Etwa 4° nordwestlich des Eta-Carinae-Nebels NGC 3372 befindet sich ein kleinerer Nebel, der durch seine Sichelform Aufmerksamkeit erregt. Es handelt sich um NGC 3199, der als "Wolf-Rayet-Nebel" klassifiziert wird. Das heutige AdM zeigt NGC 3199, aufgenommen von Franz Hofmann. Er ist neu im Kreis der AdW-/AdM-Astrofotografen, daher begrüßen wir ihn jetzt ganz herzlich. Die Aufnahmeserie zum Bild datiert vom 02.-11.05. und 26./27.05.2024. Aufnahmeort war das remote betriebene Gemsbock Observatory der Rooisand Desert Ranch in Namibia. Als Teleskop kam ein Planewave CDK 14 zum Einsatz. Dieser Dall-Kirkham-Astrograph hat 14 Zoll Öffnung bei f/7,2. Ausgestattet mit einem 0,8-fachen Korrektor/Reduktor von Televue ergibt sich eine Brennweite von 2050 mm. Kamera war eine QHY268M. Belichtet wurde wie folgt: 24 x 10 min für L, RGB je 12 x 10 min, dazu H-alpha und [OIII] je 60 x 10 min (insgesamt 30 h). Die Bearbeitung erfolgte in PixInsight und Photoshop. Zu seiner Aufnahmeserie schreibt Franz Hofmann: “Dies ist das erste Bild meiner Remote-Sternwarte (Gemsbock Observatory) auf der Rooisand Desert Ranch in Namibia. NGC 3199 wurde gewählt, weil die hellen Bereiche dieses Objekts in allen Spektralbereichen ein starkes Signal liefern und damit einen passenden Datensatz zur kompletten Neuentwicklung meines Bearbeitungsworkflows gaben - nach langer Zeit mit verschiedenen OSC-Kameras.”
Was zeigt das AdM? Zunächst einmal beträgt das Bildfeld 38,7' x 25,4'. Wie astronomisch üblich (auch am Südhimmel), ist Norden oben und Osten links. NGC 3199 ist der elliptisch geformte Nebel, der in seinem Westbereich am hellsten ist, nach Osten hin aber deutlich schwächer wird, jedoch - wie das AdM zeigt - mit eindeutig geschlossener Ringform. NGC 3199, im Carina-Arm der Milchstraße gelegen, trägt noch weitere Katalognamen, so etwa Gum 28, benannt nach dem australischen Astronomen C.S. Gum, der in den 1950-er Jahren erste tiefe H-alpha-Aufnahmen erstellte. Seine Publikation: "A survey of southern HII regions"; Mem. R. Astron. Soc., 67, 155-177 (1955).
Eine weitere wichtige Katalogisierung lautet RCW 48, sie stammt von den drei ebenfalls australischen Astronomen A.W. Rodgers, C.T. Campbell und J.B. Whiteoak, die zu Beginn der 1960-er Jahre weitere tiefe H-alpha-Aufnahmen der südlichen Milchstraße anfertigten. Ihre Publikation: "A catalogue of Hα-emission regions in the southern Milky Way"; Mon. Not. Roy. Astr. Soc. 121, 103 (1960).
Der Nebelring von NGC 3199 = Gum 28 = RCW 48 ist aus feinen Filamenten zusammengesetzt. Dabei wirkt der Westbereich des Nebels bläulich-weiß, der lichtschwächere Ostbereich klar rot. Hier deutet sich an, dass im Westbereich [OIII]-Emission stark vertreten ist, während der lichtschwache Ostbereich hauptsächlich aus H-alpha-Filamenten zusammengesetzt ist. So etwas kennt man von Supernovaresten, die bekanntlich nach einer Supernovaexplosion überwiegend in Form von fetzenförmigen Filamenten expandieren. Auch hier bei NGC 3199 liegt eine Expansion vor, aber ohne einen explodierten Stern. Dazu jetzt eine kurze Vorbetrachtung:
Die beiden Franzosen Charles Wolf und Georges Rayet entdeckten 1867 einen neuen Typ von Sternen, als sie Besonderheiten in deren Spektrum feststellten. Wie wir heute wissen, sind solche Wolf-Rayet-Sterne (kurz: WR-Sterne) die Nachfahren massereicher O-Sterne von mehr als 20 Sonnenmassen, bis zu 150 oder gar 200 Sonnenmassen. Sie geben schon als späte O-Sterne einen Teil ihrer äußeren Atmosphärenbereiche ab, was sich mit fortlaufender Weiterentwicklung noch verstärkt. Der Verlust der abgestoßenen Außenbereiche führt dazu, dass nach und nach der stellare Kern frei wird. Er besitzt sehr hohe Temperaturen von 30.000 bis 120.000 K und erzeugt starke Sternwinde. Diese Sternwinde stoßen mit hoher Geschwindigkeit mit dem außen angesammelten, abgestoßenen Material zusammen, geben ihre kinetische Energie an das Material und beschleunigen es dadurch zu einer expandierenden Hülle. Der Stoßprozess führt zu einer deutlichen Emission, die zugehörigen Emissionslinien sind als verbreiterte Linien dem Sternkontinuum überlagert. Das also haben Wolf und Rayet im Spektrum ihrer neu gefundenen WR-Sterne beobachten können. Es gibt WR-Sterne, die reich an Sickstoff sind (so genannte WN-Sterne), dann solche, die reich an Kohlenstoff sind (WC-Sterne) und drittens solche, die reich an Sauerstoff sind (WO-Sterne). Insbesondere die WC-Sterne entwickeln um sich herum Staubwolken. Für einen äußeren Beobachter können diese bewegten Staubwolken das Licht des Sterns unregelmäßig schwächen, so dass unter den WR-Sternen oftmals auch Veränderliche vorkommen.
J.E. Dyson und J. Ghanbari verfassten eine Arbeit mit dem Titel: "The Wolf-Rayet nebula NGC 3199 - an interstellar snow plough?", Astron. & Astrophys. 226, p. 270-277 (12/1989). Ein interstellarer Schneepflug? Damit ist folgendes gemeint: Die westlichen hellen Nebelbereiche haben im Vergleich zum gesamten NGC 3199 nicht nur eine größere Helligkeit, sie haben auch den WR-Stern gut in ihrem Krümmungsmittelpunkt - was ja auf den Gesamtnebel überhaupt nicht zutrifft. Die beiden Astronomen stellten eine Modellrechnung an, aus der sie folgerten, dass HD 89358 ein "runaway-star" ist (siehe Zusatzbild 2). Dieser bewegt sich, aus einer anderen Gegend kommend in Pfeilrichtung durch die Gaswolke und bringt sie als WR-Stern zur Emission. Der helle Bereich von NGC 3199 stellt demnach die "Bugwelle" dar, die der Stern durch den Nebel vor sich herschiebt.
Ein solcher veränderlicher WR-Stern ist HD 89358, der als WR 18 im Wolf-Rayet-Katalog erfasst ist. Aus den Gaia-Messungen lässt sich für HD 89358 eine Entfernung von 3288 pc berechnen, das sind ~10.700 Lj. Interessant ist, dass schon Colin Gum vor 70 Jahren eine ähnlich weite Entfernung angab: 3.801 pc = 12.400 Lj. HD 89358 zeichnet sich durch den Spektraltyp WN4 aus, was Stickstoffreichtum anzeigt. Der 10,83 mag helle Stern hat einen Farbindex von B-V = 0,36 mag, er leuchtet demnach hellblau, was auf dem AdM auch gut herauiskommt. Im Zusatzbild 1 zeigt sich neben HD 89358 (gelber Kringel 1) noch der Stern CD-57 3120 (gelber Kringel 2), ein B0-Stern, ebenfalls zur Anregung von Emissionsnebel geeignet. Falls er zu NGC 3199 gehört, trägt er zur Erhellung des Westbereichs von NGC 3199 merklich bei. Schön fällt in diesem Ausschnitt aus dem Original die Lage des WR-Sterns HD 89358 im ungefähren Krümmungsmittelpunkt auf.
Anmerkungen: Das vorliegende AdM ist ein Falschfarbenbild. So nennen wir all diejenigen Farbaufnahmen, die nicht als kalibrierte (L)RGB-Bilder ausgeführt sind - speziell hier also durch die Schmalbandfilterungen farblich geprägt. Was wir aus dieser wunderschönen Aufnahme nicht ersehen: Welche Anteile haben H-alpha und [OIII] in Wirklichkeit relativ zueinander? Der Astronom spricht dann vom H-alpha/[OIII]-Verhältnis. Die spektrale Empfindlichkeit der QHY268M hat laut Hersteller ein eindeutiges Maximum im Blaubereich, so dass H-alpha hier eher schwächer zur Geltung kommt. Möglicherweise ist der Rotanteil also viel stärker als hier sichtbar, denn beide Schmalbandfilterungen wurden gleich lang belichtet.
Davon ab ist das Motiv sehr gut im Bildausschnitt platziert, technisch sehr sauber erstellt und bearbeitet. Einen herzlichen Dank an Franz Hofmann für dieses tolle Motiv, welches dazu noch durch eine sehr gute Detailauflösung besticht. Und dazu auch, lieber Franz: Gratulation zum Astrofoto des Monats!
Peter Riepe
Bildautor: Franz Hofmann
Koordinaten (J2000) aus AdM (Nebelmittelpunkt):
RA = 10 h 17 min 41 s, DEC = -57° 55' 52''
Vollbild unter: https://www.astronomie.de/aktuelles...5-ngc-3199-ein-wolf-rayet-nebel-am-suedhimmel
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