann Ricciolis Almagestum Novum (1651), wie auch Peter schon hervorgehoben hat. Den Text findet man hier, auf Seite 399 linke Spalte unten und rechte Spalte oben.

https://books.google.de/books?id=_mJDAAAAcAAJ&printsec=frontcover&redir_esc=y#v=onepage&q&f=false

Riccioli bringt tatsächlich die jeweiligen Namen der sieben Schwestern ins Spiel, aber nur sehr ungefähr. Er sagt: Maia (die älteste Schwester) ist der hellste Stern (lucidissima) im Viereck (quadrilaterum). Die anderen Sterne im Viereck sind Sterope, Taygeta und Celaeno. Außerdem gebe es noch Elektra, Merope und Alkyone. Dann kommt er auf die Tatsache zu sprechen, daß einige altgriechischen Autoren 7 Sterne erwähnen, andere aber nur 6. Schon in der Antike hat man diese Diskrepanz dadurch erklärt, daß sich eine der 7 Schwestern gern verberge. Manche meinen, dies sei Elektra, die sich als Ahnfrau der Trojaner immer noch gräme über den Untergang der Stadt; andere sagen, dies sei Merope, die sich schäme, weil sie als einzige der Schwestern nicht einen Gott, sondern einen Menschenmann (Sisyphos) geheiratet habe. Schließlich erzählt Riccioli, daß Michael Florentinus Langrenus (van Langren) die genaue Gestalt der Pleiaden beobachtet und an Riccioli geschickt habe, wobei er zwei neue Sterne hinzugefügt habe, die bisher unbenannt waren, nämlich Atlas und Pleione (die Eltern der 7 Schwestern). Soweit Ricciolis Darstellung.

Riccioli identifiziert also den hellsten Stern namentlich, nämlich Maia, und die übrigen Sterne nur ungefähr. Aber hier kommt das Merkwürdige: Ricciolis Zuordnungen scheinen mit den heute geläufigen gar nicht übereinzustimmen. Der hellste Stern, also eta Tauri, heißt bei Riccioli Maia, heute aber Alcyone. Das helle Viereck bilden nach Riccioli die Sterne Maia, Sterope, Taygeta und Celaeno; nach heutiger Nomenklatur aber Alcyone, Merope, Elektra und Maia. Der siebte Stern, der sehr schwach ist und sich manchmal verhüllt, ist in heutiger Nomenklatur entweder Celaeno oder Asterope, für Riccioli war das aber Merope oder Elektra. Die Sterne, die wir heute Merope und Elektra nennen, gehören zum hellen Viereck und verbergen sich nie. Daher ist anzunehmen, daß Riccioli mit Merope und Elektra diejenigen Sterne meint, die wir heute Asterope bzw. Celaeno nennen. Die beiden Sterne, die Langrenus neu hinzugefügt hat, nämlich Atlas und Pleione, können auch kaum mit denjenigen Sternen identisch, die wir heute so nennen. Denn zumindest Atlas war immer schon bekannt und zählte zu den 6 bzw. 7 Pleiadensternen.

Ricciolis Versuch, die Pleiadensterne einzeln zu benennen, scheint von seinen Nachfolgern auch nicht rezipiert worden zu sein. Johannes Hevelius erwähnt in seinem Sternkatalog (Prodromus astronomiae, 1690) keine solchen Namen, und Flamsteed in seinem Sternkatalog und seinen Sternkarten (1725) auch nicht. Offenbar hat man erst später im 18. Jh. den einzelnen Pleiadensternen nochmals die Namen der Schwestern und ihrer Eltern zugeordnet, unabhängig von Riccioli, und eigentlich auf sinnwidrige Weise. Denn der hellste Stern (eta Tauri) muß natürlich wie bei Riccioli Maia heißen, und nicht Alcyone, weil Maia die älteste Schwester ist. Und Merope und Elektra müssen die Namen der schwächsten Sterne sein, und nicht wie bei uns Asterope und Celaeno, weil Merope und Elektra sich aus Scham oder Gram gelegentlich verbergen, d.h. bei schlechteren Bedingungen nicht zu sehen sind. Wann genau und von wem die heutigen Namen eingeführt wurden, konnte ich leider nicht herausfinden.

Soweit meine Recherche.

Viele Grüße

Johannes
 
Ganz hervorragend Johannes, vielen Dank! Es ist immer wieder beeindruckend wie viel Enthusiasmus und Fachwissen in der Astro-Community steckt! :y:
 
Tja, wer hat den Plejaden ihre individuellen Namen verpasst?

Was man bräuchte, ist eine namentlich gekennzeichnete historische Sternkarte, oder meinetwegen auch eine Tabelle mit Sternpositionen und Namen, aber anscheinend gibt es das erst seit neuerer Zeit. Die IAU hat sich ja überhaupt erst seit wenigen Jahren offiziell mit der Benennung von Sternen befasst.

Einzelne Sterne der Plejaden sind zwar schon in den Sternkatalogen von Hipparchus und Ptolemy aufgeführt, später auch bei Tycho Brahe. Wenn es in den modernen Ausgaben dieser historischen Werke überhaupt namentliche Zuordnungen zu einzelnen Sternen gibt, dann stammen diese in der Regel von den Herausgebern dieser Werke aus unserer Zeit und geben deshalb keinen Hinweis auf die originalen historischen Bezeichnungen von Hipparchus etc., wenn es denn überhaupt solche gab:

Ptolemy's Catalogue of Stars

Almagest_82.jpg

Public Domain

Three editions of the Star Catalogue of Tycho Brahe

Tycho_Brahe_Taurus.jpg

Tycho_Brahe.jpg

Credit: F. Verbunt & R.H. van Gent

Man findet zwar zahlreiche Untersuchungen zur alten Frage, ob denn nun sechs oder sieben Sterne freisichtig zu sehen sind, auch schon in sehr alten historischen Quellen, aber das taugt alles nichts zur Klärung der namentlichen Zuordnung:

S&T : How many Pleiades can you see?

The Lost Pleiad

Le Mystère Des Étoiles Aux Sept Voies
 
Zuletzt bearbeitet:
Ja, das Thema ist geheimnisvoll!

Vielen Dank für eure Bemühungen.
Ich habe natürlich auch weiterrecherchiert und z.B. folgendes gefunden:

1606982058574.png


Cicero`s Aratea with Hyginius`s Astronomica Reims (?) ca. 820-850
British Library 647, fol. 4v

(Man vergleiche das Epigram einmal mit den Plejaden auf der Himmelsscheibe von Nebra:
Ein Schelm, wer Böses dabei denkt ...! und sollte hier nicht weiter diskutiert werden...)
1606985408842.png


Other names, too, were assigned to the mythological septette; the scholiast Theocritius giving them as
Coccymo, Plancia, Protis, Parthemia, Lampatho Stonychia, and the familiar Maia.
R.H. Allen's 1899 Star-Names and Their Meanings.

Man findet immer wieder mehr oder weniger realitätsnahe Darstellungen des Plejadenhaufens, nur die Zuordnung der Namen nach unserem heutigen Verständnis bleibt geheimnisvoll.

Die Namensverwechslungen, die Johannes erwähnte (z.B. welcher Stern verschwindet tatsächlich), hatten mich zu der Befürchtung geführt, dass über Jahrhunderte die Bezeichnungen nur als "Stille Post" weitergegeben wurden, es also zu zahlreichen Objektverwechslungen gekommen sein könnte.

Was den Almagest anbelangt: dort stehen zwar drei der insgesamt neun Namen, aber für eine eindeutige Zuordnung zu den Objekten des Haufens reichen die ungenauen Positionsangaben nicht aus.

Die einzige klare Zuordnung, die ich aus den (älteren) historischen Quellen auffinden konnte, betrifft Alkyone. Er wird immer als der hellste Stern bezeichnet, und seine Position wird als die der Plejaden identifiziert.

Die älteste Quelle, die mir bisher zur Verfügung steht, die eine eindeutige Objektzuordnung in Form einer Konstellationszeichnung aufweist, ist:
J. E. Bode`s Anleitung zur Kenntniß des gestirnten Himmels
Herausgegeben von Dr. E Bremiker, 1867.

1606985272868.png




Bin bespannt, was noch alles ausgegraben werden kann ;), auf jeden Fall muss es Darstellungen in noch älteren Quellen gegeben haben, denn Bode hat das nicht erfunden!

Achatius
 
Weiter zurückliegende Ergänzungen:
1801 findet man in Bodes Uranographia folgendes Bild:
1606993629249.png


Die Buchstaben referenzieren zu seinem Katalog "Allgemeine Beschreibung und Nachweisung der Gestirne nebst Verzeichnis", wo Electra (b) , Merope (d) und Taygeta (m) usw. auftauchen.

1606993803001.png


Die Beobachtungen gehen auf Tobias Meyer Göttingen zurück, müssen also noch früher gewesen sein.
Geht`s noch weiter zurück? ->Flamsteed?
Achatius
 
Weitere Ergänzung:
Hevelius hat in seiner Prodromus astronomiae von 1690 sechs Plejadensterne (sehr eng!) eingezeichnet. Einer ist besonders hell (mit Sicherheit Alcyone). In seiner Liste der Sterne taucht nur ein Plejadenstern auf mit der Benennung:
In Paleari sequens
Lucida Plejadum
Frei übersetzt: Im Streuhaufen der Plejaden hell leuchtend (-> Alcyone).

Ich wage jetzt zu behaupten, dass die Namen der "im Kreis tanzenden Schwestern" (siehe Cicero) erst nach Hevelius den Sternen der Plejaden eindeutig und unverwechselbar zugeordnet wurden.

Bin sehr gespannt auf eure Meinung.

Achatius
 
Hallo Achatius,

"Lucida Pleiadum" heißt ja einfach, das Licht der Pleiaden, d.h. der hellste Stern der Pleiaden. Diese Bezeichnung benutzen im 17. und 18. Jh. alle Autoren. Deine Frage lautete aber: Seit wann nennt man diese lucida "Alcyone", und die anderen Pleaidensterne entsprechend?

Flamsteed hat dazu nichts, soweit ich das sehe: Im dritten Band seiner "Historia coelestis Britannica" findet sich sein Sternkatalog. (Zuvor druckt er aber noch die Kataloge von Ptolemäus, Tycho Brahe und Hevelius ab.) Hier ist der Link dazu:
MDZ-Reader | Band | Historiae Coelestis Britannicae Volumen ... / Flamsteed, John | Historiae Coelestis Britannicae Volumen ... / Flamsteed, John

Die Zahlen der Seiten (d.h. die Seitenzahlen des Readers, nicht des Typoskriptes), auf denen es um die Pleiaden geht sind:
175 (Ptolemäus)
199 (Brahe)
220 (Hevelius)
253 (Flamsteed)
Flamsteed verwendet aber nirgendwo Eigennamen für die Pleiadensterne, auch nicht in seinem Atlas Coelestis (S. 28). (Auch die früheren Kataloge, wie Flamsteed sie wiedergibt, bieten keine Eigennamen der Pleiadensterne.)

Atlas coelestis : Flamsteed, John, 1646-1719 : Free Download, Borrow, and Streaming : Internet Archive


Aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaber:
Riccioli hat nicht nur das Almagestum Novum (1651) verfaßt, sondern auch die Astronomia Reformata (1665). Wie ich gerade sehe, gibt er hier tatsächlich jedem einzelnen Pleiadenstern einen Eigennamen, und zwar genau so, wie wir es heute auch tun.

Astronomia reformata - Giovanni Battista Riccioli - Google Books

Auf Seite 266 findest Du das. Offenbar hat Riccioli selbst die Nomenklatur, die er 1651 noch verwendete, geändert. Jetzt ist zum Beispiel nicht mehr "Maia" die "lucidissima Pleiadum", wie es im Almagestum Novum (S. 399) noch heißt, sondern Alcyone. Diese spätere Nomenklatur hat sich dann verbreitet. Merkwürdig ist trotzdem die große zeitliche Lücke zwischen der Astronomia Reformata (1665) und Bode. Eigentlich müßte es dazwischen weitere Zeugen geben, die die Bezeichnungen der Astronomia Reformata aufnehmen. Flamsteed und Hevelius gehören aber wohl jedenfalls nicht dazu.

Viele Grüße
Johannes
 
Kodos, Johannes. Das bringt die Sache deutlich weiter! :)

Im Almagestum Novum war ich ebenfalls nicht fündig geworden.
Dann ist (wie von P_E_T_E_R bereits vermutet) bis jetzt Riccioli die älteste nachweisbare Quelle mit einer Zuordnung von Namen zu Koordinaten. Wir sind nun im Jahre 1665.
Natürlich kann Riccioli diese Zuordnung auch aus einer älteren Quelle übernommen haben.
Dennoch: Super!
Achatius
 
Hier noch ein interessanter Nachtrag:
Was ich ja noch vermisste, war eine Konstellationszeichnung mit den Plejadennamen.
Ich habe deshalb die Messwerte von Riccioli einmal quick and dirty in einem Longitude-Latitude-Diagramm dargestellt.
Und siehe da, es ergab sich etwas Merkwürdiges:
1607028300802.png

Das Plejadenmuster stimmt sehr schön überein. NUUUR: der Tabellenwert von Alcione ist in der Breite falsch (Mess- oder Druckfehler in der Astronomia reformata). Auf keinen Fall kann das auf Eigenbewegung zurückzuführen sein, die streut nämlich kaum für die Plejadenmitglieder.

Alcione müsste so etwa die Werte 25 24 (statt 54) 37 und 3 59 0 haben (ganz grob geschätzt).

Hat sich die Mühe gelohnt.
Nochmals kudos für die Hinweise ;-)
Achatius
 
Ausgerechnet auch noch beim hellsten Stern - naja, wenn man weiß, wie die Leute damals mit den Zahlen geschludert haben, wundert das eigentlich nicht. Ptolemäus hat wohl gar keine eigenen Messungen gemacht, sondern die vom Hipparchos einfach übernommen, dann etwas wegen der Präzession verschoben und dabei noch systematische Fehler gemacht. Sogar der ob seiner Präzision viel gerühmte Brahe lag manchmal ziemlich daneben, siehe oben. Und dann kamen noch die Schreibfehler der Kopisten dazu. Unsere Wissenschaft ruht nicht nur auf den Schultern von Riesen, sondern auch auf ihren Fehlern und Macken ...
 
Dass es sich ausgerechnet um die helle Alcyone handelt, deutet zumindest darauf hin, dass es wohl ein Übertragungs-/Druckfehler ist. Der Beobachter hätte diese Abweichung gegenüber den anderen Sternen der Plejaden auf jeden Fall bemerken müssen.

Der Umgang mit Daten ist heute nicht anders. Deshalb gilt auch hier die Devise:
Glaube nur die Daten und Fakten, die du selber gefälscht hast...
 
Wo liegen denn die Positionen bei Tobias Mayer aus Göttingen?

Wenn der selber beobachtet hat, sollte ihm der Fehler bei Alcyone aufgefallen sein.
 
Mit parallaktischem Blick kann man an den Daten in Bodes „Allgemeine Beschreibung und Nachweisung der Gestirne nebst Verzeichniss“ von 1801, beobachtet von Tobias Mayer, Göttingen, sofort erkennen, dass Alcyone nicht aus der Reihe fällt, also dort ist, wo er sein sollte.

Für alle Interessenten, mal wieder quick and dirty:

1607083384081.png


Geplottet ist ascensio recta (gerader Aufstieg), also Rektaszension gegen Declination Boreal, und man erkennt tatsächlich die sieben Schwestern und ihre Eltern ;-)
Und ja, ich weiß, mit einem Plottprogramm am Rechner geht das schöner... Aber so ist es authentischer ;-)

Achatius
 
Hallo Achatius,

danke für die Skizze.

Hast Du vielleicht Lust auf mehr? Dann schau doch mal bei Hevelius nach, Prodromus astronomiae (1690), S. 254-255.


Da findest Du die Koordinaten der Pleiadensterne aus den Katalogen von Hevelius, Tycho, Prinz von Hessen (wer ist das?), Riccioli, Ulugh Beg, und Ptolemäus tabellarisch nebeneinander gestellt. WEnn du die mal in eine Skizze einträgst, können wir sehen, mit welchen Toleranzen bei den Positionsangaben in dieser Zeit zu rechnen ist.

Hevelius benutzt alledings nicht die Eigennamen der Pleiadensterne, sondern folgende Bezeichnungen:
1) Lucida Pleiadum = Alcyone
2) In cuspide occid. Pleiadum = Taygeta (man stellte sich die Pleiaden als Lanze (cuspis) vor, gebildet durch Atlas, Alcyone, Maia und Taygeta. Taygeta ist das westliche Ende der Lanze).
3) In cuspide orient. Pleiadum = Altas (das östliche Ende der Lanze).
4) Lucidam proxime praeced. = Maia
5) Inferiorum praec. Pleiadum = Elektra (von den unteren Sternen der Pleiaden der vordere)
6) Inferiorum seq. Pleiadum = Merope (von den unteren Sternen der Pleiaden der hintere)

Ich bin gespannt, wie eine solche Skizze aussehen würde. Beim schnellen Drüberschauen habe ich den Eindruck, daß die Differenzen in den Positionsangaben erheblich sind.

Viele Grüße
Johannes
 
Ich hatte die Daten im Prodromus nicht weiter verfolgt, da sie ja nicht zielführend bzgl. meiner Frage waren.
Dennoch besten Dank.

Interessant ist auf jeden Fall, dass der Riccioli-Wert für Alcyone mit Long. 25 20 50, Lat. 3 59 0 angegeben wird, also gegenüber der Astronomiae Reformatae KORRIGIERT ist!

Es macht nicht viel Sinn, den Datensalat in einem quick & dirty-Plot darzustellen. Jeder Messpunkt muss mit dem Sternnamen UND einem Symbol für die Herkunft gekennzeichnet werden. Dazu muss man mehr Aufwand betreiben.
Zum Verständnis für das Durcheinander nur ein Beispiel.
Bei Hevelius und Tycho sind die Werte für Merope fasst identisch.
Der Tycho-Wert für Elektra liegt aber deutlich näher am Hevelius-Wert für Merope als am Hevelius-Wert für Elektra.
Das gibt großes Durcheinander, weil in einigen Fällen nahe beieinanderstehende Symbole KEINESWEGS den gleichen Stern repräsentieren.
Die größten Abweichungen von den restlichen Daten liegen bei den Ptolemäus-Werten (siehe Punkte) für die Länge und Breite vor; bei Ulug Beigh eher für die Länge (siehe Kreuze).
Wir wissen alle, dass systematische Fehler, Präzession, Friemelfaktoren etc. starke Einflüsse ausüben.
Deshalb nur ZUM SPASS der zusammenfassene handmade Plot:
1607107826565.png

Achatius
 
Peter, Aha, Wilhelm IV. von Hessen-Kassel also. Den kannte ich bisher weder astronomisch noch sonst irgendwie.

Achatius, der Plot wird tatsächlich schnell unübersichtlich. Ich habe es mal mit Farben versucht, ganz grob. Da sieht man, wie sich die Gestalt der Pleiaden verformt. Ulugh Beg und Ptolemäus habe ich weggelassen, weil sie einfach zu alt sind.
Pleiaden.jpg


Hevelius kommt der Gestalt der Pleiaden, wie wir sie kennen, eigentlich am nächsten. Die Position von Alcyone stimmt bei allen ziemlich überein. Die Positionen von Atlas und Merope sind auch ziemlich stabil. Elektra schwankt schon mehr, und bei Taygeta gehen die Abweichungen durch die Decke. Was Riccioli angeht, so hat man die Koordinaten für Alcyone zwar korrigiert, aber dafür sind alle anderen Sterne in der Länge um etwa 0,5 Grad verschoben.

Viele Grüße
Johannes
 
Deine Zeichnung erinnerte mich irgendwie an meine erste Plejadenzeichnung:

1607264094692.png


Und so sah mein erstes Plejadenfoto aus (russische Revueflex bei Bel. 21 min):

1607263979813.png


Und so sieht das heute aus (10" Newton-Astrograph mit Atik 383L+ monochr., Bel. 1200 sec)

1607264080835.png
 
Achatius,
hervorragende Recherche! Das stellt sogar R. H. Allen in den Schatten!

Hast Du vielleicht auch Zugang zu dem französischen Originaltext von de la Hire? Der verlinkte Text von Steinwehr 1748 scheint ja eher eine Paraphrase des Berichts von de la Hire zu sein. Vielleicht enthält das Original noch mehr Detailinformationen.
Jedenfalls war ja auch Hevelius schon aufgefallen, daß die Länge von Alcyone bei Riccioli korrigiert werden muß. Hevelius hat Ricciolis Länge für Alcyone um 33' 47'' reduziert und dann hat dieser Schelm exakt den gleichen Wert pauschal auch bei den übrigen Pleiadensternen abgezogen. Er hat also Ricciolis Koordinaten verschlimmbessert. De la Hire hat aber gemerkt, daß bei Riccioli nur der Wert für die Länge von Alcyone falsch ist, nicht aber die Koordinaten der anderen Sterne. De la Hire war offenbar ein gründlicher Mann, denn er hat sich nicht mit Ricciolis Daten begnügt, wie sie bei Hevelius angegeben sind, sondern er ist direkt auf Ricciolis Astronomia Reformata zurückgegangen. Dort hat er dann auch die Eigennamen der Pleiadensterne gefunden.

DAs beweist natürlich noch nicht, daß Riccioli in der Astronomia Reformata der erste war, der die heute noch übliche Zuordnung der Eigennamen verwendet hat, aber es ist doch ein guter Hinweis darauf. Wenn Riccioli das von irgendwo übernommen hätte, hätte de la Hire es vielleicht gewußt.
Andererseits wundert man sich doch darüber, daß Riccioli im Almagestum Novum ursprünglich eine andere Nomenklatur verwendete. Warum hat er das in der Astronomia Reformata geändert? Hat er irgendetwas gelesen? Wenn man wüßte, womit er sich zwischen 1651 und 1665 beschäftigt hat, ergäbe sich vielleicht ein Hinweis.

In Ricciolis Abschnitt über die Pleiaden im Almagestum novum gibt es übrigens eine Stelle, die ich nicht vollständig deuten kann.
Dort heißt es: "Telescopio autem spectatae visae sunt Galileo plures quam 40 ut narratur in Nuncio sidereo, et Patri Zupo soc. nostrae tubo Fontanae plures quam 50 quot fere nobis quoque apparuerunt."
Freie Übersetzung: "Galileo hat im Teleskop mehr als 40 Sterne gesehen, wie im Nuntius Sidereus berichtet wird, und Pater Zupo von unserer Gesellschaft (gemeint ist die societas Jesu, Zupo war also ebenso wie Riccioli Jesuit) hat im Rohr (tubus) "Fontana" mehr als 50 gesehen, und fast so viele sind auch uns erschienen."

Wer ist Pater Zupo SJ? Und mit welchem Teleskop hat er beobachtet? Welches Teleskop ist also mit "tubus Fontana" gemeint?

Viele Grüße
Johannes
 
So viele neue Herausforderungen .... ;-)

Eines muss man natürlich berücksichtigen: Nach der astronomischen Anwendung des Fernrohrs durch Galilei (erfunden wurde es von Hans Lippershey und Zacharias Jansen) explodierte die Zahl der Beobachtungen mit "gläsernen tubuli".
(übrigens: vorher hat man häufig durch einfache tubuli - ohne Linsen - beobachtet, weil das den Blick fokussierte ...).

Bereits 1655 erschien Pierre Borels "De vero telescopii inventore" mit einer Beschreibung der optischen Prinzipien des Teleskops. 1666 gründete unter Louis XIV. Colbert die Academie royale des science und 1667 wurde das Observatoire de Paris gebaut., schon damals mit "stattlichen Teleskopen".
Pater Zupo war sicherlich nicht der einzige, der immer mehr Sterne in den Plejaden (und andernorts) gezählt hat und darüber auch berichtete.

Riccioli hat in seinen Schriften die Plejadensterne tatsächlich nicht durchgehend einheitlich mit ihren Namen benannt. Ob er die Namen (aus Gründen der einfacheren Identifikation) aber wirklich eingeführt hat, oder sich auf eine ältere Quelle bezieht, bleibt zur Zeit noch offen.

Der Sache muss man weiter nachgehen - vielleicht bei den Arabern - Al-Battani?

Achatius
 
Wer ist Pater Zupo SJ? Und mit welchem Teleskop hat er beobachtet? Welches Teleskop ist also mit "tubus Fontana" gemeint?

Der tubus Fontanae war offenbar das Fernrohr des Herrn Fontana:
Francesco Fontana (Astronom)

Francesco Fontana (* zwischen 1585 und 1589 in Neapel; † um 1656) war ein italienischer Anwalt und Astronom.

Er beobachtete die Oberflächenstrukturen des Mondes und die damals bekannten Planeten durch ein selbstkonstruiertes Teleskop und fertigte Holzschnitte seiner Observationen an.


Tschau,
Thomas
 
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