Kai-Oliver Detken, Mitglied beider VdS-Fachgruppen Astrofotografie und Remote-Sternwarten, reichte das Bildergebnis für diesen November ein. Es zeigt den charakteristischen Wolf-Rayet-Nebel Sh2-308 im Großen Hund (Canis Major). Die Aufnahmeserie entstand am 31. Januar 2024 an der VdS-Remote-Sternwarte auf der Astrofarm Hakos in Namibia. Teleskop war ein Takahashi Epsilon 160ED mit einem zweilinsigen Reducer/Flattner als Korrektor im Okularauszug. Bei f = 530 mm kommt dieses Teleskop auf ein Öffnungsverhältnis von 1:3,3 (= Apertur f/3,3). Kamera war eine Lacerta DeepSkyPro2600c im High Gain Modus plus Dualbandfilter des Typs Antlia ALP-T mit jeweils 5 nm Halbwertsbreite für H-alpha und [OIII], siehe Zusatzbild 1. Belichtet wurde 18 x 5 min = 1,5 h. Norden liegt im Bild auf 12:30 Uhr, das Bildfeld beträgt 2,5° x 1° 40' bei einem Bildmaßstab von 3"/px.
Schauen wir nun unser AdM genauer an. Sh2-308 stellte eine fast runde Blase von überwiegend blauer Emission dar, auch im Innenraum. Rotes H-alpha-Leuchten ist nicht zu entdecken. Die Ränder der Blase sind nicht einheitlich hell und breit, sondern differieren stark. Der Südwestbereich ist am hellsten, hier sind helle, scharfe Fiamente sichtbar. Im Ostbereich hingegen ist kein geschlosseener Ring zu sehen. Im Nordwestteil erkennt man eine trichterähnliche Öffnung, in der wahrscheinlich Gas wie aus einem Flaschenhals nach außen strömt.
Was besticht, sind die lichtschwachen Nebel, die sich diagonal durchs Bildfeld ziehen. Das genau ist der galaktische Zirrus (in den USA hat man sich an den eher falschen Begriff "Integrated Flux Nebulae" gewöhnt und denkt nicht weiter darüber nach: welcher integrierte Strahlungsfluss? IR und längere Wellenlängen scheiden als reflektierter Strahlungsfluss ebenso aus wie die Wellenlängen unterhalb von kurzwelligem UV.
Drei Sterne sind es wert, kurz angesprochen zu werden. Zunächst steht nahezu mittig im Innenraum von Sh2-308 der Stern HD 50896, ein Wolf-Rayet-Stern (WR-Stern). Er ist gemäß Gaia-Parallaxe rund 5000 Lj entfernt. Das ist dann auch die Nebelentfernung, da man ihn eindeutig als Zentralstern von Sh2-308 identifiziert hat. Auf ihn gehe ich weiter unten noch näher ein.
Im südlichen Randbereich von Sh2-308 ist als hellster Stern des Bildfeldes Omikron 1 CMa zu sehen. Der K1-Überriese steht nicht im Nebel, sondern mit einer heliozentrischen Entfernung von ~2350 Lj weit im Vordergrund. 9' links des östlichen Nebelrandes besticht ein Stern durch seine auffallend rote Farbe. Es ist der 9 mag helle langperiodisch Veränderliche X CMa, ein roter Riesenstern des Spektraltyps M5/6.
Sh2-308 wurde mittels der fotografischen Platten des Palomar Observatory Sky Survey (POSS) vom amerikanischen Astronom Steward Sharpless entdeckt. Das war in den späten 1950er Jahren. Dabei zeigte die blauempfindliche POSS-Platte ein viel stärkeres Signal als die rotempfindliche. Sharpless, verstorben 2013, publizierte im Dezember 1959 seine bekannte Arbeit "A Catalogue of H II Regions" im Astrophys. J. Suppl. 4, 257. Darin ging es um 313 HII-Regionen nördlich der Deklination -27°, dazu eine Tabelle mit assoziierten jungen, heißen OB-Sternen. Schon damals nannte Sharpless für sein Objekt Nr. 308 als möglichen anregenden Stern HD 50896. Sharpless beschreibt sein Objekt Nr. 308 wie folgt: irregulär, Filamentstruktur, mäßig hell, 35' scheinbarer Durchmesser. Heute würde man (schon als Amateur) die Form mit rund bezeichnen. Die digitalen Sensoren ermöglichen ja doch viel stärkere Signal-/Rausch-Verhältnisse über dem Hintergrund als selbst die besten chemischen Emulsionen seinerzeit.
1957 schlug der australische Astronom Bart J. Bok (bekannt durch die nach ihm benannten Bok-Globulen) einen südlichen H-alpha-Survey vor. A.W. Rodgers, C.T. Campbell und J.B. Whiteoak vom Mount Stromlo Observatory setzten dies in die Tat um. Sie veröffentlichten 1960 - also ein Jahr nach Sharpless - ihre Arbeit "A catalogue of Ha-emission regions in the southern Milky Way" in der Zeitschrift Mon. Not. Roy. Astron. Soc. 121, 103. Dabei wurde rings um den galaktischen Äquator ein Gürtel von 30° Breite untersucht. Sie verzeichneten das Sharpless-Objekt als Nr. 11, daher auch die Katalogbezeichnung RCW 11 katalogisiert. Allerdings vergaßen die Australier den Bezug zum Sharpless-Katalog. Für den Nebel geben sie an: lichtschwach, Ausdehnung 60' x 20'.
Die Amerikanerin Beverly T. Lynds registrierte unser AdM-Objekt als Eintrag Nr. 1052 in ihrem "Catalogue of Bright Nebulae", daher reden wir heute von LBN 1052. Die Publikation geschah 1965 im Astrophys. J. Suppl. Ser. 12, 163-185 (sechs Jahre nach Sharpless). Der Lynds-Katalog ist nach galaktischen Koordinaten sortiert. Frau Lynds nannte auch "S 308" als Sharpless-Objekt. Sie gibt als Ausdehnung 20' x 4' an, als Farbe sieht sie den Nebel eher auf den rotempfindlichen Platten am stärksten. Die Helligkeit wird mit dem Wert 5 von 1 bis 6 (kaum erkennbar) beziffert.
In allen dei vorgenannten Publikationen wurde jeweils ein anderer Nebeldurchmesser angegeben. Das beweist, dass die damaligen fotografischen Platten nur wenig Signal (Nebelschwärzung) über das gesamte Objekt verteilt aufwiesen. Die visuelle Einschätzung war also sehr subjektiv. Misst man im gut belichteten AdM selbst, so ergeben sich 49' als größter Durchmesser (Nordwest nach Südost) und 90° dazu 40' als kleinster Durchmesser. Dieser Messwert und dazu die Entfernung des Zentralsterns ergeben 71 Lichtjahre an wahrem Durchmesser in Längsrichtung. Das ist etwa doppelt so groß wie der Orionnebel.
Bei Sh2-308 handelt es sich nicht um eine HII-Region, ebensowenig um einen Supernovarest - auch wenn die Filamentstruktur einigen Supernovaresten frappierend ähnlich sieht. Weitere Beispiele für dekorative WR-Nebel sind G2.4+1.4 im Schützen, Thors Helm NGC 2359 im Großen Hund, NGC 6888 im Schwan, NGC 7635 in der Cassipeia, RCW 52 am Nordrand des Eta-Carinae-Nebels und noch RCW 58 ebenfalls im Sternbild Carina. Was ist eigentlich ein WR-Nebel? Ausgangspunkt ist immer ein Wolf-Rayet-Stern (WR-Stern). Im Falle von Sh2-308 ist es HD 50896, mit dem Namen EZ Canis Majoris ein Veränderlicher und außerdem im 6. Katalog galaktischer WR-Sterne von K.A. van der Hucht et al. (1981) mit der Bezeichnung WR 6 geführt. WR-Sterne haben sich aus vormals massereichen O-Sternen von mehr als 20 Sonnenmassen weiterentwickelt. Während dieser Entwicklung durchlaufen die O-Sterne das Stadium als rote oder gelbe Überriesen, oder als leuchtkräftige blaue Veränderliche (LBV), ehe sie als Supernovae enden. In herben Masseverlusten werfen sie ihre äußeren Hüllen ab, die mit geringen Geschwindigkeiten von 10 bis 100 km/s in alle Richtungen fortfliegen und sich als inhomogene, verdünnende Gaswolke um den Stern verteilen. Liegt schließlich der heiße Kern des Sterns frei, so redet man von einem WR-Stern. Dieser strahlt mit Temperaturen um 50.000 bis 100.000 Kelvin extrem starke Sternwinde ab, die ihrerseits dann mit 1000 bis 2000 km/s mit der ausgestoßenen, umgebenden Nebelwolke kollidieren. Durch diesen Stoßprozess (bitte nicht Schock) formt ein WR-Stern seinen ihn umgebenden Nebel. Außerdem wird bei hohen frei werdenden Energien auch vielfach eine Röntgen-Emission in WR-Nebeln beobachtet (siehe Zusatzbild 2).
Anmerkungen: Das vorliegende AdM besticht durch eine hohe Detailauflösung und dazu durch gut wiedergegebene Sternfarben. Dies ist sicherlich der bekannt hervorragenden Teleskopoptik sowie dem dunklen namibischen Himmel zu verdanken. Während Sh2-308 auch schon vom Alpenraum aus fotografierbar ist, sich dort aber immer durch horizontnahe trübe Atmosphärenbereiche bewegt, kulminiert er in Namibia in Zenitnähe. Das Motiv ist genügend stark belichtet, so dass selbst der galaktische Zirrus sehr deutlich wird (mir persönlich neu für diesen Himmelsabschnitt).
Das AdM-Team bedankt sich für diese prächtige und technisch sehr gut umgesetzte Aufnahme. Und dazu natürlich die herzliche Gratulation des gesamten Teams.
Peter Riepe
Bildautor: Kai-Oliver Detken
Koordinaten (J2000.0) des Zentralsterns:
RA = 06 h 54 min 13 s, DEK = -23° 55' 42''
Vollbild unter: https://www.astronomie.de/aktuelles...-2024-sh2-308-ein-blasennebel-im-grossen-hund
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