24. Woche - NGC 4214, ein "dicker Zwerg" in den Jagdhunden

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Unter den vielen Galaxien im Sternbild Jagdhunde befindet sich eine oft übersehene – NGC 4214. Jens Zippel, Mitglied der Fachgruppe Astrofotografie und Bremer Astrofotograf, zeigt uns heute ein sehr schönes Bild dieses Deep-Sky-Objekts. Das Bildfeld misst 48' x 35,5'. Norden ist oben, Osten links. Jens Zippel schreibt: „Bedingt durch die aktuelle Wetterlage, mondlose Nächte und trockene Luft aus dem Nordosten - und nicht zuletzt durch den aktuellen Shutdown großer Luftverschmutzer - ist die Transparenz in Nordeutschland so gut wie schon lange nicht mehr. Was bietet sich da eher an als schwächere Objekte aufs Korn zu nehmen? Das Bildergebnis nach zwei Nächten LRGB überraschte mich in der Tiefe und Detailauflösung selbst.“ Die Aufnahme entstand am 24. und 25.03.2020 in Bremen an einem Lacerta Newton mit 250 mm Öffnung und 1000 mm Brennweite. Mit einer ZWO ASI 1600MMC wurde belichtet wie folgt: 98 x 3 min (L) und 203 x 3 min für R, G und B zusammen, was in Summe 15 h 3 min ergibt. Als Filter dienten LRGB-Filter von Astrodon (E-Series). Das Autoguiding erfolgte am Off-Axis-Guider, Montierung war eine EQ8 (Lodestar).

Was ist nun über NGC 4214 astronomisch bekannt und astrofotografisch relevant? Zunächst einmal zur Entfernung. Das ist immer eine kritische Geschichte, denn die Entfernungswerte hängen stets von der Messmethode und auch von den verwendeten astrophysikalischen Parametern ab, etwa von der Extinktion. Eine Abweichung in Extinktion von beispielsweise 0,3 mag ergibt in der Entfernung des Andromedanebels eine Abweichung von mehr als 400.000 Lj. - d.h. immerhin 16%. So wurde für NGC 4214 von Drozdovsky et al. (2002) anhand der hellsten Roten Riesen eine Entfernung von 8,8 Mio. Lj gemessen. Maíz-Apellániz et al. (1996) berechneten ebenfalls mit Hilfe der hellsten Roten Riesen eine deutlich weitere Entfernung von 9,6 Mio. Lj. Ein neuer Wert wurde von Makarov et al. 2013 publiziert, und zwar 9,26 Mio. Lj. Dieser Wert liegt relativ in der Mitte, und ihn verwenden wir hier für unser AdW.

Soll das Galaxienbild ausgemessen werden, so benötigt man den Bildmaßstab. Damit so lassen sich Objektdurchmesser im Bild in Pixeln messen und in Bogenminuten umrechnen. Für das AdW ergibt sich ein Bildmaßstab von 1,500 arcsec/pixel. Der gemessene Durchmesser beträgt im Bild 360 Pixel (= 9'), und das ergibt mit der oben angenommenen Entfernung einen echten Galaxiendurchmesser von 24.000 Lj (halb so groß wie M 33). Was sagt einem das? Bei NGC 4214 handelt es sich um eine kleine Galaxie – eine Zwerggalaxie. Allerdings ist es im Vergleich zu den Zwergbegleitern unserer Milchstraße schon ein „dicker Zwerg“.

Auffallend in NGC 4214 sind die zahlreichen bläulichen Sternballungen, verteilt über einen eher weißgelblichen Galaxienkörper. Der Astronom redet hier von dynamischer Sternentstehung, in der englischen Fachsprache auch „starburst“ genannt. Leitherer et al. (1996) nahmen mit dem Hubble Space Telescope Spektren dieser Starburst-Gebiete auf und konnten auf ein Alter von 4 bis 5 Mio. Jahren schließen. Das ist ein Alter, in welchem man typischerweise Wolf-Rayet-Sterne findet – das sind die weiterentwickelten Nachfahren ehemaliger massereicher O-Sterne. Und so reden die genannten Astronomen bei NGC 4214 konsequenterweise von einer „Wolf-Rayet-Galaxie“. Es darf also nicht verwundern, dass in NGC 4214 auch riesige HII-Gebiete vorkommen, die von den Wolf-Rayet-Sternen zur Emission angeregt werden. Eine tiefe Hα-Aufnahme würde das natürlich zeigen (wer kann uns hier eine solche präsentieren???). Leiterer et al. (1996) merken an, dass diese HII-Regionen durchaus vergleichbar sind mit den riesigen HII-Regionen in anderen Starburst-Galaxien. Wenn ein Starburst abläuft, muss es dafür auch einen entsprechenden „Materialvorrat“ geben. Und den haben Swaters et al. (2002) mit Hilfes des Westerbork HI Survey gefunden: NGC 4214 ist von einer großen Scheibe aus neutralem Wasserstoff umgeben. Sie ist doppelt so groß wie der optische Galaxiendurchmesser.

Erwähnenswert ist ein weiteres Objekt im Bild, etwas südwestlich von NGC 4214. Diese Galaxie UGCA 276 ist sehr lichtschwach – eine LSB-Galaxie (low surface brightness, engl für geringe Flächenhelligkeit). Sie ist strukturlos und besitzt nichts außer nackten Sternen, was hier im AdW natürlich aufgrund der geringen Brennweite noch nicht sichtbar wird. Eine solche Zwerggalaxie ist vom Typ dSph, eine sphäroide Galaxie also, vergleichbar mit Draco Dwarf oder Ursa Minor Dwarf im Halo unserer Milchstraße. Die oben schon zitierten Astronomen Makarov et al. konnten auch für UGC 276 eine Entfernung messen: 9,55 Mio. Lj, also im selben Entfernungsbereich wie NGC 4214 selbst. Das bedeutet, dass UGC 276 ein unmittelbarer Nachbar von NGC 4214 sein muss – vielleicht sogar ein sie umkreisender Begleiter? Dass sie nur aus Sternen besteht, gibt zu denken. Wo ist ihr Gas geblieben? Vermutlich hat sie es bei einer nahen Begegnung mit NGC 4214 an die große Schwester verloren, die dadurch ihren Gasvorrat vermehren konnte.

Anmerkung: Das AdW von Jens Zippel zeigt – wieder einmal – dass eine Galaxie größer ist als in manchen Datenbänken oder Listen angegeben. Die lange Belichtungszeit hatte Erfolg, auch für das ansonsten lichtverschmutzte Bremen. Ein Hinweis darauf, dass man auch in Großstadtnähe durchaus erfolgreich Astrofotografie betreiben kann. Wir danken dem Bildautor für das gelungene Bild und gratulieren zum Astrofoto der Woche!

Peter Riepe

Koordinaten J2000.0:
RA = 12 h 15 min 39 s, DEK = +36° 19' 37''

Bildautor: Jens Zippel

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