Sternnamen

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Hallo Johannes,

danke für deine detailiierten Ausführungen. Ich gehe gerne auf einige der von dir genannten Punkte ein; es gibt nicht viel schöneres als eine fachliche Diskussion ;)

Natürlich kann man solche mündlichen Traditionen immer postulieren, aber ohne konkrete Hinweise bleibt das bloße Spekulation.
Das ist natürlich die Crux mit der Oral Tradition. Doch gerade der (ausufernde) Themenkomplex der homerischen Epen - ihre Enrstehung, Fixierung, Kanonisierung, Verschriftlichung etc - hat zu einer äußerst intemsiven Beschäftigung der Altertumswissenschaften mit ebendieser mündlichen Tradierung geführt. Mit dem Ergebnis, dass, etwas allgemein formuliert, davon ausgegangen wird, viele der Geschichten, Legenden sowie Mythen aber auch der Normen, Regeln und Deutungskonzepte wurden lange Zeit mündlich weitergegeben; z.T. bis, z.T. auch noch während und nach ihrer Verschriftlichung. Konkrete Hinweise darauf sind halt schwierig zu finden. Das ist schon alleine der lückenhaften Quellenlage geschuldet. Wobei dann auch zu fragen wäre, ab wann genau ein Hinweis "konkret" ist.

Man sollte meinen, daß eine solche mündliche Tradition in irgendeiner dieser Schriften ihre Spuren hinterlassen hätte.
Dies schließt sich an die vorhergehenden Ausführungen an. Spuren hinterlassen haben sie sicherlich. Doch diese "konkret" aufzuspüren, darin liegt die Schwierigkeit. Oftmals ist es schlicht unmöglich. Es ist viel mehr unser heutiges Verständnis, wie Gemeinschaften Erinnerungen erschaffen, die uns einigermaßen Sicherheit gibt, dass die Oral Tradition diesen Einfluss hatte.

Bisher habe ich aber nirgendwo in der antiken Literatur jene feste Zuordnung von Einzelsternen und Eigennamen gefunden, die Achatius sucht.
In den Quellen, die bis zu uns überdauert haben, gibt es diese für antike Zeiten auch nicht. Meine Vermutungen fußen daher lediglich auf Hinweisen aus den Quellen, den oben genannten Annahmen zur Tradierung von Wissen sowie meiner persönlichen Kenntnis des Forschungsstandes. Achatius eingangs gestellte Frage ganz definitiv samt Beweis für die Antike zu beantworten, ist unmöglich. Ich möchte lediglich ein Deutungsangebot stellen.

Für ein Fortleben einer solchen postulierten Tradition bis in die Neuzeit haben wir bisher noch keine Anzeichen gefunden.
Ich halte es auch für unwahrscheinlich, dass ein solches existiert. Die Zeit zwischen dem 4..und dem 12. Jh. u.Z. (ganz grob eingeteilt) ist nicht gerade für eine besonders vielschichtige Tradierung von Wissensinhalten bekannt; auch wenn die ältere Vorstellung des "finsteren Mittelalters" wohl ad acta gehört. Oftmals wurden eben nur die "neuesten" Texte abgeschrieben und so hat dann z.B. Ptolemaios überdauert, Hipparchos aber nicht...

Was die antike Literatur hinsichtlich der Benennung der Einzelsterne hergibt, ist (nach meiner bisherigen Recherche) nur dies:
  • der hellste Stern (unsere „Alcyone“) heißt „Maia“ (so Cicero und Vergil).
  • Der siebte Stern, den man manchmal nicht sieht, heißt „Elektra“, oder bei Hyginus „Merope“ (bei uns kommen dafür die beiden Sterne „Celaeno“ oder „Asterope“ in Frage).
Man könnte diesen Hinweis aber vielleicht auch so lesen: Wenn die beiden Sterne an den Enden des "Pleiaden-Spektrums" nachweislich benannt waren, ist davon auszugehen, dass selbiges auch für die anderen 5 Sterne anzunehmen ist. Zudem spricht eine Benennung des siebten Sternes ja auch dafür, dass tatsächlich weitläufig 7 Sterne bekannt waren und Aratos' Annahmen eher die Ausnahme der Regel darstellt.

Solange kein Beleg für das Gegenteil auftaucht, glaube ich, daß eine Einzelbenennung der Pleiadensterne erst im teleskopischen Zeitalter konsequent durchgeführt worden ist.
Mit eindeutigen Belegen ist das - allein überlieferungstechnisch - so eine Sache bezüglich der Antike. Vielleicht hat Hipparchos seitenlang über die Pleiaden geschrieben, nur Ptolemaios hat es nicht übernommen. Wir werden ea niemals erfahren. Und beim zweiten Teil stellt sich ebenfalls wieder die Frage, wie "konsequent" die Zuordnung denn sein muss. Selbst in der FNZ hab es ja noch Wackler.

Wie bereits vormals geschrieben, denke ich, es gab regional und zeitlich variierende Bezeichnungen der Einzelsterne in antiker Zeit. Beweisen in Form von schriftlichen Quellen kann ich das nicht und man muss natürlich nicht dieser Meinung sein. Ich komme zu diesem Schluss v.a. durch das Heranziehen der Forschung zur Oral Tradition und dem aktuellen Verständnis, wie (ein allumfassendes "wie") die antiken Griechen ihr kollektives bzw. kulturelles Gedächtnis generierten; was natürlich kein wissentlicher, sondern in erster Linie ein im Hintergrund ablaufender Prozess gewesen ist.

Gruß
Florian
 
Morgen,

habe gerade etwas gelesen und folgende Angabe entdeckt. Ernst Künzl schreibt in seinem Buch "Helden am Himmel" auf S. 26: "Von den streng wissenschaftlichen Himmelsgloben des Altertumd mit ihren exakt eingetragenen Linien und Punkten hat leider kein einziger überlebt."
Er geht demnach von der Existenz sehr detaillierter Himmelskarten für die Antike aus. Leider nennt er an der Stelle keine Quellenangabe, was wmgl dem populärwissenschaftlichem Charakter des Buchs geschuldet ist, und man muss sich erstmal auf sein Wort als Altertumswissenschaftler verlassen. Ich schaue mal, ob sich dazu mehr finden lässt...

Gruß
Florian
 
Hallo zusammen!

Die Diskussion über die Weiterführung der Überlieferungen zu den Namenszuordnungen der Plejadensterne von der Antike durchs dunkle Zeitalter bis zur Renaissance zeigt noch einmal sehr deutlich die Gefahr von Verwechslungen, die mit einer fehlenden wissenschaftlichen Nomenklatur verbunden sind.

Eine Liste oder Sternkarte der Plejaden mit ihren Namen aus antiker Zeit ist nicht bekannt, sonst hätte man sie in der Astronomiegeschichte längst aufgefunden. Ebenfalls erscheint der Rückfluss über den Umweg aus dem arabischen Kulturkreis als unwahrscheinlich, wie man an der Übersetzung des Almagest sieht, dem umfangreichsten antiken Sternkatalog, denn auch dort fehlt die Zuordnung.

Dass zumindest die Namen und mythologischen Geschichten tradiert wurden und in der Renaissance nach und nach wieder eine Rolle spielen, ist umso erstaunlicher, denn das Gros des Volkes beherrschte weder Latein noch Griechisch, sah in den Sternen die Löcher in der Sphäre, durch die die Seelen der Verstorbenen aus dem Jenseits herüberleuchteten und hatte über Jahrhunderte andere Sorgen der Lebensbewältigung.

Laut Germanischem Nationalmuseum in Nürnberg gehen erste Karten der Sternbilder aus der vorteleskopischen Zeit auf Conrad Heinfogel und Albrecht Dürer zurück.

>>So sind es die ersten gedruckten Sternkarten überhaupt. „Mit den Nürnberger Karten wurde das astronomische Wissen der Spätantike sowie arabischer Wissenschaftler erstmals in gedruckter Form der Fachwelt vorgelegt – eine wissenschaftliche Publikation ersten Ranges;“ so Dr. Christian Vogel, Pressesprecher des Museums. Die Blätter der nördlichen und südlichen Hemisphären, sie spiegeln wieder einmal Dürers Universalität wieder.

Die Veröffentlichung ist eine Kooperation mit Johannes Stabius, der als Herausgeber firmierte, seines Zeichens Hofhistoriograf und wissenschaftlicher Berater im Dienste Kaiser Maximilians sowie Mathematiker, Geograph und Astronom. Ihm hatte Dürer einige kaiserliche Aufträge zu verdanken. Für die Berechnung der Sternorte war Conrad Heinfogel zuständig. Er war ein Schüler Bernhard Walthers (1430 - 1504), der wiederum zusammen mit Regiomontanus astronomische Beobachtungen durchführte und dessen Haus mit Sternwartengeschoß Dürer 1509 erwarb. Albrecht Dürers Aufgabe war die der gestalterischen Umsetzung in den Holzschnitt. Die Abbildung des nördlichen Sternenhimmels zeigt entsprechend der ptolemäischen Tradition zwölf Tierkreiszeichen in zwölf Kreissegmenten, entgegen den Uhrzeigersinn und als Rückenansicht, da nicht von der Perspektive der Erde, sondern von außen betrachtet. In den Ecken sind vier berühmte Astronomen als Halbfiguren mit Himmelsgloben wiedergegeben: Aratus Cilix, Ptolemeus Aegyptus, Marcus Manilius und Addorhaman Al-Suphi.

Als Vorbilder dienten Karten, die Heinfogel schon 1503 auf Pergament zeichnete. <<

Aber selbst die Uranometria des Johann Bayer aus dem Jahre 1603 (oder die Karten des Georg Christoph Eimmart – Planisphaerium Coeleste) sind bzgl. meiner Ausgangsfrage zu den Plejadennamen viel zu ungenau. Sie zeigen deutlich, dass die systematische Erfassung von Sternkonstellationen und ihre Benennung in jenen Zeiten nahezu keine Rolle spielte. Es ging ausschließlich um bildhafte Vorstellungen. Sternlisten und Konstellationszeichnungen waren den meisten Menschen bereits zu abstrakt.

Für diese Annahme spricht, dass die Astronomen bis etwa zur Mitte des 17. Jahrhunderts bei der Identifizierung der Plejadensterne immer sehr umständliche Umschreibungen verwendet haben.

Dieser Spur bin ich noch etwas weiter nachgegangen!

Allerdings ist eine Rückverfolgung über Riccioli/Mutus hinaus wegen der Quellenzugänglichkeit sehr schwierig, vor allem ins 16. Jahrhundert hinein. Zudem reichen die Funde und Hinweise allenfalls für Plausibilitätsbetrachtungen.

Aus strategischer Sicht erscheinen mir bzgl. der Ausgangsfrage die folgenden „Hausnummern“ aussichtsreich:

Regiomontanus (1436-1476)

Tycho Brahe (1546-1601)

mit seinen 777 Sternpositionen. Wie das angehängte Beispiel (aus dem Netz) zur Cassiopeia zeigt, müsste man die Liste des Taurus aufgreifen. (Wer kennt sie und könnte sie beisteuern?).

1613903504098.png



Auch Tycho hat statt Sternnamen umständliche Beschreibungen von Sternpositionen verwendet. Dergleichen ist uns schon oft begegnet.


Longomontanus (1562-1647).

In der Astronomia Dancia von 1622 konnte ich folgendes ausfindig machen:


1613903540302.png



(aus dem Jahre 1600)

Hier geht es um die sichtbaren Sterne nahe dem Zodiacus, und es wird immer wieder Bezug auf die bildhaften Interpretationen der Sternbilder genommen, d.h. auch bei Longomontanus werden Sternpositionen der Plejaden umständlich umschrieben:

  • Occidentalis lucidiorum trium in pleiadibus
  • Media & Lucida pleiadum

Noch ein Hinweis. Wer hat Zugriff auf:

Jürgen Hamel: „Die astronomischen Forschungen in Kassel unter Wilhelm IV.“?

Dort heisst es:

Während der Regentschaft des gelehrten Landgrafen Wilhelm IV. (1567-1592) war Kassel ein Zentrum astronomischer Forschungen. Die 1560 begründete Sternwarte war das erste festeingerichtete astronomische Observatorium der Neuzeit, an dem mit Jost Bürgi und Christoph Rothmann hervorragende Fachkräfte tätig waren. Hier wurde um 1586 der erste, auf eigenen Beobachtungen beruhende Sternkatalog der neueren Astronomiegeschichte bearbeitet.

Das klingt interessant.
Wer zieht weiter mit?

Gruß
Achatius
 
Hallo Johannes,

danke für deine detailiierten Ausführungen. Ich gehe gerne auf einige der von dir genannten Punkte ein; es gibt nicht viel schöneres als eine fachliche Diskussion ;)


Das ist natürlich die Crux mit der Oral Tradition. Doch gerade der (ausufernde) Themenkomplex der homerischen Epen - ihre Enrstehung, Fixierung, Kanonisierung, Verschriftlichung etc - hat zu einer äußerst intemsiven Beschäftigung der Altertumswissenschaften mit ebendieser mündlichen Tradierung geführt. Mit dem Ergebnis, dass, etwas allgemein formuliert, davon ausgegangen wird, viele der Geschichten, Legenden sowie Mythen aber auch der Normen, Regeln und Deutungskonzepte wurden lange Zeit mündlich weitergegeben; z.T. bis, z.T. auch noch während und nach ihrer Verschriftlichung. Konkrete Hinweise darauf sind halt schwierig zu finden. Das ist schon alleine der lückenhaften Quellenlage geschuldet. Wobei dann auch zu fragen wäre, ab wann genau ein Hinweis "konkret" ist.


Dies schließt sich an die vorhergehenden Ausführungen an. Spuren hinterlassen haben sie sicherlich. Doch diese "konkret" aufzuspüren, darin liegt die Schwierigkeit. Oftmals ist es schlicht unmöglich. Es ist viel mehr unser heutiges Verständnis, wie Gemeinschaften Erinnerungen erschaffen, die uns einigermaßen Sicherheit gibt, dass die Oral Tradition diesen Einfluss hatte.


In den Quellen, die bis zu uns überdauert haben, gibt es diese für antike Zeiten auch nicht. Meine Vermutungen fußen daher lediglich auf Hinweisen aus den Quellen, den oben genannten Annahmen zur Tradierung von Wissen sowie meiner persönlichen Kenntnis des Forschungsstandes. Achatius eingangs gestellte Frage ganz definitiv samt Beweis für die Antike zu beantworten, ist unmöglich. Ich möchte lediglich ein Deutungsangebot stellen.


Ich halte es auch für unwahrscheinlich, dass ein solches existiert. Die Zeit zwischen dem 4..und dem 12. Jh. u.Z. (ganz grob eingeteilt) ist nicht gerade für eine besonders vielschichtige Tradierung von Wissensinhalten bekannt; auch wenn die ältere Vorstellung des "finsteren Mittelalters" wohl ad acta gehört. Oftmals wurden eben nur die "neuesten" Texte abgeschrieben und so hat dann z.B. Ptolemaios überdauert, Hipparchos aber nicht...


Man könnte diesen Hinweis aber vielleicht auch so lesen: Wenn die beiden Sterne an den Enden des "Pleiaden-Spektrums" nachweislich benannt waren, ist davon auszugehen, dass selbiges auch für die anderen 5 Sterne anzunehmen ist. Zudem spricht eine Benennung des siebten Sternes ja auch dafür, dass tatsächlich weitläufig 7 Sterne bekannt waren und Aratos' Annahmen eher die Ausnahme der Regel darstellt.


Mit eindeutigen Belegen ist das - allein überlieferungstechnisch - so eine Sache bezüglich der Antike. Vielleicht hat Hipparchos seitenlang über die Pleiaden geschrieben, nur Ptolemaios hat es nicht übernommen. Wir werden ea niemals erfahren. Und beim zweiten Teil stellt sich ebenfalls wieder die Frage, wie "konsequent" die Zuordnung denn sein muss. Selbst in der FNZ hab es ja noch Wackler.

Wie bereits vormals geschrieben, denke ich, es gab regional und zeitlich variierende Bezeichnungen der Einzelsterne in antiker Zeit. Beweisen in Form von schriftlichen Quellen kann ich das nicht und man muss natürlich nicht dieser Meinung sein. Ich komme zu diesem Schluss v.a. durch das Heranziehen der Forschung zur Oral Tradition und dem aktuellen Verständnis, wie (ein allumfassendes "wie") die antiken Griechen ihr kollektives bzw. kulturelles Gedächtnis generierten; was natürlich kein wissentlicher, sondern in erster Linie ein im Hintergrund ablaufender Prozess gewesen ist.

Gruß
Florian
 
Sorry, da ging etwas schief!

Hallo Florian,

danke für die Erklärungen. Ich denke ich verstehe nun, was mit oral tradition gemeint ist. Es gibt sozusagen den breiten Strom der mündlichen Überlieferung, aus dem die literarischen Fixierungen ausflocken. Sagt man nicht, daß Homers Odyssee im Wesentlichen auf phönizisches Seemannsgarn zurückgeht? Das Problem der oral traditions ist wohl, daß sie aussterben, wenn ihr "Sitz im Leben" verloren geht. Was bis dahin nicht literarisch fixiert ist, das ist dann verloren. Mit den Namen für die Einzelsterne der Pleiaden, falls es sie in der Antike gegeben hat, ist wohl so geschehen.

Du schreibst: "Man könnte diesen Hinweis aber vielleicht auch so lesen: Wenn die beiden Sterne an den Enden des "Pleiaden-Spektrums" nachweislich benannt waren, ist davon auszugehen, dass selbiges auch für die anderen 5 Sterne anzunehmen ist."

Schönes Argument!

Die uns geläufigen Benennungen setzen aber die Existenz des Teleskops voraus. Welches für die Alten der siebte Stern war, ist meines Wissens nicht bekannt. Es könnte entweder Celeano ODER Asterope gewesen sein. Die Alten haben also einen von diesen beiden gesehen, aber nicht alle beide, sonst wären es 8 Sterne, wovon in den antiken Quellen nirgends die Rede ist. Unsere Benennungen setzen aber voraus, daß man alle beide sicher erkennen kann. Denn um den Atlas "Atlas" nennen zu können, müssen Celeano UND Asterope sichtbar sein, sonst verliert man eine Tochter.

Peters Punkt ist natürlich zu bedenken: Schon Galilei hat in seinem kleinen Röhrchen viel mehr als 9 Sterne gesehen. Aber vielleicht sind diese 9 doch deutlich als die hellsten erkennbar.

Viele Grüße
Johannes
 
@Achatius,

das klingt in der Tat sehr interessant. Ich habe es gerade mal geprüft, leider scheint es keine Online Ausgabe des Buches von Hamel zu geben. Ich habe eben in seinem allgemeineren Buch "Geschichte der Astronomie" nachgeschaut. Dort schreibt er auf einigen Seiten etwas über die Kasseler Sternwarte und deren exakte Vermessungen, ohne aber bezüglich des Katalogs zu sehr ins Detail zu gehen.
Vielleicht hat jemand anders mwhr Glück oder das Buch sogar vorliegen.

@jbrachte
So ungefähr kann man sich das mit der Oral Tradition schon vorstellen. Es ist halt im Nachhinein schwer bis unmöglich zu ergründen, was festgehalten wurde und was nicht. Gerade der von dir angesprochene "Sitz im Leben" ist von fundamentaler Bedeutung füt Tradierung der Inhalte.
Dass die Odyssee gröstenteils auf phönizisches Seemannsgarn zurückgeht, ist mir neu. Im Allgemeinen geht die Forschung davon aus, dass die homerischen Epen Zusammenstellungen diverser Einzellegenden und -geschichten sind. Deren Ursprünge wiederum sind wegen der fehlenden Schriftquellen nur schwer zu ergründen. Die grundlegenden Erzählstränge finden sich allerdings in den Mythen diverser Kulturen, ähnlich wie etwa die Sintflut-Thematik.

Bezüglich der Pleiaden stimme ich dir zu, unsere heutige Benennung setzt vmtl Teleskope voraus; oder ware Katzenaugen... ;)
Mein Argument zielt auch v.a. darauf ab, dass es m.E. in der Antike eine (oder mehrere) Benennung(en) der einzelnen Pleiadensterne gab. Diese stimmte nicht mit unserer neuzeitigen Überein. Das zeigt ja schon, wie du auch erwähnst, das Fehlen von Atlas und Pleione bei Aratos sowie der unterschiedliche Name des hellsten Sterns.

Gruß
Florian
 
Schon Galilei hat in seinem kleinen Röhrchen viel mehr als 9 Sterne gesehen. Aber vielleicht sind diese 9 doch deutlich als die hellsten erkennbar.
Wenn man mit dem heutigen Wissen um die Helligkeit der einzelnen Plejadensterne versucht, eine Rangfolge aufzustellen, dann wird es am hinteren Ende schon schwierig. Insofern dürfte es auch vor der Erfindung des Teleskops sehr schwierig gewesen sein, da eine allgemein akzeptierte Zuordnung zu treffen.

Credit: Wikipedia/SIMBAD
Plejaden.jpg
Plejaden_.jpg
 
Zuletzt bearbeitet:
Hallo Achatius,

wenn ich recht informiert bin, sind Tychos Listen doch in den Rudolfinischen Tafeln enthalten, die Kepler 1627 veröffentlicht hat. Hier ist ein Ausschnitt aus der Liste zum Sternbild Taurus (Tabulae Rudolfinae, 4. Teil, S. 110).

Rudof 4 110.PNG

Nr. 30-33 sind die Pleiaden. Bei Nr. 32 gibt es einen Verweis auf S. 115. Dort findet sich folgendes zu den Pleiaden:

Rudolf 4 115.PNG

Quelle: Pars Secunda De Stellis Fixis XII. Signorum Zodiaci.

Viele Grüße
Johannes
 
Zuletzt bearbeitet:
Schon 1603 hatte Johann Bayer mit seiner Uranometria die Sterne aus dem Fundus von Brahe in Tabellen und Sternkarten aufgeführt. Auch dort gibt es noch keine Erwähnung der mythologischen Namen. Der hellste Stern wird dort "Lucida Pleiadum" genannt und bekommt die Bayer-Benennung η (eta Tauri), die schwächeren werden nur kollektiv als "Quattuor Pleiades" aufgeführt. Gleichwohl sind auf der Sternkarte von Bayer schon sieben Plejaden mit einigermaßen realistischem Sternmuster markiert, welche wohl den sieben in den Rudolphinischen Tabellen von Brahe und Kepler entsprechen.

Bayer_Uranometria_Taurus.jpg
Bayer_Uranometria_Plejaden.jpg

Bayer_Uranometria_Taurus_.jpg

Ioannis Bayeri Uranometria (1603) S.56+57 von 118
 
Zuletzt bearbeitet:
Wenn wir jetzt zusammenfassend berücksichtigen, dass auch in den Rudolphinischen Tafeln von 1627 (beruhend auf den Beschreibungen von Tycho Brahe) und in der Astronomia Dancia des Longomontanus von 1622 die Sterne der Plejaden immer umschrieben werden (z.B. statt Alcyone: Media & Lucida Plejadum, oder statt Merope: Infima & occidentali proxima etc. etc.) und auch in den noch früheren Werken (z.B. Almagestum des Petrus Liechtenstein von 1515, der Uranometria von 1603 oder dem Sidereus Nuncius des Galilei von 1610) die Namen und ihre Zuordnungen nicht auftauchen), dann haben wir die sehr schöne Einschränkung, dass die heute geläufige Zuordnung insbesondere für die Sieben Schwestern (Alcyone, Merope, Maia, Electra, Taygeta, Celaeno und Asterope) mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit in dem Zeitintervall

--- 1627-1650 ---

ihren Einzug in die SYSTEMATISCHE Nomenklatur der Astronomie gehalten hat!

Die Einschränkung 1650 kommt durch den Brief des Vincentius Mutus an Riccioli zustande, in dem er seine Sterndaten mit den Namen mitteilt. Veröffentlicht wurden diese dann in der Astronomia Reformata 1665.

Selbst dann, wenn Mut die Zuordnung nicht selbst vorgenommen, sondern sie aus einer älteren Quelle übernommen hat, bleibt das Zeitintervall für die Namenszuordnung mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit gültig.

Es wurde zudem festgestellt, dass zwar gelegentlich einzelne Objekte mit Namen bezeichnet, aber oft auch verwechselt wurden (Alcyone - Maia etc.) - Problem der mündlichen Tradierung.

Interessant ist noch die Erkenntnis, dass die Bezeichnungen "Plejaden, Siebengestirn und Sieben Schwestern" keineswegs äquivalent sind.
Die Bezeichnung "Plejaden" als Benennung des offenen Sternhaufens M 45 mit seinen ca. 1200 Sternen ist noch die neutralste.
Die Bezeichnung "Sieben Schwestern" bezieht sich ausschließlich auf die mythologischen Gestalten Alcyone, Merope, Maia, Electra, Taygeta, Celaeno und Asterope, lässt also Atlas und Pleione außen vor.
Die Bezeichnung "Siebengestirn" meint die sieben hellsten Sterne, von denen meist nur sechs (u.U. aber neun ...) sichtbar sind.
Auf Grund ihrer Helligkeit wären das Atlas, Pleione, Alcyone, Merope, Maia, Electra und Taygeta, nicht aber die noch schwächeren Sterne Celaeno und Asterope).
Die Veränderlichkeit von Pleione habe ich hier nicht berücksichtigt.

Mit der Erfindung des Fernrohrs sind diese Bezeichnungen dann völlig "aus dem Ruder gelaufen"...

Gruß
Achatius
 
Abend Zusammen,

das ist doch wirklich mal eine imposante Rechercheleistung. Sehr erkenntnisreich, ich für meinen Teil habe auf jeden Fall einiges gelernt.

Freue mich schon auf das nächste derartige Thema.
Oder vielleicht die letzten unbekannten Infomationen hier in diesem Thema.

Gruß
Florian
 
Peter,

ich denke das sind nur 6 Sterne auf Bayers Darstellung. In Keplers Liste auf S. 115 der Rudolphinischen Tafeln sind zwar 7 Einträge, aber der fünfte ist jener Stern "außerhalb der Pleiaden, der kleinste von Norden", der seit Ptolemäus mitgeschleppt wird, obwohl er nicht zu den Pleiaden gehört. Es sieht so aus, als hätte Bayer den einfach weggelassen.

Viele Grüße
Johannes
 
Hallo Johannes, erst konnte ich auch nur 6 Sterne sehen, aber dann fiel mir am verwaschenen Schriftzug unter dem "a" von Pleiades noch ein weiterer Kuller auf. Das könnte 18 Tau sein, der zwar nur 5,65 mag auf die Wage bringt, aber durch seinen etwas größeren Abstand visuell leichter zu erkennen ist, siehe Post #67.

Die sieben in der Bayer-Darstellung wären dann von links nach rechts Atlas, Alkyone (η), Merope, Maia, Taygeta, Elektra, plus 18 Tau. Nicht dabei sind Pleione, Celaeno, Asterope und Sterope.

Gruß, Peter

Bayer_Uranometria_Plejaden+18_Tau.jpg
 
Hallo Peter,

das ist der Buchstabe q. Er bezeichnet die "Pleiadum minima (6. Größe)", also Taygeta. Die entsprechende Tabelle findest Du auf S. 57 der von Dir verlinkten Ausgabe. Du hast oben die rechte Hälfte dieser Seite gepostet. Die Tabelle setzt sich auf der linken Hälfte (!) dieser Seite fort. Diese Ausgabe der Uranometria ist merkwürdig. Ich finde die hier besser:


Wenn Du einmal umblätterst, findest Du diesen Eintrag:

Uranometria.PNG

Viele Grüße
Johannes
 
In der Uranometria ist noch eine andere Sache auffallend: die den Sternen zugeordneten Planetensymbole!
In der benannten Ausgabe aus der Zeit nach 1611 (denn es ist schon eine Beobachtung der Sonnenflecken enthalten) heißt es z.B. S. 12 zu den Sternen des Ursa Minor: Omnes de natura (gefolgt von den Symbolen für Mars und Venus).

Nach meinem Wissensstand (und da lasse ich mich gerne belehren..) geht das auf folgenden Zusammenhang zurück:
(Quelle: https://www.zobodat.at/pdf/Abhandlungen-Akademie-Bayern-ph-ph-hist_30-1916_0002-0164.pdf)

Im alten Babylon war die Siebenzahl von besonderer Bedeutung. So wurden die Plejaden als Siebengottheit bezeichnet, die gleichen Gottheiten, die sich in den Planeten manifestieren. Deshalb wurden den Plejadensternen nach astrognostischer Tradition auch die Planetenzeichen zugeordnet. Hintergrund ist, dass die Plejaden am Goldenen Tor der Ekliptik stehen und deshalb die sieben klassischen Wandelsterne des geozentrischen Systems alle gelegentlich nahe der Plejaden vorüberziehen. (Beispiel: Bedeckung der Plejaden durch den Mond).
(verlorene Sterne der Plejaden könnten deshalb auch wegziehende Planeten sein ???!)

Diese Zuweisung wurde in der Antike für die Charakterisierung der Farben der Sterne verwendet.

Auch Agrippa von Nettesheim (1486-1535) vertrat die Ansicht, dass sich die Natur der Sterne an ihren Farben erkennen lässt, die mit bestimmten Planeten übereinstimmen und ihnen zugeschrieben werden. Großzügig gedeutet ist das der "Beginn einer Spektralanalyse", da sich die Eigenschaften der Sterne in ihrem Licht offenbaren.

M.E. dienen auch in der Uranometria die Planetensymbole der Charakterisierung der Farbe der Sterne.
So ist auf S. 78/79 Alcyone (Eta) mit der Bemerkung Lucida Pleiadum, gefolgt von Symbol für Mars, Mond seu (oder) Mond, Jupiter verknüpft. Ihm wird also "die Natur" von Mars und Mond oder Mond und Jupiter zugeordnet.

Kommentar?

Gruß
Achatius
 
Hierzu noch ein paar Beispiele für Sterne mit charakteristischen Farben:
- Der rote Aldebaran trägt das Marssymbol
- Beteigeuze die Symbole von Mars und Merkur
- Bei den Sternen der Lyra (inkl. Vega) gibt es keine Symbole, aber es heisst dort: Omnes de natura Veneris, & Mercurii
;-)
 
das ist der Buchstabe q. Er bezeichnet die "Pleiadum minima (6. Größe)", also Taygeta. Die entsprechende Tabelle findest Du auf S. 57 der von Dir verlinkten Ausgabe. Du hast oben die rechte Hälfte dieser Seite gepostet. Die Tabelle setzt sich auf der linken Hälfte (!) dieser Seite fort. Diese Ausgabe der Uranometria ist merkwürdig.
Das war in dem miesen Scan der Linda Hall Library, den man in der englischen Wikipedia findet, alles nur sehr schlecht zu entziffern, da ist die ETH-Version wirklich viel besser:
Die Magnituden bei Bayer entsprechen übrigens auch nicht ganz unseren heutigen Vorstellungen, so hat Taygeta eine visuelle Helligkeit von 4,30.

In der Uranometria ist noch eine andere Sache auffallend: die den Sternen zugeordneten Planetensymbole!
Darüber habe ich auch schon gerätselt. Ein Deutungsversuch über teilweise eingebildete Farbnuancen und mythologische Assoziationen scheint naheliegend, zeigt aber auch die Abgründe von Aberglauben auf, welche die Menschen damals noch beherrschten.

Das ist ja auch vortrefflich an der der Vita von Kepler zu beobachten, ein genialer Begründer wissenschaftlicher Methodik, und doch teilweise noch gefangen in astrologischer Mystik! Wir blicken dort auf die Sternstunden unserer naturwissenschaftlichen Epoche ...
 
Hallo Achatius,

"Kommentar?" - Ja, gerne. Super! In diesem Thread kann man richtig was über Astronomiegeschichte lernen.

Die Planetenzeichen hinter den Sternen in Bayers Uranometria waren mir auch schon aufgefallen, aber ich wußte damit nichts anzufangen. Das von Dir verlinkte Buch von Franz Boll erklärt das wunderbar. Das ist tatsächlich ein Versuch, die Farben der Sterne zu charakterisieren. Schon Ptolemäus hat das so gemacht, aber nicht im Almagest, sondern im Tetrabiblos. Der Farbcode ist folgender:

Mond = silbrig
Mars = rot
Jupiter = weiss

Sehr erhellend ist folgende Zusammenstellung bei Boll:

Farben.PNG

Da sieht man die drei Pleiadensterne nach Ptolemäus und ihre Größenklasse. In der vierten Spalte findet man einen Versuch aus der Zeit um 1900, die Farben der Sterne visuell zu klassifizieren (Osthoff). Die Skala reicht von 0 - 10, wobei gilt:
0 = weiß
3= hell- oder blaßgelb
4 = reingelb
7= rotgelb
10 = rot
Die Pleiadensterne werden von Osthoff als hellgelb (3) eingestuft.

Ptolemäus (5. Spalte) gibt an: Mond (silbrig) gemischt mit Mars (rot), also zusammengenommen gelb.
Bayer (6. Spalte) schreibt: Mond und Mars, oder Mond und Jupiter (weiss); d.h. er korrigiert die Farbangabe des Ptolemäus etwas in Richtung weiß, also insgesamt vielleicht hellgelb. Das ist in guter Entsprechung zur modernen Klassifikation.

Viele Grüße
Johannes

P.S. Hier noch einmal der Link zu dem Buch von Boll:
 
@P_E_T_E_R
Ja, Aberglaube und Mythologie spielten damals eine große Rolle.
Man muss der Objektivität halber aber zugestehen, dass Aberglaube quasi sinnfrei ist, Mythologie im Kern aber immer ein Erklärungsmodell auf dem Wissen der Zeit darstellt. Die Götter waren eine Personifizierung von (noch nicht verstandenen) Naturgesetzen.

Bezüglich der Zuordnung der Planeten zu den Sternen (hinsichtlich der Farben) sehe ich durchaus einen naturwissenschaftlichen Ansatz, denn es handelt sich ja um den Versuch, die Farbeindrücke der Sterne irgendwie systematisch zu erfassen und damit von individuellen Wahrnehmungen, Refraktionsphänomenen etc. zu entkoppeln.

@jbrachte
Ja, man lernt hier eine Menge (nicht zuletzt wegen der guten Teamarbeit)!

Die Beschreibung der Farbsystematisierung bei Franz Boll ist sehr erhellend (vor allem die Osthoff-Skala).

Wenn man bedenkt, dass die Entdeckungen von Fraunhofer und Kirchhoff erst mit Planck 1900 (E=h x Nu) und dem Bohrschen Atommodell eine Erklärung fanden, dann ist die Osthoff-Klassifizierung von 1900, wenn sie auch sehr grob ist, ein erster Schritt in Richtung auf ein Farben-Helligkeits-Diagramm.

Was hätte man hierzu machen müssen?
1. Die hellsten Plejadensterne hätte man in eine Rangfolge ihrer (Gelb)färbung bringen müssen (sehr schwierig - heute nimmt man (B-V)0
2. Da sich die scheinbaren Helligkeiten der Plejadensterne von den absoluten Helligkeiten nur um einen konstanten Betrag unterscheiden (Entfernung und die damals noch unbekannte interstellare Verfärbung der Sterne sind in erster Näherung gleich), hätte man die tatsächliche Entfernung (und damit die absolute Helligkeit) NICHT benötigt.

Somit war alles für ein FHD vorhanden!
Es wurde aber erst von Trümpler 1930 eingeführt.

Klingt einfach, aber bekanntlich steckt der Teufel ...

Gruß
Achatius
 
Status
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