28. Woche - Der offene Sternhaufen M 67 im Krebs

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Nach langer Zeit gibt es wieder einmal einen offenen Sternhaufen als Astrofoto der Woche: Messier 67 im Krebs. Günter Kerschhuber, Mitglied der Fachgruppe Astrofotografie, ist der Autor. Er nahm dieses Bild zwischen dem 15.-20. März 2020 sozusagen als "Beifang" auf, denn eigentlich sind die mittleren bis langen Brennweiten sein Metier. Aufnahmeort war die bekannte Sternwarte Gahberg hoch über dem Attersee im österreichischen Salzkammergut. Hier hat der Astronomische Arbeitskreis Salzkammergut auf rund 860 m Höhe seinen Beobachtungsstandort. Verwendet wurde eine Montierung des Typs iEQ30 von iOptron. Darauf wurde eine Canon EOS 6Da mit einem Objektiv Canon 1:2.8 EF200 nachgeführt. Belichtet wurde insgesamt 14 h 36 min bei Einzelschüssen von jeweils 4 Minuten. Die Bildbearbeitung erfolgte in PixInsight. Das Bildfeld misst 10,4° x 6,7° mit Norden oben und Osten links. Der Autor schreibt: "Weitwinkelaufnahmen habe ich in meiner Astrofotografiezeit nie gemacht. Ich habe mich von Anfang an mit langen Brennweiten gequält, selber Schuld ..." In der Tat: Auch die kurzbrennweitigen Kameras mit lichtstarken Optiken haben ihren Himmel - vollkommen berechtigt! Und das wird in dieser Weitwinkelaufnahme sehr schön sichtbar.

Es ist schon erstaunlich, welche Sternfülle in diesem Himmelsareal vorliegt. Immerhin steht M 67 (= NGC 2682) rund 30° von der Milchstraßenebene entfernt. Der hellste Stern im linken Drittel der Bildmitte ist α Cnc (Alpha Cancri) mit visuellen 4,25 mag. M 67 selbst erscheint trotz der kurzen Aufnahmebrennweite ziemlich groß, zudem ist er sehr schön in Einzelsterne aufgelöst. Die Wirkung ist ähnlich wie bei einem Kugelsternhaufen. Allerdings sind die Sterne in M 67 durchweg jünger und blauer, was sich in einem mittleren Spektraltyp B8 dokumentiert. Was ist über M 67 noch bekannt? Die heliozentrische Entfernung beträgt gemäß Becker (1970) 830 pc, also etwa 2700 Lichtjahre. Dort wird für M 67 ein Durchmesser von 4,3 pc angegeben. Das sind 14 Lichtjahre. Auf die Entfernung bezogen käme M 67 damit auf eine Winkelausdehnung von gut 18 Bogenminuten. Nun kann man auch einmal versuchen, eine eigene grobe Durchmesserbestimmung aus dem Bild herzuleiten. Im Zusatzbild 1 habe ich das einmal versucht. Aber es ist gar nicht so einfach, die Außengrenze von M 67 einigermaßen sinnvoll abzuschätzen. Wo geht die Sternenfülle des Haufens in die Sternenfülle des Himmels über? Die Profi-Astronomen machen das über Sternzählungen. So lässt sich bestimmen, wie die Sternendichte mit zunehmendem Abstand von der Haufenmitte nach außen hin immer mehr abnimmt und schließlich den Wert erreicht, den der Himmel allein aufweist. Ich habe mir das einfacher gemacht und rein visuell einen gelben Umkreis um M 67 gelegt. Dieser misst 37 Bogenminuten. Das ist doppelt so viel wie von Becker genannt. Hat das seine Richtigkeit? Dazu jetzt ein wenig mehr.

M 67 ist ein besonderer Sternhaufen. Seine äußere Ähnlichkeit mit einem Kugelsternhaufen rührt auch daher, dass er mit einem Alter von rund 3,5 Milliarden Jahren (Carrera et al., 2019) bereits in die Altersklasse der Kugelhaufen vordringt. Das übliche Alter offener Sternhaufen kann schon in den Bereich von 1 Milliarde Jahren kommen, dann setzen Auflösungserscheinungen ein. M 67 bildet offensichtlich eine Ausnahmesituation. Wenn er bis heute "überlebt" hat, dann nur aufgrund der Tatsache, dass er eine sehr viel höhere Anfangsmasse gehabt haben muss. Die reduzierte sich dann im Zeitverlauf durch stetigen Masseverlust. Die gerade genannte Astronomengruppe konnte nachweisen, dass M 67 sich bis 200' ausdehnt, und zwar bis jenseits des Gezeitenradius. Das ist die übliche Grenze, bis zu der Sternhaufen ihre Sterne halten. Diese 200' sind also keine 14 Lichtjahre, wie Becker angibt, sondern rund 160 Lichtjahre. Wieder kommt also der Vergleich mit einem Kugelsternhaufen in den Kopf. Kugelsternhaufen laufen auf Bahnen um das Milchstraßenzentrum und kreuzen dabei die galaktische Ebene. Modellrechnungen ergaben, dass M 67 ebenfalls eine Bahn hat, die ihn vor etwa 40 Millionen Jahren durch die galaktische Scheibe führte. Heute steht er 1420 Lichtjahre über ihr (Becker 1970), was jetzt verständlich geworden ist. Und noch ein seltsames, bestens dazu passendes Phänomen konnte beobachtet werden: Xinhua Gao zeigt in einem neuen Artikel aus dem Jahre 2020, dass M 67 zwei Gezeitenschweife ausgebildet hat. Dies ist auch bei einigen anderen Kugelsternhaufen zu beobachten, wenn sie auf ihren Bahnen die galaktische Scheibe durchstoßen. Die Gezeitenschweife zeigen jetzt auch, wie der Sternverlust durch allmähliches Herauslösen aus M 67 im Laufe der Zeit ablief. Die masseärmsten Sterne befinden sich im Außenraum, die massereichen innen. Die Ausdehnung der Gezeitenschweife wird mit mindestens 2,5° angegeben, passend zur Arbeit von Carrera 2019. Um Hoffnungen im Keim zu ersticken: Amateure dürften hier selbst mit großen Teleskopen Probleme bekommen.

Ein Objekt ist noch zu nennen, welches Günter Kerschhuber in seinem weiten Aufnahmefeld erspäht hat. Es ist der PN Abell 66 (= PN G219.1+31.2). Er befindet sich unten in Richtung mittlerer Bildrand bei den Pixelkoordinaten (1468/2088). Der blaue Zentralstern ist eindeutig im Bild erkennbar. Um das Objekt - zwar nicht schön, aber wirksam - in seiner Ausdehnung und Struktur zu zeigen, ist das Zusatzbild 2 nützlich. Und das immerhin bei einem Bildmaßstab von 10,72 Bogensekunden pro Pixel.

Anmerkungen: Für die verwendete Aufnahmeblende 2,8 ist die Belichtungszeit sehr lang. Damit kommen Details in der Tiefe zum Vorschein, die man bei einer so kleinen Optik gar nicht vermutet. Dazu schreibt der Autor: "Neben der Fotografie mit dem Hauptinstrument betreibe ich die Weitwinkelfotografie nun nebenbei. Das Schöne daran ist, dass ich mit kleiner Gerätschaft tiefe Aufnahmen erreiche, die man im mobilen Einsatz so nicht machen würde. Belichtungszeit kann nie genug sein, auch nicht mit kleiner Optik. Im Zweifel werden halt nur die besten Bilder verarbeitet." Und dank dieser neuen Einsicht kam nun im Bild von M 67 auch der planetarische Nebel Abell 31 zum Vorschein, mit Farben, die man auch bei langbrennweitigen Aufnahmen mit größeren Teleskopen erst einmal erreichen muss! Dabei muss noch ganz lobend erwähnt werden, dass Günter Kerschhuber als langjährig erfahrener Astrofotograf natürlich auch die kalibrierte Farbfotografie beherrscht und damit anderen ein gutes Vorbild sein kann. Die Sterne kommen nicht "nach persönlichem Geschmack" heraus, sondern in den Farben, die man von einer kalibrierten Aufnahme auch erwartet. Dafür zwei Beispiele an den Ecken des Spektrums: Der orangefarbener Stern HD 76351 bei den Pixelkoordinaten (1336/1164) ist in Simbad angegeben mit B = 6,92 mag als blaue und V = 5,44 mag als visuelle Helligleit. Das bedeutet, dass der Farbindex B-V = 1,48 mag als "Temperaturmesser" super passt, nämlich orange. Und als blauer Stern zeigt HD 74521 bei (2254/1684) eine Blauhelligkeit von B = 5,55 mag, dazu V = 5,66 mag. Hier ergibt sich mit B-V = -0,11 mag ein knallblauer Farbton. Ich werde nie müde, diesen Sachverhalt immer wieder zu nennen, denn es ist manchmal doch ein Kampf gegen Windmühlenflügel ...

Einen schönen Dank an den Autor für dieses zunächst recht unscheinbare, dann aber doch sehr informative und technisch absolut gelungene Bild. Dazu natürlich auch unsere Gratulation zum Astrofoto der Woche.



Peter Riepe
Bildautor: Günter Kerschhuber



Koordinaten (J2000.0):
RA = 08 h 51 min 18 s, DE = +11° 48' 00"


Vollbild unter: https://www.astronomie.de/neuigkeiten/28-woche-der-offene-sternhaufen-m-67-im-krebs/


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Hallo Günther,

eine wirklich sehr schöne Aufnahme der Gegend! Bemerkenswert finde ich auch, dass sich schwach galaktischer Zirkus auf der Aufnahme zeigt. Das spricht für die aussergewöhnliche Tiefe der Aufnahmen, toll!

Gruß Dirk
 
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