Kurzsichtigkeit ermöglich kürzere Naheinstellung
An alle, die kurzsichtig sind oder Astigmatismusprobleme haben:
1. Wer kurzsichtig ist (negative Dioptrienzahl hat) und ohne Brille durch ein Fernglas oder Teleskop schaut, sieht - genauso wie ohne Fernglas oder Teleskop - auf eine kürzere Entfernung scharf. Das heißt, daß sich die Naheinstellgrenze des Fernglases/Teleskops verkürzt - nicht verlängert. Wenn Du ("Ber") also ohne Brille mit einem bestimmten Fernglas nicht näher als 45 oder 50 m fokussieren kannst, dann dürfte ein Normalsichtiger (oder Kurzsichtiger mit Brille) wahrscheinlich nicht einmal auf unendlich richtig scharf sehen, also an diesem Fernglas etwas defekt sein.
Man kann leider nicht pauschal mit einer einfachen Formel angeben, um wieviel Meter, Prozent oder sonst wie sich die Naheinstellgrenze bei einer bestimmten negativen Dioptrienzahl für ein bestimmtes Fernglas verkürzt. Denn in die (natürlich dennoch mögliche) Berechnung gehen nicht die üblichen Fernglasdaten (z.B. 7x50), sondern die Brennweiten von Objektiv und Okular ein, die dem Fernglasbesitzer in der Regel unbekannt sind.
2. Inwieweit Astigmatismus (Zylinder) die Beobachtung ohne Brille verschlechtert, sollte nicht zu theoretisch diskutiert werden, weil es doch jeder für sich ganz einfach in der Praxis ausprobieren kann. Weil es allerdings auch von der Größe der Fernglas-Austrittspupille und der Augenpupille abhängt (je kleiner sie ist, desto weniger wirkt sich der Astigmatismus aus), muß bei der praktischen Prüfung unter den relevanten Lichtverhältnissen getestet werden; wenn es um Himmelsbeobachtung geht, also bei Nacht mit dunkeladaptiertem Auge.
Man betrachtet einmal mit Brille und einmal ohne Brille ein geeignetes Objekt, z.B. die Plejaden, weil es dort viele Sterne sehr unterschiedlicher Helligkeit gibt. Vorher bitte prüfen, ob Frontlinse und Okular-Hinterlinse perfekt sauber und schlierenfrei sind (keine Fettwischer!), und unbedingt vor dem Vergleich die Brille wirklich sauber und schmiererfrei putzen! Bei der Beobachtung mit Brille ist zwar das Sehfeld eventuell stark eingeschränkt, aber deswegen läßt sich dennoch feststellen, ob man die Sterne noch punktförmig oder selbst bei bester Scharfeinstellung als Strichlein sieht. So kann jeder erkennen, ob der Astigmatismus (Zylinder) bei Betrachtung ohne Brille schon störend auffällt. Je besser das Fernglas, desto eher fällt dieser Fehler auf.
"Stigma" - mit g, nicht k - heißt griechich "Stich", z.B. Nadelstich, also auch Punkt, das vorgesetzte "A" (in manchen Fällen zur leichteren Aussprache auch "An") bedeutet das Fehlen oder die Verneinung der Eigenschaft (vergl. "chromatisch" und "achromatisch" oder "isotrop" und "anisotrop"). Astigmatismus (deshalb auch mit g, lieber Martin) ist der Abbildungsfehler eines optischen Systems, der in deutscher Übersetzung "Punktlosigkeit" genannt werden könnte. Er hat zur Folge, daß radiale Strukturen in einer anderen Bildschale als tangentiale Strukturen (= zur optischen Achse konzentrische Kreise) scharf angebildet werden. Wenn in der ersten Schale scharfgestellt wird, erscheinen die Punkte der zweiten dort als radiale Striche und umgekehrt als tangentiale Striche. Solchen "reinen" Astigmatismus hat jedes Auge außerhalb der optischen Achse in geringem Maße.
Aber der hier gemeinte, besser als "Zylinder" bezeichnete Augenfehler hat eine andere Ursache mit ähnlicher Auswirkung (deshalb auch dafür die Bezeichnung "Astigmatismus"). Es geht um eine Abweichung von der Rotationssymmetrie: Man kann sich vorstellen, daß die vordere und hintere Oberfläche der Augenlinse in verschiedenen Schnittebenen durch die optischen Achse unterschiedliche Krümmung aufweisen. In einer Schnittebene ist die Brechkraft (Dioptrienzahl) maximal und in der anderen minimal. Das muß nicht vertikal und horizontal sein, auch Schräglage ist möglich und sogar die Regel (der Neigungswinkel ist auf dem Rezept des Augenarztes angegeben und muß beim Einpassen des ursprünglich runden Brillenglases in die Brillenfassung beachtet werden). Die Differenz zwischen beiden Brechzahlen ist die als Astigmatismus- oder Zylinderwert angegebene Dioptrienzahl. Beim Zylinderfehler des Auges erscheinen Punkte je nach Akkomodation des Auges bzw. Fokussierung des Fernglases/Teleskops als Strichlein nicht von radialer bzw. tangentialer Richtung, sondern parallel zu der einen oder anderen (schrägen) Schnittebene. War bißchen kompliziert, aber vielleicht doch interessant?
Durch Abblenden vermindert sich die Strichlänge, bei starker Abblendung merkt man nichts mehr von den Strichen. Die Austrittspupille des Fernglases und die Eintrittspupille des Auges sind eine derart wirksame Blende - wie die Blende eines Fotoobjektivs -, genauer gesagt, die kleinere von beiden.
Bei Tagesbeobachtung ist die Augenpupille in der Regel sehr viel kleiner als die Austrittspupille des Fernglases, so daß auch ein Auge mit starkem Astigmatismus ohne Brille eventuell noch ein recht scharfes Bild im Fernglas sehen kann. Bei Nacht und ausreichender Dunkeladaption weitet sich die Pupille eventuell zu größerem Durchmesser als dem Durchmesser der Fernglas-Austrittspupille. Dann wird diese relevant. Beim Fernglas 8x30 etwa ist die Austrittspupille nur 2,5 mm groß, was für Tagesbeobachtung keine Einschränkung bedeutet; die Augenpupille ist dann fast immer kleiner als 2,5 mm. Aber bei Nacht ist das die wirksame Blende, die bei mäßigem Astigmatismus noch ein relativ scharfes Bild ermöglicht. Ein lichtstarkes 7x50-Fernglas aber hat eine Austrittspupille von mehr als 7 mm, und da die Pupille des Betrachterauges diese Größe meistens noch erreicht oder übertrifft, heißt das, daß sich selbst ein geringerer Astigmatismus schon sichtbar bildverschlechternd auswirken kann. Aber, wie oben gesagt, alles das kann man leicht am eigenen Fernglas selbst ohne und mit Brille vergleichen und beurteilen.
MfG Walter E. Schön