Hallo.
Meßwerte müssen ja immer interpretiert werden, um ihre Bedeutung zu verstehen. Man muß auch nicht alle nennen. Das bedeutet Spielraum, den die Werbung nutzt. Ob ich bei einem dielektrischen Spiegel unter "99% Reflektion über das sichtbare Spektrum" verstehe, dass dieser Wert kontinuierlich an keiner Stelle unterschritten wird, ist was anderes, als wenn ich dabei davon stillschweigend davon ausgehe, dass es reicht, wenn sie nur an einigen Stellen im Spektrum erreicht wird. Das spektrale Profil hat je nach Beschichtungsaufwand immer mehr oder weniger Restwelligkeit. Ich erinnere mich z.B. an Meßkurven, die für Spiegel, die mit 99% beworben waren, zeigten, dass dieser Spitzenwert im visuellen Spektralbereich nur an wenigen Maxima erreicht wurde, während es in den Minima dazwischen nur ca. 90% waren. Die "integrale" oder mittlere Reflexivität lag also nur bei rund 95%.
Oder die Winkelabhängigkeit der Reflexion: da findet man zB. meist gar keine Angaben. Ganz zu schweigen von evt. Serienschwankungen. Oder die Planität: ob ich unter der Angabe 1/10 lambda verstehe, dass die für die Oberfläche des Dielektriums nach Abschluß der Bedampfungen gilt, oder ob damit die Planität des Trägersubstrat gmeint ist, die es vor der Beschichtung mal hatte, die aber hinterher anders aussehen kann, macht einen großen Unterschied. Ein langsamer und für jede Schicht kontrollierter Beschichtungsaufbau, bei dem die Planität besser erhalten bleibt, kommt nun mal wesentlich teurer, als eine rasche Abfolge weniger kontrollierter Bedampfungen, bei dem sich mit jedem Beschichtungszyklus Türmchen und Täler in den Schichten aufbauen können, oder Spannungen im Träger, der sich dann wellt. Prozesskontrolle kostet, die Qualität kann schwanken, die Beschichtungsanlagen arbeiten prozessbedingt nicht überall gleichmäßig.
Es ist auch nicht egal, für wen die Technischen Daten bestimmt sind. Geht es darum einen Geschäftskunden, eine Institution oder Firma langfristig zu beliefern? Da sind Leute die sich auskennen, nachmessen können, und die vollständige verlässliche Angaben brauchen, und die dafür auch entsprechend bezahlen. Die verlangen auch nicht überall das Beste, sondern passen die georderte Qualität möglichst genau dem Bedarf an. Die teure hohe Qualität aus der Mitte vermesse ich also sorgfältig und verkaufe sie an Kunden, die dafür bezahlen und wissen was sie brauchen. Für den Massenmarkt dagegen sind Technische Daten oft nur Mittel zum Zweck: die kann man werbewirksam hinbiegen. Um auch die billigere wellige Qualität vom Rand noch an den Mann zu bringen muß ich dem ja nicht sagen, wann und wie eine eindrucksvolle Zahl zustandegekommen ist. Und sollten Forderungen kommen, Werte für die Oberflächengenauigkeit nach der Beschichtung zu erfahren, könnte ich z.B. nach der ersten Beschichtung messen, wenn die Werte noch um einiges besser aussehen können, als bei dem schnell gebackenen finalen Produkt.
Einige wenige scheinbar maximale Zahlen für Dielektrische Spiegel sagen am Ende nicht alles, worauf es ankommt, in bestimmten Aspekten können je nach Anwendungszweck auch andere Materialien im Vorteil sein. Metallspiegel z.B. haben ein zwar etwas niedrigeres, aber dafür oft viel glatteres und weiteres spektrales Profil mit viel weniger Winkelabhängigkeit. Wobei Silber im Blauen signifikant abfällt. Glas lässt sich viel leichter plan polieren und erlaubt als Prisma dank nahezu verlustloser Totalreflexion eine spektral homogene Reflexionsqualität - die Weglänge wird aber wegen der Materialdispersion bei zu großen Öffnungsverhältnissen und stumpfem Strahlenkegel zu Abbildungsfehlern führen.
Kunden im Massenmarkt wollen solche Unterschiede meist aber nicht detailliert wissen und wissen meist auch nicht genau, was sie wollen. Die wollen "einfach nur" möglichst überall das "Beste" - was aber möglichst nichts kosten darf. Weil es das nicht gibt und sie auch gar nicht nachmessen können, findet sich immer ein Marketingprofi, der sich darauf versteht, die Spezifikationen eines Produkts für diesen Kundenkreis irgendwie maximal und bestens aussehen zu lassen. Wozu es auch gehört, billigere Bauteile in edlen Gehäusen zu verpacken. Das geschickte öffentliche Präsentieren von niedrigerer Produktqualität kommt oft billiger, als teure Weiterentwicklung, und wenn es wegen niedrigerer Preise auch noch am Markt erfolgreicher ist, als hinter den Kulissen die Qualtiät des Produkt mit mühseliger Arbeit zu steigern, wundert es nicht, wenn Marketingleute in einigen Branchen auch höher bezahlt werden als die Fachleute in der Entwicklung oder Fertigung. Das wiederum sorgt für mehr Werbung und schürt die Konkurrenz, was zu noch vollmundigeren Werbeversprechen führt, die Anspruch und Wirklichkeit weiter auseinanderdriften lassen. Wichtig im Massenmarkt ist am Ende neben einem gewissen Mindestleistungsvermögen eher der äußere Eindruck, das Design, ein wertiges Gehäuse, und insgesamt beim Kunden die Empfindung, für eine "gefühlte" Spitzenqualität trotzdem bei weitem nicht so viel ausgegeben zu haben, wie der dusselige Nachbar...
Ist ja auch nicht so einfach, echte Qualität unvoreingenommen zu erkennen - und dann auch ggf. so konsequent zu sein, dafür mehr auf den Tisch zu legen. Schließlich flüstern einem Schlauberger ständig irgendwo ein, für das gleiche Geld bekäme man woanders mehr, woraus manche schliessen, der Gegenwert eines Produkts lie sich ohne nennenswerte Mehrkosten ganz leicht noch weit steigern....
Und wenn es die Werbung schafft, dielektrische Spiegel als die überall besten Spiegel anzupreisen, kommt es irgendwann auch noch so weit, dass die Kunden die Alternativen schlechtreden: Dann gelten Prismen und Metallspiegel plötzlich angeblich als Technik von gestern, für die nur Liebhaber sinnlos überteuerte Preise zahlen.
Gruß,
Mathias