Das Galaxienpaar NGC 4038/39 im Sternbild Rabe (Corvus) ist das nächstgelegene Musterexemplar einer echten Galaxienverschmelzung. Heute können wir eine Aufnahme dieses intergalaktischen Zusammenstoßes von Klaus Eikmeier zeigen. Und wie üblich, wird der Neuling unter den AdW-Astrofotografen hier und jetzt mit einem herzlichen Willkommen begrüßt. Klaus nahm die Bildserie am 18. und 23.05.2023 auf. Der Ort war die IAS auf der Astrofarm Hakos in Namibia. Die Abkürzung IAS bedeutet: "Internationale Amateursternwarte e.V.". Verwendung fand das "Carsten-Jacobs-Teleskop", ein Newton-Reflektor von 810 mm Öffnung und 3055 mm Brennweite (Apertur also f/3,77) auf einer azimutalen Gabelmontierung. Klaus Eikmeier schreibt: "Der Teleskopname geht auf Initiative und maßgebliche Planung des verstorbenen Vereinsvorsitzenden zurück. Die Spiegel wurden bei Alluna-Optics in Bobingen gefertigt, Montierung und Tubus stammen von Gerhard Balda." Als Kamera wurde eine ZWO ASI6200MM PRO mit 3,76 x 3,76 mü Pixelgröße verwendet. Sie wurde für diese Aufnahme im 2x2-Binningmodus betrieben. Die Gesamtbelichtungszeit für dieses Objekt erscheint recht kurz: 41 min 25 s, zusammengesetzt aus folgenden Einzelbelichtungen: Lum 45 x 15 s, R 42 x 15 s, G 21 x 15 s, B 33 x 15 s, Ha 24 x 15 s mit jeweils 50-80% Verwendung pro Kanal. Das Bildfeld beträgt 21,6' x 21,6' mit Norden auf etwa 11 Uhr bei einem hier im AdW gemessenen Bildmaßstab von 0,498"/px.
Was zeigt diese wundervolle Deep-Sky-Aufnahme? NGC 4038/39 ist das nächstgelegene Galaxienpaar, das sich in einer Kollision miteinander befindet. Die Entfernung des Paares wird in der NASA Extragalactic Database mit Werten von 13 bis zu 27,9 Megaparsec (Mpc) angegeben - je nach Messmethode. Legt man die Radialgeschwindigkeit beider Galaxien mit 1672 resp. 1637 km/s zugrunde, so folgt mit der Hubble-Konstanten 72 km/s/Mpc eine Hubble-Entfernung von gut 23 Mpc, was rund 75 Mio. Lichtjahren entspricht. Aufgrund des außergewöhnlichen Aussehens wurde NGC 4038/39 in weiten Bereichen des elektromagnetischen Spektrums untersucht, von der Röntgenstrahlung über UV-, optische und IR-Wellenlängen bis hin zu Radiowellenlängen.
Man kann sich streiten: Was ist das Bemerkenswerteste bei diesem kosmischen Unfall? Die vielen roten HII-Regionen im Innenbereich oder die zwei auffälligen äußeren Gezeitenschweife? Das AdW zeigt: Die beiden Galaxien haben bei ihrem nahen Vorübergang im wahrsten Sinne des Wortes "Federn gelassen": die Gezeitenschweife, die sich als dünne Spuren aus Galaxienmaterie und Sternen in den Außenraum erstrecken. Dass sich hier ein gar nicht so seltener Vorgang abspielt, haben schon die Astronomen der 1950er Jahre vermutet. Die richtig gute wissenschaftliche Begründung kam aber erst, nachdem die Gebrüder A. und J. Toomre der Fachwelt ihre Simulationen an Galaxienbewegungen vorstellen konnten: "Galactic Tails and Bridges", Astrophys. Journal 178, 623‑666 (1972). Das Zusatzbild 1 zeigt in einer Abbildung aus dieser Publikation, wie der Vorgang sich bei NGC 4038/39 modellmäßig abgespielt haben dürfte. Bereits in der ersten Phase der Annäherung verwandelten sich die beiden Galaxien allmählich in ein "gravitatives Tanzpaar" und die Gravitation sorgte für die Bildung von Gezeitenschweifen. Revolutionär war, dass die Toomres ihre Computersimulationen mit "Partikeln" als Repräsentanten der Sterne durchführten. So konnten sie per Rechner alle gravitativen Auswirkungen "nachmodellieren", von der Bahnänderung der beiden Galaxien bis hin zu der allmählichen Gezeitenschweifbildung und der unvermeidlichen Kollision . Die simpel erscheinende Simulation ist in Wirklichkeit aber viel komplizierter anzusetzen: Berücksichtigt werden mussten Parameter wie die Bewegungsrichtungen von NGC 4038 und 4039 vor der Begegnung (engl. encounter), ihre individuellen Geschwindigkeiten, den Winkel der Galaxienscheiben zueinander, die Drehrichtung der Galaxien, das gegenseitige Massenverhältnis etc. Werden diese Parameter variiert, so entstehen ziemlich unterschiedliche Ergebnisbilder. Aber das im Zusatzbild gezeigte Simulationsergebnis überzeugte schließlich die damalige Fachwelt - was bis heute anhält. Interessant ist in dem Artikel der Toomres auch noch zu verfolgen, wie nicht nur die Lage der Galaxien in der zweidimensionalen Bildfläche im Heftartikel ausschaut, sondern wie auch die räumliche Lage der Galaxien und die räumliche Erscheinung der sich beim Enconunter bildenden Schweife ablief. Fünf Jahre nach dieser ersten Veröffentlichung publizierte Alar Toomre noch eine Untersuchung über die Entwicklung von Galaxien und die stellaren Populationen. Die Astronomenwelt nahm die Ausführungen der Gebrüder Toomre so ernst, dass es 1977 in der deutschen Stadt Bad Münstereifel ein Symposium der Internationalen Astronomischen Union (IAU) zum Thema "Struktur und Eigenschaften nahegelegener Galaxien" gab. Von Francois Schweizer kam der Beitrag "Galaxies with long tails" (Galaxien mit langen Schweifen).
Nach heutigen Forschungsergebnissen sieht es folgendermaßen aus: Möglicherweise befinden sich die beiden Galaxien bereits in ihrem zweiten Umlauf. Als sicher gilt, dass die aktuelle Situation der Sternentstehung und Bildung von HII-Regionen bereits einen Entwicklungsgang zeigt, der vor 40 Mio. Jahren eingesetzt hat (Karl et al., 2010). Und jetzt ist die Vermengung (engl.: merger) voll im Gange, und zwar im Frühstadium.
Damit zu dem zweiten auffälligen Befund: Die Kollision bewirkt in beiden Galaxien eine heftige Sternentwicklung. Während des einsetzenden Vermengungsvorgangs lief die Sternbildung aber nicht gleichzeitig ab, sondern in Schüben als spontane Ausbrüche. Was den Astronomen neu war: Neue Sterne entstanden bei diesem Merger zu einem Großteil in Form junger Superstarcluster (SSC). Die SSC sind von der Masse her den alten galaktischen Kugelsternhaufen sehr ähnlich. Man kann sie jedoch voneinander unterscheiden, und das gelang 1995 zwei Astronomen über die Fotometrie mit dem Weltraumteleskop Hubble: Whitmore B.C. und Schweizer F., 1995: "Hubble Space Telescope Observations of Young Star Clusters in NGC 4038/4039, ´The Antennae´ Galaxies"; Astronom. J. 109, p. 960.
In den Zentralzonen von NGC 4038 und 4039 konnten Sternentstehungsgebiete im Alter von 65 Mio. Jahren nachgewiesen werden (Mengel et al. 2005). Jüngere Populationen der Sternbildung im Alter von 3–10 Mio. Jahren sind in der "Überlappungszone" zu finden - dort, wo die Kollision unmittelbar stattfindet. Im AdW sticht dieser dunkle Bereich mitten zwischen den beiden Galaxien mit dunkelroter Färbung sofort ins Auge. Der jüngste SSC B1 - so sein Name - ist maximal 1 Mio. Jahre alt, also ein Baby in astronomischen Zeitkategorien. Solche jungen Exemplare haben sich vorwiegend in fünf Gebieten gebildet, in denen große Molekülwolken miteinander zusammenprallen, siehe K. Tsuge et al.: "The formation of the young massive cluster B1 in the Antennae Galaxies (NGC 4038/NGC 4039) triggered by cloud-cloud collision"; Publ. Astron. Soc. Japan 73, pp. 417-430 (4/2021). Die Massen der SSC kommen auf sage und schreibe 1 bis 5 Mio. Sonnenmassen, siehe Whitmore B.C. et al.: "The Antennae galaxies (NGC 4038/4039) revisited: Advanced Camera for Surveys and NICMOS observations of a prototypical merger"; Astron. J. 140, 75-109 (7/2010).
Die Sternentstehung läuft aber nicht nur in Form von Sternhaufen in der Zentralzone ab. Äußerst interessant war die Entdeckung einer neu entstandenen irregulären Zwerggalaxie in einem Gezeitenarm durch Mirabel I.F., Dottori H. und Lutz D.: "Genesis of a dwarf galaxy from the debris of the Antennae", Astronom. & Astrophys. 256, 19-22 (1992). Man kann dieses Objekts, benannt als [MDL92] TDG nach den Initialen der Entdecker, sogar im AdW erkennen. Die TDG liegt deutlich an der Spitze des westlichen Gezeitenarmes, wo auch mehrere Sternentstehungsgebiete liegen (siehe Zusatzbild 2). Und sie ist in ihrer Leuchtkraft durchaus vergleichbar mit galaktischen Dwarfs wie IC 1613 oder NGC 6822. TDG bedeutet "tidal dwarf galaxy" (Zwerggalaxie durch Gezeitenwirkung). Übrigens kommt der westliche Gezeitenarm auf eine wahre (projizierte) Länge von mehr als 330.000 Lichtjahren.
Anmerkungen: Es ist verblüffend, dass dieses Bild selbst bei der lichtstarken Blende 3,8 in recht kurzer Belichtungszeit abgebildet werden konnte, und dazu noch in dieser Tiefe. Auf der einen Seite zeigt das die Leistungsstärke der modernen CMOS-Kameras, auf der anderen auch die enorme Transparenz des namibischen Himmels. Die sehr kurzen Einzelbelichtungen von 15 s Dauer erklären sich dadurch, dass die Bildung von Drehspuren wegen der azimutalen Montierung vermieden werden konnte.
Vielen Dank an Klaus Eikmeier für dieses prächtige Deep-Sky-Bild. Und dazu natürlich die Gratulation des AdW-Teams zum gelungenen Astrrofoto der Woche.
Peter Riepe
Bildautor: Klaus Eikmeier
Koordinaten (J2000.0) der Mitte des Galaxienpaares:
RA = 12 h 01 min 53,8 s, Dec = -18° 52' 38"
Vollbild unter: https://www.astronomie.de/aktuelles...8-39-der-prototyp-einer-galaxienverschmelzung
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