Hallo.
Wir sind offtopic, auch weil, wie so häufig, der bzw. die Fragestellerin vermutlich gar kein so großes Interesse an einer ausführlichen Beratung hatte. Die würde ja intensive Interaktion voraussezten, einen echten Dialog eben mit denen, die gerne beraten möchten. Mein Eindruck ist aber, viele wollen gar nicht in diesem Sinne beraten werden, es würde ja Arbeit machen und Zeit kosten, hier mitzudenken und sich zu beteiligen. Denen geht es eher darum, sich hier bei ihren Anschaffungen irgendwie "rückzuversichern", dass sie keinen großen Fehler machen oder etwas vielleicht besseres verpassen, und dazu wollen sie einfach das Gefühl haben keine Möglichkeit ausgelassen zu haben. Kost ja nix, andere mal zu fragen was die so gut finden, und soll bitte schnell gehen. Am liebsten wäre denen vermutlich ein Chor gleichlautender Antworten: nimm Model XYW/0815 Mk II, das ist das Allerbeste, fertig.
Je weniger sich der Threadersteller beteiligt, umso heftiger fallen dann oft die Kontroversen aus, weil sich die Ratgeber unterschiedliche Vorstellungen von den unbekannten Wünschen des wortkargen Fragenden machen und es nunmal meistens keine "allerbeste" Lösung gibt. Ärgerlich wird es dann, wenn ein paar Ratgeber dann so auftreten, wie es Antares beschrieben hat, und nur sich selber produzieren wollen. Und noch ärgerlicher ist, wenn sie dabei auch noch Falschbehauptungen aufstellen, die eigene subjetive Meinung mit einem "objektiven Sachverhalt" verwechseln, und sich selbst da noch als "Richtigsteller" aufspielen wollen, wo sie sich nachweislich irren. Und versucht man sie mit der Nase drauf zu stoßen, setzt es dann Relativierungen: wer mir widerspricht, kann einfach nicht "multifaktoriell" denken, vergreift sich im Ton, und muß schon deshalb Unrecht haben, oder so ähnlich...
Ehrlich gesagt Dominique, wenn ich solche Relativierungen lese, wied Du sie oben am Beispiel der Rettungsgasse vorführst, packt mich das Grausen. Da kämpfen irgendwo ein paar Meter weiter vor Dir auf der Auotbahn vielleicht ein paar Menschen um ihr Leben, aber irgendein selbstbewusster Egoist schert sich einen Deibel drum und blockiert die Rettungskräfte, und Du erzählst dann, macht doch nix, vielleicht ist er ja gut zu seinen Haustieren oder engagiert sich im Umweltschutz und ist somit "insgesamt betrachtet" ein "akzeptables Mitglied der Lebensgemeinschaft". Wenn da vorne also seinetwegen ein paar Leute sterben müssen, macht doch nix, Hauptsache er füttert seinen Wellensittich pünktlich und kommt dafür durch die Rettungsgasse nicht zu spät nach Hause? (Nix gegen Wellensittiche). So ein relativierendes Geschwätz, ein für meine Begriffe, Entschuldigung, ausgesprochen dummes Geschwätz, ich kann es nicht anders nennen, lässt mir einfach nur die Kinnlade runterklappen.
In einem der jüngsten Filme von Joseph Hader, dem brilianten Schauspieler, wird die moderne Absurdität, sich aus purem Egoismus, alles, was einem an anderen oder der Realität nicht gefällt, passend zu verdrehen, in einer hübschen Szene karrikiert. Ein kleiner Bub wirft ohne konkreten Grund aus Trotz oder sonstigem Frust bei Tisch seinem Patchwork-Onkel eine heiße Kartoffel feste mitten ins Gesicht. Der springt auf, ruft schmerzverzerrt "was soll das, Du [zensiert]?" Und was passier? Statt den kleinen Übeltäter für seine Boshaftigkeit zu maßregeln und ihm unweigerlich klarzumachen, dass das nicht geht, schweigt die Tischgemeinschaft lieber kurz und betreten - und dann verlangt die Mutter der ungezogenen Göre, das ginge aber entscheiden zu weit: der Beworfene möge sich sofort gefälligst bei ihrem Sohn entschuldigen. Der fasst es nicht, wird von einigen Erwachsenen ins Nebenzimmer gedrängt und dort beschuldigt dem armen Jungen eine schlimme seelische Wunde zugefügt zu haben. Schließlich kommt er dann mit betretender Miene und leicht verbrannter schmerzender Backe zurück, und bittet den kleinen Kartoffelschmeisser um Verzeihung - der dann hochherzig erklärt, er nähme die Entschuldigung an, worauf den Kleinen alle überschwänglich loben: das hast Du ganz toll gemacht.
Täter-Opfer-Umkehr nennt man sowas. Man könnte es auch Verar... nennen. Solche Perversionen sind kommödiantisch zwar amüsant. Im richtigen Leben können die Folgen solcher Machenschaften auf Dauer eine Gesellschaft zum Implodieren bringen. Wenn die Urheber schädlicher Verhaltensweisen auch noch belohnt werden mit Anerkennung gerät was Entscheidendes ins Wanken: Maßstäbe, Vertrauen Werte. Soweit sind wir Gottseidank noch nicht, aber die Grenzen zwischen Wahrheit und Irrtum, zwischen Wirklichkeit und Wunschdenken mehr und mehr zu verwischen, sei es aus Kommerz, politischem Kalkül, Eigenliebe, oder sei es nur aus noch so gut gemeinter Freundlichkeit, halte ich für einen gefährlichen Irrweg in diese Richtung. Denn die Realität lässt sich nicht von uns vera.... sondern irgendjemanden anderen, oder eben viele andere, dafür bezahlen, nur weil einige ihre schlimme Verblendung ungestört ausleben oder sonstwie um jeden Preis davon profitieren wollen. (Man muss sich nur mal die Lügenmärchen der alternativmedizinischen Methoden angucken, oder die ganzen falschen Werbebotschaften, Abnehmen durch mehr Essen, mehr Geld durch mehr Geldausgeben, bessere Luft durch noch mehr Individualverkehr usw.
Leider hat der erfolg der modernen Technik und Wissenschaft es möglich gemacht, dass einige, die von den Segnungen unbemerkt profitieren, die dadurch gewonnene individuelle Freiheit nutzen, sich für ihre verzerrten und sogar falschen Vorstellungen auch noch von anderen erfolgreich belohnen zu lassen. Die merken am Ende selber nicht mehr, in welcher falschen Blase sie leben. Und wer deren Täuschungen oder Irrtümer nicht durchschaut, die falschen Botschaften solcher Großsprecher aber geschäftlich, weltanschaulich, politisch oder sonstwie für sich selbst nützlich findet, der klatscht solchen Leuten sicher gerne Beifall, das sieht man ja beim Blick über den großen Teich. Und wer es soweit nicht kommen lassen will, kann nur den Mund aufmachen, auch wenn er wegen angeblicher Unfreundlichkeit von den Verdrehern dann beschimpft oder ignoriert wird. Immer noch besser, als denen resignativ das Zepter zu überlassen, finde ich.
Natürlich kann sich jeder auch mal irren, und meistens sind das ja immer nur die anderen. Aber wenn man hier z.b. Veröffentlichungen nennt und sich darauf beruft, obwohl sie den eigenen Ansichten widersprechen, dann könnte man sich auch mal selber fragen, wo der Fehler liegt, und wie das mit der eigenen "Diffusität" oder den selbst zurecht gelegten "alternativen Fakten" bestellt sein könnte, statt weiter so zu tun, als wären die anderen undiffernzierte Ignoranten oder Verschwörungstheoretiker, nicht whar? Aber genug gepredigt. Und ja, mein Ton wird einigen vielleicht wieder sehr missfallen... Sei's drum. Ich meine es nicht böse. Ich fühle mich nur unwohl auf dem alles irgendwie relativierenden Weg, den einige Meinungsführer heute gerne vorgeben und als modern verkaufen wollen, um sich selber und andere in der postmodernen Beliebigkeit umso besser vera... zu können. Das ist alles, genug OT. Sollte ich das alles viel zu hoch gehängt haben, bitte ich um Nachsicht. Schönen Sonntagabend noch
CS Nevi