Hallo zusammen,
die Frage, ob es möglich wäre, der Messung „irgendwie“ eine (mittlere?) „Wellenlänge“ zuzuordnen, ist sicher mit einem Ja zu beantworten. Die Frage, ob es astrophysikalisch Sinn macht, ist eindeutig mit einem klaren Nein zu beantworten. Ich möchte das im Folgenden etwas ausführlicher darstellen.
Astronomen beobachten schon länger (seit den 1940ern) die Sterne mit verschiedenen Zwei- oder Mehrfarbfiltersystemen, etwa UBV(RI) oder Strömgren. Die verschiedenen Filtersysteme sind seit dieser zeit stets auch Gegenstand umfangreicher Diskussion in der Fachliteratur. Im Prinzip hat jedes Observatorium und jeder Satellit sein eigenes Farbfiltersystem, was die Transformation der Ergebnisse aus verschiedenen Gründen nicht eben vereinfacht. Und auch die Verwendung digitaler RGB Farbkameras ist prinzipiell möglich, wenn die Filtersystem sauber kalibriert werden. Allerdings sind solche Farbmessungen mit einigen Fehlern behaftet, die man nur mit entsprechender Kalibration in den Griff bekommt (siehe z.B. Bauer T., 2013).
Die statistische Mehrfarbenphotometrie mit Hilfe zweier oder mehrerer Farbfilter ermöglicht die Beobachtung von Sternsystemen, offene Sternhaufen oder Kugelhaufen, und die Ableitung von astrophysikalischen Größen, wie Abschätzung von Alter oder Untergrenze der Gesamtmasse des Sternhaufens. Für solche Beobachtungen setzt man voraus, dass die Sterne eines Haufensystems eine räumliche Gruppe bilden, die in etwa zeitgleich entstanden sind. Die Zwei- oder Dreifarbenfotometrie liefert unter dieser Voraussetzung eine Vorstellung von der Entwicklung der einzelnen Sterne und deren Verteilung auf der Hauptreihe oder Nebenästen der Riesen oder Zwerge.
Ein Farben-Helligkeits-Diagramm der statistischen Stellarfotometrie ist übrigens vom oben zitierten Hertzsprung-Russel-Diagramm grundlegend zu unterscheiden! Ein HR-Diagramm kann nur mit Hilfe der Spektroskopie plausibel erstellt und begründet werden. Seine Achsenskalierung stellt grundlegend andere physikalische Parameter dar, als die Farbskalen eines Farben-Helligkeits-Diagramms, welche unmittelbar aus den gemessenen Magnituden der Sternhelligkeiten abgeleitet sind. Die statistische Mehrfarben-Photometrie ist zudem mit den folgend zu benennenden, methodischen Fehlern behaftet.
Die Spektroskopie stellt eindeutig die Spektralklasse eines Sterns dar und liefert somit astrophysikalische Größen, wie Temperatur, chemische Zusammensetzung und Entwicklungsstand des Sterns mit Hilfe der theoretischen Vorstellungen der Sternentstehung und Entwicklung.
Die statistische Mehrfarben-Photometrie erweitert die Möglichkeiten der Spektroskopie, indem sie breite Spektralbereiche zusammenfasst, und über bildgebende Verfahren die Farbintensitäten dieser Wellenlängenbereiche misst. Dabei werden spektrale Intensitäten photometrisch erfasst. Wellenlängen werden integriert, d.h. aufsummiert. Damit wird die Gesamtintensität schwächerer Sterne bei vergleichbarer Belichtungszeit der Auswertung zugänglich. Dies ermöglicht die Beobachtung weit entfernter Sternhaufen in benachbarten Galaxien. Die Spektroskopie bleibt demgegenüber in der Reichweite erheblich begrenzt, da das Licht der verschiedenen Wellenlängen auf dem Detektor auf verschiedene lichtempfindliche Sensoren verteilt wird.
Die Mehrfarben-Photometrie ist jedoch mit erheblichen Fehlerquellen behaftet. Ein wichtiger astro-physikalischer Grund ist, dass die verschiedenen Spektralklassen der Sterne sich nicht nur in der Temperatur, sondern aufgrund des Entwicklungsstadiums und auch in der chemischen Komposition der Sterne unterscheiden. Daher lässt die Messung der „Farbe“ eines einzelnen Sterns keinen eindeutigen Rückschluss auf seine Spektralklasse oder anderer astrophysikalischer Parameter zu. Dies liegt darin begründet, dass die Spektrallinien der verschiedenen Sterne und ihrer typischen Spektralklassen sehr inhomogen verteilt sind und auch breite Banden von chemischen Elementen aufweisen können. Dies führt dazu, dass Überriesen, Riesensterne oder Hauptreihensterne ungeachtet einer ähnlichen Oberflächentemperatur sehr unterschiedliche Farben aufweisen. Diese Unterschiede zeigen sich im klassischen Farben-Helligkeitsdiagramme als Verzweigungen (die denen des HR-Diagramms ähneln). Nicht nur zwischen Überriesen und Hauptreihensternen bestehen Unterschiede. Insbesondere bei den kühlen Sternen der Spektralklassen G, K oder M bestehen Probleme, die sich in Sprüngen der Farben zeigen. Unsere Sonne ist solch ein Stern der Spektralklasse G2V, ein Zwerg dessen Spektrum und Farbe nicht mit den Riesen vergleichbar ist.
Die "Sprünge" der Farben zwischen Überriesen, Riesen oder Zwergsternen habe ich vor einiger Zeit unter Zuhilfenahme von Standard-Spektren der ESO dargestellt. Die unten stehende Farbtabelle gibt in etwa die Farbigkeit der Sterne in Abhängigkeit von der Spektralklasse wieder, wobei neben der Spektrallklasse die relativen R, G und B Werte der zusammengesetzten Farbe abzulesen sind. Wie man im angehängten Bild erkennt bestehen erhebliche Unterschiede der Farben innerhalb ähnlicher Spektralklassen, wenn man die Farbe horizontal von den Überriesen hin zu den Hauptreihensternen und Zwergen liest. Insbesondere bei den kühlen Sternen erkennt man durchaus eklatante Sprünge der Farbe, die zu einer mehrdeutigen Relation zwischen Farbe und Spektralklasse oder Temperatur der Sterne führen.
Der Astronom spricht zudem von Metallizität, wenn er die unterschiedliche chemische Komposition von Sternen in „entwickelten“ gegenüber „jungen“ Regionen der Galaxien beschreibt. Junge Regionen lassen Sterne aus dem (fast) reinen Wasserstoff entstehen, während in entwickelten Regionen bereits ein bestimmter „Bias“ schwerer Elemente aus einer vorausgegangenen Entwicklung früherer Sterne als Ausgangsmaterial vorhanden ist. Diese höhere Häufigkeit schwerer Elemente lässt ebenfalls Verschiebungen in den spektralen Kompositionen und somit in den gemessenen Mehrfarben-Diagrammen erkennen. Unterschiede in der Metallizität kommen beispielsweise zum Tragen, wenn man die Entwicklung von Sternen oder jungen Sternhaufen der Magellanschen Wolken mit denen unserer Galaxis vergleicht (aber nicht nur).
Die Korrekturen der statistischen (Mehrfarben-) Stellarphotometrie sind mathematisch aufwendig und erfordern grundlegendes Wissen über die Zusammenhänge zwischen der theoretischen Modellierung der Sternentwicklung, den zu erwartenden spektroskopischen Daten und der gemessenen „Farbe“ der Sterne.
Abschließend ist noch zu bemerken, dass die Beobachtung mittels Farbfiltern und der Zuordnung einer "Wellenlänge" schon deswegen erschwert ist, weil die Filterkurven komplexe Funktionen darstellen, über die die Intensität hier gewichtet integriert (aufsummiert) wird. Die gemessenen Intensitäten sind zudem gewichtet durch die spektrale Empfindlichkeit des Detektors. Für die Beobachtung muss zudem noch die atmosphärische Extinktion (Rötung) durch die Schichtung der Atmosphäre berücksichtigt werden. Der Begriff der Wellenlänge ist hier physikalisch nicht sinnvoll anzuwenden, da Wellenlängenbereiche mit undefiniertem Intensitätsverlauf betrachtet werden. Bestenfalls ist der Begriff der "Farbe" physikalisch sinnvoll. Für die weiteren Ausführungen zu diesem Thema empfehle ich das Buch "Measuring Color", welches einen nicht-astronomischen Einblick in die Farbwahrnehmung des Auges und der Wiedergabe gemessener Farben mit Farbkameras wiedergibt.
Aus den oben genannten Gründen macht eine Reduktion der verfügbaren spektralen Information auf eine einzige „Wellenlänge“, wie dies der Eingangspost vorschlägt, physikalisch keinen Sinn. Aus einer einzelnen Wellenlänge ließe sich keine astrophysikalische Größe über den Stern ableiten oder begründen. Es bedarf mindestens zweier Farbfilter ("Wellenlängen"), um aus der photometrisch gemessenen Integralphotometrischen Größe der Helligkeit in dieser Farbe wenigstens eine sinnvolle Information über die Sterne, ihre Entwicklungssstadien oder andere astro-physikalische Parameter abzuleiten.
Im Idealfall wird man sich der Spektroskopie bedienen. Dort wo man nicht mehr ausreichend Licht zur Verfügung hat, oder/und viele einzelne lichtschwache Sterne beobachten will, wird man sich der Mehrfarben-Photometrie bedienen.
Die ähnliche Struktur eines Farben-Helligkeitsdiagramms in ein HR-Diagramm zu transformieren bedarf weiterer Messungen, die nur die Spektroskopie befriedigend klären kann. Ersatzweise nimmt man Standardsterne zur Kalibration her, was mit Unsicherheiten bezüglicher der Variabilität behaftet ist.
In diesem Sinne bedarf es mindestens zweier Farben, nicht einer einzelnen Wellenlänge, um brauchbare Indikatoren zu liefern plausible astro-physikalische Größen abzuleiten.
Viele Grüße
Thilo Bauer
Literatur:
- Hunt, R. W. G., & Pointer, M. R. (2011). Measuring colour. John Wiley & Sons.
- Bauer, T., 2013: Über die Abhängigkeit des photometrischen Fehlers und die Notwendigkeit der Farb-Kalibration in der Integralphotometrie, BAV Rundbrief, 62, No. 1, pp. 49, ISSN 0405-5497