Hausmeister
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Hallo Walter und andere Leser,
Dieser Beitrag beschäftigt sich mit den beim letzten Mal angekündigten Gedamken und einigen Berechnungen zum Feldstecher. Hier meine Ergebnisse.
Die auffälligen Unterschiede zwischen der Beobachtung mit bloßen Augen und dem Feldstecher werfen die Frage auf, was von diesen Unterschieden auf das Konto der – möglicherweise fehlerhaften – Wahrnehmung geht, und was durch die Abbildungsgesetze im Fernrohr objektiv gegeben ist.
Insbesondere interessieren in diesem Zusammenhang die Phänomene des sog. Liliputismus und der Kulisseneffekt. Der Liliputismus ist die von der gewohnten Ansicht abweichende, kleiner scheinende Wahrnehmung näherer Objekte. Der Kulisseneffekt besteht in einer scheinbaren Verkürzung der Raumtiefe, die Objekte erscheinen dicht hintereinander zu liegen - wie Theaterkulissen. Zur Klärung der Frage, ob die beschriebenen Effekte auf unserer Wahrnehmungssystematik beruhen oder durch den Feldstecher vorgegeben sind, untersuchen wir die Größe und Lage der objektiv vorhandenen Abbildung.
Gegeben ist eine Modelllandschaft mit 20 Objekten von 2 Meter Größe, die sich in gleichbleibendem Abstand von 50 Metern zwischen 50 und 1000 Meter befinden. Die Berechnungen basieren auf einer Objektivbrennweite von 25cm, einer Okularbrennweite von 2.5cm, also auf einer 10fachen Vergrößerung sowie einer Entfernungseinstellung auf unendlich. Die Fragestellung lautet:
An welchen Orten und in welcher Größe werden diese Objekte von unserem Feldstecher abgebildet? Das Ergebnis ist durchaus überraschend.
Die Abbildungen befinden sich in 50,100,150....900, 950 und 1000 ZENTIMETER(!), ihre Entfernungen haben sich also auf 1/100 ihrer ursprünglichen Größe verringert. Die Bildgrößen betragen dagegen 1/10 der ursprünglichen Größe, also 0.2 Meter. Eine Berechnung mit verschiedensten Vergrößerungen zeigt einen gleich bleibenden Zusammenhang: bei jedem auf unendlich eingestellten Fernrohr mit der Vergößerung v verändern sich die Entfernungen um den Quotienten v^2, die Bildgrößen um v. Somit verbleibt erwartungsgemäß eine relative Vergrößerung der Objekte um den Faktor v.
Die z.T. erheblich kleinen Entfernungen der Bilder nahgelegener Objekte zeigen sich in der Praxis an ihrer Unschärfe und den doppelten Konturen. Durch Akkommodation und Konvergenz der Augen allein ist diese kaum zu beseitigen, es wird eine Naheinstellung des Fernrohrs auf sie notwendig. Eine solche Verstellung des Feldstechers verschiebt alle Objekte in größere Entfernungen, die Verschiebung ist aber nicht porportional zum ursprünglichen Wert. Nach einer Verstellung der Okulare um 0.09mm(!) wandert das vorher in 10m abgebildete Objekt praktisch nach unendlich, das nächste Objekt in 0.5m dagegen hat sich lediglich auf 0.52m entfernt. Der Abstand der Objekte untereinander ist nicht mehr gleich, die entfernteren sind auch weiter voneinander entfernt. Ihre scheinbare Größe, also der Winkel, unter dem sie erscheinen, bleibt dabei aber gleich!! (Im Gegensatz zur Realität, in der die Winkel mit zunehmender Entfernung kleiner werden!)
Welche Auswirkungen haben diese Tatsachen auf unsere Größenwahrnehmung?
Die wahrgenommene Größe eines Objektes ergibt sich aus dem Emmertschen Gesetz; danach ist sie proportional dem Produkt von Entfernung und Winkelgröße. Wegen der größeren Nähe der Objekte beim Blick durch den Feldstecher sind auch ihre Entfernungen leichter zu messen. Wäre dies nicht der Fall, so würden uns die Objekte alle gleichgroß erscheinen, weil wir dann nur eine ihrem Winkel proportionale Größe wahrnehmen. Mit der Meßbarkeit der jeweiligen Entfernungen im Feldstecher erkennen wir, wie im allgemeinen so auch unter den 20 Objekten gleicher scheinbarer Größe dasjenige als das größte, welches am weitesten entfernt ist. Dies hat gegenüber der Realität eine Verschiebung der Größenverhältnisse zur Folge, die die näheren Objekte verkleinert wirken läßt. So handelt es sich beim Liliputismus nicht um eine wie immer bedingte fehlerhafte sondern um eine solche Wahrnehmung, die die Gegebenheiten des abgebildeten Modells richtig wiedergibt.
Auch der Kulisseneffekt beruht auf den Eigenarten der Abbildung. Wo im Modell eine Größe von 2m und eine Distanz zum folgenden Objekt von 50m gegeben war, haben wir im Abbild eine Größe von 0.2m und eine auf 0.5m übermäßig stark geschrumpfte Distanz. Auch die Ausdehnung der einzelnen Objekte in Beobachtungsrichtung ist davon betroffen, sie wirken "flach". Diese Tatsachen werden von unserer Wahrnehmung zutreffend als kulissenartig wiedergegeben.
Unsere visuelle Wahrnehmung ist realistischer als oft angenommen; das scheint mir die wichtigste Erkenntnis aus diesem Exkurs!
Beste Grüße, Herbert
Dieser Beitrag beschäftigt sich mit den beim letzten Mal angekündigten Gedamken und einigen Berechnungen zum Feldstecher. Hier meine Ergebnisse.
Die auffälligen Unterschiede zwischen der Beobachtung mit bloßen Augen und dem Feldstecher werfen die Frage auf, was von diesen Unterschieden auf das Konto der – möglicherweise fehlerhaften – Wahrnehmung geht, und was durch die Abbildungsgesetze im Fernrohr objektiv gegeben ist.
Insbesondere interessieren in diesem Zusammenhang die Phänomene des sog. Liliputismus und der Kulisseneffekt. Der Liliputismus ist die von der gewohnten Ansicht abweichende, kleiner scheinende Wahrnehmung näherer Objekte. Der Kulisseneffekt besteht in einer scheinbaren Verkürzung der Raumtiefe, die Objekte erscheinen dicht hintereinander zu liegen - wie Theaterkulissen. Zur Klärung der Frage, ob die beschriebenen Effekte auf unserer Wahrnehmungssystematik beruhen oder durch den Feldstecher vorgegeben sind, untersuchen wir die Größe und Lage der objektiv vorhandenen Abbildung.
Gegeben ist eine Modelllandschaft mit 20 Objekten von 2 Meter Größe, die sich in gleichbleibendem Abstand von 50 Metern zwischen 50 und 1000 Meter befinden. Die Berechnungen basieren auf einer Objektivbrennweite von 25cm, einer Okularbrennweite von 2.5cm, also auf einer 10fachen Vergrößerung sowie einer Entfernungseinstellung auf unendlich. Die Fragestellung lautet:
An welchen Orten und in welcher Größe werden diese Objekte von unserem Feldstecher abgebildet? Das Ergebnis ist durchaus überraschend.
Die Abbildungen befinden sich in 50,100,150....900, 950 und 1000 ZENTIMETER(!), ihre Entfernungen haben sich also auf 1/100 ihrer ursprünglichen Größe verringert. Die Bildgrößen betragen dagegen 1/10 der ursprünglichen Größe, also 0.2 Meter. Eine Berechnung mit verschiedensten Vergrößerungen zeigt einen gleich bleibenden Zusammenhang: bei jedem auf unendlich eingestellten Fernrohr mit der Vergößerung v verändern sich die Entfernungen um den Quotienten v^2, die Bildgrößen um v. Somit verbleibt erwartungsgemäß eine relative Vergrößerung der Objekte um den Faktor v.
Die z.T. erheblich kleinen Entfernungen der Bilder nahgelegener Objekte zeigen sich in der Praxis an ihrer Unschärfe und den doppelten Konturen. Durch Akkommodation und Konvergenz der Augen allein ist diese kaum zu beseitigen, es wird eine Naheinstellung des Fernrohrs auf sie notwendig. Eine solche Verstellung des Feldstechers verschiebt alle Objekte in größere Entfernungen, die Verschiebung ist aber nicht porportional zum ursprünglichen Wert. Nach einer Verstellung der Okulare um 0.09mm(!) wandert das vorher in 10m abgebildete Objekt praktisch nach unendlich, das nächste Objekt in 0.5m dagegen hat sich lediglich auf 0.52m entfernt. Der Abstand der Objekte untereinander ist nicht mehr gleich, die entfernteren sind auch weiter voneinander entfernt. Ihre scheinbare Größe, also der Winkel, unter dem sie erscheinen, bleibt dabei aber gleich!! (Im Gegensatz zur Realität, in der die Winkel mit zunehmender Entfernung kleiner werden!)
Welche Auswirkungen haben diese Tatsachen auf unsere Größenwahrnehmung?
Die wahrgenommene Größe eines Objektes ergibt sich aus dem Emmertschen Gesetz; danach ist sie proportional dem Produkt von Entfernung und Winkelgröße. Wegen der größeren Nähe der Objekte beim Blick durch den Feldstecher sind auch ihre Entfernungen leichter zu messen. Wäre dies nicht der Fall, so würden uns die Objekte alle gleichgroß erscheinen, weil wir dann nur eine ihrem Winkel proportionale Größe wahrnehmen. Mit der Meßbarkeit der jeweiligen Entfernungen im Feldstecher erkennen wir, wie im allgemeinen so auch unter den 20 Objekten gleicher scheinbarer Größe dasjenige als das größte, welches am weitesten entfernt ist. Dies hat gegenüber der Realität eine Verschiebung der Größenverhältnisse zur Folge, die die näheren Objekte verkleinert wirken läßt. So handelt es sich beim Liliputismus nicht um eine wie immer bedingte fehlerhafte sondern um eine solche Wahrnehmung, die die Gegebenheiten des abgebildeten Modells richtig wiedergibt.
Auch der Kulisseneffekt beruht auf den Eigenarten der Abbildung. Wo im Modell eine Größe von 2m und eine Distanz zum folgenden Objekt von 50m gegeben war, haben wir im Abbild eine Größe von 0.2m und eine auf 0.5m übermäßig stark geschrumpfte Distanz. Auch die Ausdehnung der einzelnen Objekte in Beobachtungsrichtung ist davon betroffen, sie wirken "flach". Diese Tatsachen werden von unserer Wahrnehmung zutreffend als kulissenartig wiedergegeben.
Unsere visuelle Wahrnehmung ist realistischer als oft angenommen; das scheint mir die wichtigste Erkenntnis aus diesem Exkurs!
Beste Grüße, Herbert