Stratolaunch

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P_E_T_E_R

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Das Konzept, Raketen zur Entlastung der ersten Stufe mit konventionellen Flugzeugen schon auf Stratosphärenhöhe zu schaffen:

Stratolaunch Systems

klingt ja zumindest plausibel, wenn man bedenkt, dass die Luftdichte in den unteren Kilometern besonders hoch ist. An diesem fundamentalen Problem scheitern ja u.a. solche fixen Ideen wie die Spaceschleuder

Der maximale aerodynamische Druck einer Rakete wird typischerweise in einer Höhe von 80 km erreicht. Bei der Saturn V stieg der z.B. auf 37000 N/m². So hoch wird man mit konventionellen Flugzeugen natürlich nicht kommen, insofern ist mir nicht klar, ob sich das insgesamt rechnet. Immerhin gab es jetzt einen ersten Testflug:

Stratolaunch erster Testflug

Scaled Composites Stratolaunch

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Zuletzt bearbeitet:
Hallo!

So hoch wird man mit konventionellen Flugzeugen natürlich nicht kommen, insofern ist mir nicht klar, ob sich das insgesamt rechnet.

Das rechnet sich vor allem dadurch, daß man die Rakete von Anfang an mit einer großen Horizontalkomponente der Richtung ihrer Beschleunigung abschiessen kann. Sie muss nämlich, zumindest für niedrige Erdumlaufbahnen, weniger nach oben als nach "vorne" beschleunigt werden. Am Ende muss sie eine Geschwindigkeit von 7km/s parallel zur Erdoberfläche haben, um nicht wieder herunterzufallen. Und dafür hilft es nicht viel, die ersten 10 Kilometer senkrecht nach oben zu steigen, wie das Raketen vom Boden aus tun. Das müssen sie aber tun, weil der Schub am Anfang entweder zum Aufsteigen oder zum horizontalen Beschleunigen reicht aber nicht für beides und ausserdem in der dichten Atmosphäre der Luftwiderstand bei hoher Geschwindigkeit hinderlich ist. Das Stichwort zum Googeln heisst „Schwebeverlust“.

Von den 7000 m/s Bahngeschwindigkeit schenkt das Flugzeug der Rakete 350 m/s, ausserdem erspart es ihr die ersten 10km senkrechten Aufstieb bei maximaler Masse.

Das Konzept ist übrigens nicht neu sondern geht auf die Pioniere der Raumfahrt zurück, z.B. Eugen Sänger, dem zu Ehren die ESA einem ähnliches Konzept in den 80er Jahren, allerdings mit einem Überschallflugzeug als „Startstufe“, den Namen „Sänger“ gab. (Das war damals einer von meinen geplatzten Lebensplänen, nach dem Abschluß meines Studiums daran mitarbeiten zu dürfen. Leider war „Sänger“ eine von den vielen Totgeburten der Raumfahrtgeschichte weil viel zu ambitioniert). Dieses Stratolaunch-Gerät soll am Anfang „Pegasus“ Raketen abschiessen, die schon immer („immer“ bedeutet hier 25 Jahre!) von einem Flugzeug aus gestartet wurden, nämlich einer Lockheed 1011 TriStar.

Und wem das hässliche Flugzeug bekannt vorkommt: Das ist nichts als eine „scaled-up“ Version von White Knight / White Knight 2, der Startstufe für die Spaceship 1 und 2 Suborbitalvehikel. Ebenfalls von Scaled Composites gebaut.

Grüße
Maximilian
 
Am Ende muss sie eine Geschwindigkeit von 7km/s parallel zur Erdoberfläche haben, um nicht wieder herunterzufallen. Und dafür hilft es nicht viel, die ersten 10 Kilometer senkrecht nach oben zu steigen, wie das Raketen vom Boden aus tun. Das müssen sie aber tun, weil der Schub am Anfang entweder zum Aufsteigen oder zum horizontalen Beschleunigen reicht aber nicht für beides und ausserdem in der dichten Atmosphäre der Luftwiderstand bei hoher Geschwindigkeit hinderlich ist. Das Stichwort zum Googeln heisst „Schwebeverlust“.
Hallo Maximilian, vielen Dank für die Aufklärung. Die dt. Wikipedia kennt das Wort nicht, aber im Buch von Messerschmid & Fasoulas wird es auf Seite 138 erklärt. Das scheint überhaupt ein nützliches Buch zum Thema zu sein. Wie wäre wohl der Fachausdruck für „Schwebeverlust“ im Englischen? Unter "space systems - floating loss" finde ich nur Links zu Raummüll . - Gruß, Peter

103873


103874
 
Hallo Peter,

der Schwebeverlust heisst auf Englisch „gravity drag“, also Widerstand durch Schwerkraft. Auf dieser Wikipedia-Seite wird ganz gut erklärt, wie eine senkrecht startende Rakete am besten ihren Schwenk in Richtung Umlaufbahn ausführt: Gravity turn - Wikipedia

Viele Grüße
Maximilian

PS: Das Buch von Prof. Messerschmid habe ich auch, allerdings viel später gekauft als ich es wirklich gebraucht hätte. Immerhin haben sich seine und meine Wege insofern noch gekreuzt, als dass er meine (extern durchgeführte) Diplomarbeit betreut hat.
 
Hallo,

besorgt euch mal Kerbal Space Program. Das sieht auf den ersten Blick wie ein einfaches Spiel aus. Mit den richtigen Mods wird daraus eine ziemlich realistische Raumfahrtsimulation. Jedenfalls bekommt man damit ein gutes Gefühl für die Grundprinzipien der Raumfahrt. Ich glaube flugzeugbasierter Raketenstart geht damit auch.

Gruß

*entfernt*
 
Hallo!

Das sieht auf den ersten Blick wie ein einfaches Spiel aus. Mit den richtigen Mods wird daraus eine ziemlich realistische Raumfahrtsimulation.

Das ist bestimmt nicht schlecht, hat mir ehrlich gesagt aber zu viel Videospiel-Firlefanz drum rum. Ich bevorzuge dann doch eine realistische Simulation, die sich auf das wesentliche beschränkt. Wie z.B. X-Plane (https://www.x-plane.com/), ein sehr realistischer Flugsimulator, der auf allen gängigen Plattformen läuft. Mit einer eingeschränkten Demoversion zum Ausprobieren. Für den gibt es auch Sachen wie White Knight und Space Ship Two (Spaceship Two & White Knight Two), die man getrennt Fliegen kann, man kann mit dem Space Shuttle starten und auch landen, auf Wunsch mit komplettem Re-Entry für die, die eine Stunde Zeit haben... Ein Atmosphärenmodell für den Mars und ein paar Marsflugzeuge sind auch dabei. Und auch eine Saturn V Rakete. Man kann Flugzeuge und Raumfahrzeuge damit auch komplett selbst konstruieren, die erforderliche Anwendung „Plane Maker“ ist gratis mit dabei. Im Internet gibt es eine große community von Anwendern, bei denen man (meistens umsonst) fast alles bekommt, was jemals geflogen ist oder vielleicht irgendwann mal Fliegen wird.

Viele Grüße
Maximilian
 
Der maximale aerodynamische Druck einer Rakete wird typischerweise in einer Höhe von 80 km erreicht.

Ganz bestimmt nicht. Da ist schon (laut amerikanischer Definition) das Weltall.
Der maximale aerodynamische Druck (auch "max-q" genannt) war beim Space Shuttle bei 11km,
bei Apollo und Falcon-9 bei 13 bis 14km Höhe.
https://en.wikipedia.org/wiki/Max_q

Ansonsten, zu den Simulatoren, ich benutze keinen von denen,
aber das Kerbal Space Program, obwohl für meinen Geschmack auch zu viel Kitsch drin,
muss ziemlich gut sein, Scott Manley benutzt es, und es wird auch gelegentlich
bei Studentenwettbewerben von der ESA empfohlen.

Gruss
Thorsten
 
Hallo Maximilian,

die Idee von X-Planes und KSP ist unterschiedlich. Bei X-Planes geht es um eine sehr realistische aerodynamische Simulation, während es bei KSP um komplette Raumfahrmissionen geht. Das heißt, man kann damit komplette Missionen z.B. inklusive Start, Orbits, Swing-bys und Landung auf einem anderen Himmelskörper simulieren und sich das Gerät selber zusammenstellen und konstruieren. Das steht und fällt mit den Mods die man sich installiert. Das kann von sehr realistisch bis absolut Fantasiewelt gehen (z.B. Warp-Drives mit Minimalenergieverbrauch). Von den kleinen Kerbals sollte man sich nicht abschrecken lassen. Man muß es halt aushalten können, wenn einen bei einer hochrealistischen Apollosimulation ein kleiner Kerbal und nicht Neil Armstrong aus dem LM anschaut .
Ich habe KSP selber zwei/drei Jahre nicht mehr benutzt. Keine Ahnung was sich da mittlerweile noch getan hat.

Gruß

*entfernt*
 
Hallo,

Ansonsten, zu den Simulatoren, ich benutze keinen von denen, ...

Ich benutze das daheim auch nicht mehr, denn bei der Arbeit bekomme ich genug davon, sowohl als Trainee als auch als Trainer. Aber früher habe ich mit X-Plane regelmässig ein paar Stunden pro Woche verbracht und dabei auch ein paar komplette Space Shuttle re-entries geflogen. Oder besser versucht, welche zu fliegen... seitdem habe ich größten Respekt vor Shuttle-Piloten :) Wobei die natürlich jahrelang viele Stunden am Tag im Simulator verbringen mussten.

Grüße
Maximilian

PS: Als ich in den 80er Jahren meinen ersten wirklich brauchbaren Computer hatte (einen Amstrad/Schneider CPC464, den Sinclair ZX81 davor nenne ich jetzt mal lieber „Übungsgerät“) habe ich viele Nächte damit verbracht, Aufstiegsbahnen und Stufungsvarianten für Raketen numerisch zu berechnen. Die Gleichungen sind ziemlich einfach, im Prinzip kann man das heute mit einem guten programmierbaren Taschenrechner machen. Ganz ohne KSP oder X-Plane!
 
Der maximale aerodynamische Druck einer Rakete wird typischerweise in einer Höhe von 80 km erreicht.
Ganz bestimmt nicht. Da ist schon (laut amerikanischer Definition) das Weltall. Der maximale aerodynamische Druck (auch "max-q" genannt) war beim Space Shuttle bei 11km, bei Apollo und Falcon-9 bei 13 bis 14km Höhe. https://en.wikipedia.org/wiki/Max_q
Mea culpa - auweia, da habe ich mich ganz schön verguckt, und danke Thorsten für die Richtigstellung! Die vermeintliche Höhenskala in km war tatsächlich eine Skala für die Flugzeit in Sekunden!

Die unten gezeigte Fig. 1 aus NASA TN D-5869 zur Performance der Saturn V zeigt einen Max-Q Wert von 37000 N/m² an, aber nicht für eine Höhe von 80 km, wie ich irrtümlich schrieb, sondern bei einer Flugzeit von ca. T + 80 Sekunden.

Das Apollo-16 Flight-Log aus dem Max-Q Link gibt für diese Flugphase folgenden Rapport:

000:00:48 Mattingly (onboard): Through 10K [10,000 feet altitude, 3,000 metres]. Must be coming up on a little q here.

[The aerodynamic forces acting on the launch vehicle have been rising as the vehicle gains speed. However, the air around it is thinning rapidly with its increasing altitude. The interaction of these two changing values will result in a maximum degree of pressure on the vehicle's skin at 1 minute, 26 seconds into the flight; at a speed of about Mach 1.7 and an altitude of 14.3 km. This moment of maximum dynamic pressure is also often described as "Max q" since "q" is the engineering term for dynamic pressure (which is a product of speed and atmospheric density).]


Also Max_Q nach einer Flugzeit von 86 Sekunden bei einer Flughöhe von 14,3 km (bei Apollo).

Was dann aber wesentlich näher zur erreichbaren Flughöhe eines Stratosphärenflugzeugs wie Stratolaunch ist. Wenn die Rakete in dieser Höhe ausgesetzt werden kann, wäre der Luftdruck und der davon verursachte Reibungsverlust bereits dramatisch reduziert.

103883
 
Hallo!

... wäre der Luftdruck und der davon verursachte Reibungsverlust bereits dramatisch reduziert.

Reduziert sicher, immerhin summiert (oder besser: integriert) sich die Bremswirkung durch den Luftwiderstand während des gesamten Aufstieges durch die Armosphäre. Aber „dramatisch“ ist vielleicht die falsche Vokabel :) Im Vergleich zu den anderen Kräften, die bei so einem Raketenstart wirken, fidet man den Luftwiderstand irgendwo in den Nachkommstellen. Selbst bei maximalem Staudruck erreicht er bei der Saturn V Unterstufe weniger als 1% der Schubkraft (Durchmesser: 10m, Staudruck entspechend der Graik oben). Und das gemäß des Kurvenverlaufes auch nur kurzzeitig.
Wäre es anders, dann wäre die Starttechnik vom Stratosphärenflugzeug (oder Statosphärenballon, Stichwiort: „Rockoon“) schon vor vielen Jahrzehnten weiterentwickelt worden. Denn der Aufwand ist nicht zu verachten: Selbst für eine vergleichsweise kleine Rakete wie die Pegasus (400kg Nutzlast in die niedrige Umlaufbahn) braucht man dafür das (derzeit) größte Flugzeug der Welt... Und viel Spielraum nach oben ist nicht mehr.

Dieses Rumgereite auf „maxQ“ (in jeder Sprechfunk-Niederschrift enthalten) liegt vor allem daran, dass in diesem Moment die Maximalbelastung auf die Struktur der Rakete wirkt: Von hinten der volle Schub und von vorne die maximale Luftkraft. Und dabei sind die Tanks schon zu 2/3 entleert (eine halbvolle Coladose lässt sich viel leichter zusammendrücken als eine volle!). Auch an die Steuerung und Stabilierung sind in diesem Moment die höchsten Anforderungen gestellt. Das ist der Moment, an dem es Raketen gerne zerreisst (die Atlas-Rakete war davon besonders betroffen, z.B. beim Flug Mercury-Atlas 1).

Grüße
Maximilian
 
Ah ja: Mercury-Atlas 1

The Atlas rocket suffered a structural failure 58 seconds after launch at an altitude of approximately 9.1 km and 3.4 km down range. All telemetry signals suddenly ceased as the vehicle was passing through Max Q.
 
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